Die Infektionszahlen sinken, die Zahl der Menschen mit Zugang zu Therapien steigt. Doch die Erfolge im weltweiten Engagement sind gefährdet, es fehlen 10 Milliarden Dollar. In Osteuropa und Mittelasien verhindern Korruption und Tabus ähnliche Fortschritte  – dort infizieren sich immer mehr Menschen mit HIV

HIV mit roter Schleife
(Foto: istockphoto)

30 Jahre HIV und Aids – davon 15 Jahre mit der antiretroviralen Kombinationstherapie. Deren Einführung auf der Internationalen Aids-Konferenz 1996 in Vancouver markierte die Zäsur zwischen „altem“ und „neuem Aids“, und damit den Wandel von HIV als einer tödlichen Infektion zu einer chronischen Krankheit.

Diese Perspektive auf HIV galt allerdings jahrelang nur für die westliche Welt, in der es Zugang zu Medikamenten gab. Vor allem südlich der Sahara, wo 2009 22,5 Millionen der weltweit 33,3 Millionen HIV-Infizierten lebten, sah es lange Zeit so aus, als wäre die Zeit stehen geblieben: HIV hatte hier immer noch die gleichen verheerenden Auswirkungen wie in den schwulen Communities der Industrieländer in den 1980ern.

Prävention greift, Medikamente sind besser verfügbar

Und schlimmer: Jeder 20. Erwachsene HIV-infiziert, Präventionsarbeit für Männer, die Sex mit Männern haben, durch Kriminalisierung von gleichgeschlechtlichem Sex behindert, keine speziellen Programme für Frauen, um die Übertragung des Virus von Mutter zu Kind zu verhindern. In den wohlhabenden Regionen der Welt konnte man nun mit HIV leben, für den Rest der Welt war HIV noch immer eine vielfach tödliche Katastrophe.

Daran hat sich zum Glück mittlerweile einiges geändert. Präventionsbotschaften erreichen ihre Zielgruppen, und die medikamentöse Versorgung in Afrika, Asien und Südamerika hat sich verbessert – vor allem durch einen flexibleren Umgang mit Urheberrechten, wie ihn die Welthandels-Organisation in ihrem Abkommen  „Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights“ (TRIPS) vereinbart hat. So konnte innerhalb der letzten zehn Jahre zum Beispiel der Preis für ein Medikament, das in der HIV-Therapie zu Beginn eingesetzt wird, in Entwicklungs- und Schwellenländern um 99 Prozent gesenkt werden.

Der neueste Bericht von UNAIDS klingt darum optimistisch: Weltweit nimmt die Zahl der Neuinfektionen ab, während gleichzeitig die Versorgung mit Medikamenten zunimmt. So ist innerhalb der letzten zehn Jahre die Zahl neuer HIV-Fälle um beinahe 20 Prozent gesunken – von 3,1 Millionen im Jahr 1999 auf 2,6 Millionen im Jahr 2009 – bei Jugendlichen in besonders stark von HIV betroffenen Ländern sogar um 25 Prozent. Über die Hälfte der HIV-positiven schwangeren Frauen bekam 2009 eine Behandlung, zwei Jahre zuvor standen nur einem Drittel von ihnen Medikamente zur Verfügung. Und auch die Sterblichkeit bei HIV geht deutlich zurück: 2009 starben 1,8 Millionen Menschen im Zusammenhang mit HIV, beinahe 15 Prozent weniger als fünf Jahre zuvor.

Ban Ki-moon: „Wir müssen mutige Entscheidungen treffen!“

30 Jahre nach Ausbruch der Epidemie zeigen die Maßnahmen im Kampf gegen HIV und Aids also auch global deutliche Ergebnisse. So fühlten sich die Vereinten Nationen dann sogar ermutigt, ein extrem hoch gestecktes Ziel zu formulieren: „Keine neuen HIV-Infektionen, keine Diskriminierung und keine Aids-bezogenen Todesfälle“ heißt es im Titel ihres Berichts, der im März in Kenia vorgestellt wurde.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon versteht diese utopische Forderung als konkrete Handlungsanweisung: „Wir müssen mutige Entscheidungen treffen, die den Umgang mit Aids entscheidend verändern und die dabei helfen, uns auf eine Aids-freie Generation zuzubewegen.“

Aber auch wenn der grobe Blick auf die aktuellen Zahlen tatsächlich Grund zum Optimismus liefert, zeigt der Bericht gleichzeitig, dass die Lage schwierig bleibt. Zum gegenwärtigen Gesamtbild von HIV gehört genauso, dass auf jede Person, die eine antiretrovirale Therapie beginnt, zwei kommen, die sich neu mit HIV infizieren – das sind 7.000 Menschen täglich. Das Millenniumsziel der Vereinten Nationen, bis 2010 universellen Zugang zu Prävention, Therapie und Versorgung zu ermöglichen, wurde weit verfehlt.

Zehn Millionen erhalten keine Therapie, obwohl sie die Medikamente dringend bräuchten

2009 hatten zwar immerhin mehr als fünf Millionen Menschen in Ländern mit niedriger und mittlerer Wirtschaftskraft Zugang zu HIV-Medikamenten (fünf Jahre zuvor waren es weniger als eine Million gewesen). Doch diesen fünf Millionen stehen immer noch doppelt so viele gegenüber, die keinen Zugang zur Behandlung haben. Zwei Drittel aller Bedürftigen, insgesamt zehn Millionen Menschen, sind also ohne Therapie, obwohl ihre Infektion soweit fortgeschritten ist, dass sie dringend eine Behandlung bräuchten.

Zugleich rückt zunehmend eine weiterer Effekt in den Fokus. „Therapie 2.0“ nennt UNAIDS sein neues Konzept, bei dem medizinische Versorgung gleichzeitig als Präventionsmaßnahme verstanden wird: Erfolgreiche Therapien drücken die Viruslast unter die Nachweisgrenze, so dass Positive weniger oder gar nicht mehr ansteckend sind. Mit rechtzeitigem Therapiebeginn soll ein schwerer Krankheitsverlauf vermieden und Leben gerettet werden, gleichzeitig wird man dabei präventiv tätig. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass zugleich anhaltende Präventions- und Beratungsarbeit unerlässlich bleibt.

Ein Teil der Lösung: Therapie wirkt auch der Verbreitung von HIV entgegen

Eine solche Strategie, wie sie ähnlich auch gerade von der Weltgesundheitsbehörde (WHO) verabschiedet wurde, funktioniert außerdem nur, wenn genügend Medikamente sowie Beratungs- und Testangebote zur Verfügung stehen und durch bestimmte Präparate eine vereinfachte Medikamenteneinnahme möglich wird. Mit anderen Worten: Die globale Kontrolle von HIV kann nur gelingen, wenn dafür bezahlt wird.

„Gerade jetzt, wo die Maßnahmen gegen Aids Erfolg zeigen, dürfen die Mittel nicht zurückgehen“ erklärt UNAIDS-Geschäftsführer Michel Sidibé. Und so hoffnungsvoll die Analyse der gegenwärtigen Situation ist, so besorgt zeigt sich die UN gegenüber der Zukunft. Sidibés Stellvertreter Paul De Lay meint: „Wir haben gezeigt, was funktioniert, und müssen jetzt mehr davon tun. Uns fehlen dafür aber rund 10 Milliarden US-Dollar.“

Auf der Geberkonferenz für den Global Fonds zur Bekämpfung von HIV im letzten Herbst in New York wurde das Ziel formuliert, 20 Milliarden US-Dollar für die Arbeit der kommenden drei Jahre zu sammeln, also rund 7 Milliarden pro Jahr, um die erfolgreiche Arbeit der letzten Jahre fortsetzen zu können. Stattdessen kam aber nur etwas mehr als die Hälfte, 11,7 Milliarden Dollar (rund 8 Milliarden Euro) zusammen. Zwar hat die Bundesregierung nach einigem Zögern die versprochenen 600 Mio zugesagt, Länder wie Italien zum Beispiel haben aber gar nicht gezahlt. Hinzu kommt: Die deutschen Mittel liegen zurzeit auf Eis – Auszahlung ungewiss.

Zurück auf Los aus Geldmangel?

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat den Geldgebern verdeutlicht, dass es verheerend wäre, die teilweise erfreulichen Zahlen der HIV-Statistiken so fehlzudeuten, dass man sich weniger engagieren müsse: „Wir werden (dann) das, was wir bereits erreicht haben wieder aufgeben müssen und auf Los zurückkehren. All die bisherigen Anstrengungen und Investments werden vergeblich gewesen sein.“

Und noch ein Aspekt der weltweiten HIV-Epidemie darf nicht vergessen werden: In Osteuropa und Mittelasien verbreitet sich das Virus zurzeit so schnell wie sonst nirgends. Seit 2001 hat sich die Zahl der HIV-Infizierten mehr als verdoppelt und liegt jetzt bei 2,2 Millionen. In Russland gab es im vergangenen Jahr 56.000 Neuinfektionen, in der Ukraine fast 20.000. Zum Vergleich: In Deutschland infizieren sich jährlich rund 3.000 Menschen mit HIV.

In der Region gibt es keinen allgemeinen Zugang zu Medikamenten. Wo sie zur Verfügung stehen, kommt es immer wieder zu Therapieunterbrechung. Korruption erschwert die Versorgung mit Medikamenten. Die Tabuisierung von Homosexualität und intravenösem Drogenkonsum verhindert oft die so dringend notwendige Präventionsarbeit. Wo es sie gibt, steckt sie meist noch in den Kinderschuhen. Immerhin wächst die Konzentration auf die Schlüsselgruppen allmählich – allerdings auch, weil die Länder nicht zugeben wollen, dass sie es bereits mit einer allgemeinen Epidemie zu tun haben.

Seit Beginn der Epidemie vor 30 Jahren haben sich mehr als 60 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert, 30 Millionen Menschen sind seitdem im Zusammenhang mit HIV gestorben.

(Peter Rehberg)

Vom 8. bis 10. Juni tagt die Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Thema HIV/Aids in New York. Motto: UNite!“ (Website der Versammlung) Die Deutsche AIDS-Hilfe wird dort mit einer Delegation vertreten sein.

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Holger Wicht

Holger Wicht, Journalist und Moderator, ist seit 2011 Pressesprecher der Deutschen Aidshilfe

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