Szene aus Jean Claude Schlims „House of Boys“
Szene aus Jean Claude Schlims „House of Boys“, Filmlichter Filmverleih

Für hiesige Regisseure scheint das Leben mit HIV und Aids, zumindest was die deutsche Gegenwart angeht, filmisch abgegrast zu sein. Diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn man auf die rund 300 Filme zurückschaut, die 2010 in die Kinos kamen. Einzige Ausnahme ist Michael Stock, der in „Postcard to Daddy“ von seiner eigenen Missbrauchsgeschichte und von seiner Erkrankung berichtet.

Fern der Heimat dagegen greifen deutsche Filmemacher das Thema HIV und Aids durchaus auf. So erzählt Stefanie Sycholt in „Themba – Das Spiel seines Lebens“ von einem elfjährigen südafrikanischen Jungen, der den Aufstieg vom barfuß kickenden Naturtalent zum Profispieler in der U-20-Nationalmannschaft seines Landes schafft. Für ihn ist das aber nicht nur die Verwirklichung eines Lebenstraums, sondern auch die einzige Hoffnung, der Armut zu entfliehen und so viel Geld zu verdienen, dass er Medikamente für seine aidskranke Mutter kaufen kann. Diese vegetiert völlig zurückgezogen in ihrer Hütte dahin, aus Angst, von den Nachbarn aus dem Dorf verstoßen zu werden. Infiziert wurde sie von ihrem alkoholkranken Liebhaber, der Themba (Junior Singo) missbraucht und ebenfalls angesteckt hat. Am Ende, wenn die fußballerische Karriere geschafft ist, wird der Junge auf einer Pressekonferenz eine bewegende Rede halten und den Mut aufbringen, seine HIV-Infektion öffentlich zu machen.

Fußball- und Sozialmärchen

„Themba – Das Spiel seines Lebens“, alpha medienkonto

„Themba“ basiert auf dem gleichnamigen Roman des in Südafrika lebenden deutschen Schriftstellers Lutz van Dijk und will kein dokumentarisches Drama, sondern ganz bewusst ein Fußball- und Sozialmärchen sein. Die sozialen Probleme – Armut, Kindesmissbrauch, Aids – werden zwar benannt, aber in ein hoffnungsvolles Setting gepackt. Vielleicht wurde „Themba“ für den Einsatz im engagierten Schulunterricht in Deutschland konzipiert. Erste Bewährungsproben soll er bereits als Aufklärungsfilm in den Townships in Südafrika bestanden haben.

 Vom Liebhaber zum Ernährer einer Familie 

Auch Detlev Bucks jüngster Spielfilm „Same same but different“ führt in ein Land mit hoher Infektionsrate und schlechten medizinischen Bedingungen. Für den Hamburger Rucksacktouristen Ben (David Kross) ist Phnom Penh das Paradies. Abhängen, Drogen, Tanzen, Sex ­– und alles für wenig Geld. Doch dann verliebt er sich in die junge Prostituierte Sreykeo (Apinya Sakuljaroensuk). Wieder zurück in Deutschland, berichtet sie ihm beim Skype-Telefonat von ihrem positiven HIV-Test. Sreykeos HIV-Diagnose bedeutet allerdings nicht das Ende dieser Affäre, sondern erst den Anfang von Bens dramatischen Kampf um seine Liebe.

Same same but different
Apinya Sakuljaroensuk (Sreykeo) und David Kross (Ben) in „Same same but different“, Delphi

Grundlage des Films ist die Autobiografie „Wohin du auch gehst“ des Journalisten Benjamin Prüfer. Detlev Buck, einst Fachmann für schrägen Humor („Männerpension“), wagt in seiner Filmadaption das große Melodram und verliert sich dennoch nicht in Kitsch und Pathos. Wenn Sreykeo ihr Testergebnis offenbart und erwarten muss, dass sie nun fallengelassen wird, gibt es langes Schweigen auf beiden Seiten der Leitung und Blicke voll Sorge und Panik. Buck belässt es bei diesen wenigen Sekunden emotionaler Dramatik. In der nächsten Szene ist Ben bereits wieder unterwegs in Richtung Kambodscha. Dass sein eigener Test negativ ausfiel, erfahren wir nur nebenbei. Ein anderer Regisseur hätte daraus eine hochdramatische Szene gemacht. Ben wächst unvermittelt vom Liebhaber zum Ernährer einer Familie heran und muss erfahren, dass Aids-Medikamente in Kambodscha selbst für einen Deutschen sehr schwer und nur über schwarze Kanäle zu beschaffen sind. Hier liegt vielleicht auch die besondere Qualität des Films: dass er zwar ein (wahres) Märchen von einer unzerbrechlichen, wenn auch zunächst unmöglichen Liebe erzählt, aber dennoch nicht den einfachen Weg des Rührstücks geht. Ben bleibt in der Welt Kambodschas ein Fremder. Wie er aber diesen Spagat zwischen Hamburg und Phnom Penh, zwischen erster und dritter Welt und den jeweiligen Kulturen zu meistern versucht, verleiht „Same same but different“ eine besondere Spannung und Qualität.

Schonungslos und glaubwürdig

Auch „Precious – Das Leben ist kostbar“ (USA 2009) lebt letztlich von diesem Blick in eine fremde, exotische Welt. Hier allerdings liegt sie am unteren sozialen Rand der US-Gesellschaft, im New York des Jahres 1987. Precious ist ein

Precious
Gabourey Sidibe im Unterschichtendrama „Precious“, ARP Sélection

fettleibiger schwarzer Teenager, vom Vater vergewaltigt, geschwängert und mit HIV infiziert. Sie hat ein Kind mit Down-Syndrom, kann kaum lesen und schreiben und wird von ihrer Mutter gedemütigt, geschlagen und erniedrigt. Die Schonungslosigkeit, mit der Lee Daniels dieses Schicksal ausbreitet, ist bisweilen schwer zu ertragen. Dass der Film dennoch realistisch und menschlich bleibt, liegt nicht zuletzt an der großartigen Gabourey Sidibe. Wie am Ende Wissen und Bildung aus dem Elend und hin zu Selbstachtung führen, mag zwar nach Hollywood-Klischee klingen, erscheint hier aber tatsächlich als ein glaubwürdiger Weg.

Wie sehr Aids in der westlichen Welt aus den Schlagzeilen verschwunden und zu einer vermeintlich „gewöhnlichen“ Krankheit geworden ist, zeigt sich daran, dass die Krankheit bereits im historischen Rückblick betrachtet werden muss, um ihre Sonderstellung zu verdeutlichen. „Heutzutage ist Aids eine Krankheit, die kein Gesicht, keine visuelle Bindung mehr hat“, sagte der luxemburgische Filmregisseur Jean-Claude Schlim in einem Interview. Im ersten Jahrzehnt der Epidemie hingegen hätten „sehr hässliche Bilder“ ganze Generationen geprägt – er meint damit Bilder von Krankheit und Verfall, wie es sie in Dokumentar- und auch in Spielfilmen gab. Von dieser Warte betrachtet verwundert es nicht, dass Schlims Regiedebüt „House of Boys“ erst im letzten Drittel die notwendige Konzentration findet.

  Coming-of-Age-Drama, Schwulenkomödie, Fummelspektakel

Drastisch, aber mit einem deutlichen Hang zum Rührstück schildert der Film den qualvollen Tod eines Luxemburger Tänzers, der in einem Amsterdamer Strip- und Stricherclub arbeitet. Zuvor aber versucht „House of Boys“ einen – auch genretechnischen – Rundumschlag. Der Film beginnt mit dem Aufbruch des 17-jährigen Jake in ein

House of Boys
Der erkrankte Frank, gespielt von Layke Anderson (links) und sein engagierter Arzt (Stephen Fry) in „House of Boys“, Filmlichter Filmverleih

selbstbewusstes schwules Leben, das ihn in eben jenes Etablissement führt. Untermalt mit reichlich Popmusik der 1980er schwankt „House of Boys“ zwischen Coming-of-Age-Drama, Schwulenkomödie und Fummelspektakel und versammelt sämtliche Stereotype schwuler Filmexistenzen. „Madame“ (Udo Kier) ist geschäftstüchtiger Zuhälter, Drag Queen und mütterlicher Chef des Edelpuffs in Personalunion. Zur gut quotierten Wahlfamilie im „House of Boys“ gehört die Jungtunte, die auf ihre Geschlechtsanpassung spart, die obligatorische „Schwulenmutti“ und der als Kind missbrauchte Hetero mit Freundin. Der macht es mit Männern nur für Geld, wird sich aber doch in Jake verlieben und schließlich an Aids sterben.

„House of Boys“ ist ein Produkt des guten Willens, aber nicht einer überzeugenden inszenatorischen oder filmischen Idee. Die Versatzstücke aus dem Repertoire schwuler Coming-out-Filme und Aidsdramen fügen sich nicht zu einem geschlossenen Ganzen. Vor allem aber erzählen sie nichts Neues und das Alte nicht besser, als es schon „Und das Leben geht weiter“ oder „Abschiedsblicke“ getan haben. Dass Stephen Fry als engagierter Arzt einen Gastauftritt hat, mag man löblich finden, man hätte ihm allerdings ein intelligenteres Drehbuch gewünscht.

Breit angelegte Familiensaga

 

Während sich „House of Boys“ auf jene Jahre konzentriert, in der die ersten Fälle von „Schwulenkrebs“ auch in Europa auftauchten, versucht „Was Liebe heißt – Sa raison d’être“ einen breit angelegten historischen Rückblick. Das Melodram lief 2008 als Zweiteiler im französischen Fernsehen und erzählt die Geschichte von Aids in Frankreich als Familiensaga. Tochter Isa bringt 1980 zum Weihnachtsfest im Familienkreis ihren neuen Freund Bruno mit. Ihr versteckt schwul lebender Bruder verguckt sich in den blonden Macho. Nach den ersten eineinhalb Filmstunden wird Isa, inzwischen Mutter eines kleinen Jungen, bei einem Bombenanschlag getötet sein, und der querschnittsgelähmte, durch eine verseuchte Blutkonserve HIV-infizierte Bruno gemeinsam mit Nicolas das Kind aufziehen.

Was heißt Liebe
Aids, Homosexualität, und Politik – die französische Familiensaga „Was Liebe heißt“, Salzgeber Medien

Krankheit und Tod, Rassismus, Sterbehilfe, Stigmatisierung von HIV-Positiven, alternative Familienmodelle, Sex zwischen Positiven und Negativen, die politischen Reaktionen der Schwulenbewegung auf HIV, Aids und Homophobie – Regisseur Renaud Bertrand hat kaum einen Konfliktstoff ausgelassen und die Familie auch noch ganz andere private Dramen durchleiden lassen. Außerdem hat er in Momentaufnahmen die wichtigsten Ereignisse der Zeitgeschichte in der Handlung verankert. Dass der Film auch bei fast dreieinhalb Stunden Spielzeit unter diesem Ballast ächzt, liegt nahe. Dennoch gelingt es ihm, gerade durch die Einbindung privater wie auch historischer Ereignisse, die Krankheit in vielschichtiger Weise auszuleuchten und damit den Hauptzweck des Unternehmens zu erfüllen: in Form eines berührenden, unterhaltsamen Dramas die Geschichte von HIV und Aids in Europa in seinen wichtigsten Facetten für ein breites Fernsehpublikum zu erzählen.

Axel Schock

„Postcard to Daddy“ und „Was Liebe heißt – Sa raison d’être“ sind auf DVD bei Salzgeber Medien, „Same same but different“ und „Precious“ bei Eurovideo erschienen. „Themba“ und „House of Boys“ sind zurzeit noch in wenigen ausgewählten Kinos im Programm.

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

3 Kommentare

  1. Es stimmt, es sieht etwas Mau aus in der Filmlandschaft, wenn es um gesundheitliche Aufklärung geht, die unerhalten sollen und nicht zu sehr mit dem Zeigefinger agieren! Vielleicht sollte auch hier die DAH mit guten Vorsätzen voraus gehen und z.B. auf der Berlinale einen anerkenneden Preis (z.B. bei der Teddyverleihung, oder….) vergeben. Wobei es hier nicht ausschließlich um HIV & Aids gehen sollte – sondern um alle sexuell übertragbaren Krankheitn

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