„Die Trauer braucht einen Ort, die Idee der Gemeinschaftsgrabstätte entspricht der Lebenswirklichkeit vieler Menschen.“ Mit diesen Worten hatte 2008 Frankfurts Bürgermeisterin Jutta Ebeling eine Gemeinschaftsgrabstätte für Menschen mit HIV und Aids auf dem Hauptfriedhof eröffnet. Vergleichbare Projekte gibt es auch in Berlin, Köln und Hamburg. Von Axel Schock

Grabmal auf dem Frankfurter Friedhof
Die Gemeinschaftsgrabstätte auf dem Frankfurter Hauptfriedhof

Man lebt zweimal“, schrieb Honoré de Balzac: „Das erste Mal in der Wirklichkeit, das zweite Mal in der Erinnerung.“ Wie also erinnern wir uns an die an Aids verstorbenen Menschen? Was bleibt von ihnen, wie bleiben sie in unserem Gedächtnis? Mit diesen und anderen Fragen zum Gedenken beschäftigt sich unser Blog-Themenschwerpunkt auch in diesem Monat.

„Eine Gemeinschaftsgrabstätte, die offen sein sollte für die verschiedenen Lebensweisen, die weder sexuelles Gewordensein noch ethnische Herkunft oder religiöse Unterschiede verleugnet oder diskriminiert und trotzdem eine Form der individuellen, würdevollen letzten Ruhestätte garantiert.“ So beschreibt Christian Setzepfandt, Vorstandsmitglied der Frankfurter AIDS-Hilfe, die Besonderheit dieser Grabstätte auf dem Hauptfriedhof der Hessenmetropole. Hier sollen Menschen ihren Platz finden, die aufgrund ihrer Erkrankung vielleicht keine Zeit und Kraft hatten, für den eigenen Todesfall vorzusorgen.

Andere wiederum möchten ihrer Familie nicht mit der Pflege eines individuellen Grabes zur Last fallen oder haben vielleicht nicht einmal Zu- und Angehörige, die sich darum kümmern könnten oder wollten. Betroffen sind nicht zuletzt vor allem Randständige der Gesellschaft: Drogengebraucher, Migranten, Prostituierte und Schwule, die aufgrund ihres Lebensstils und wegen HIV mit der Herkunftsfamilie gebrochen haben oder aus ihr verstoßen wurden.

Solidarität über den Tod hinaus

Immer wieder auch kommt es vor, dass die Beisetzung von Amts wegen durchgeführt wird. Um die Kosten für eine solche Sozialbestattung gering zu halten, wird der Verstorbene dann oft fernab seines Lebensfeldes bestattet, beispielweise auf preisgünstigeren Friedhöfen in den neuen Bundesländern. Für Freunde und Lebenspartner wird der Ort der Trauer damit meist unerreichbar.

Für viele HIV-Positive ist die Entscheidung, dereinst in einer Gemeinschaftgrabstätte speziell für Menschen mit HIV und Aids beigesetzt zu werden, auch ein ganz bewusster Akt und tröstlicher Gedanke: die letzte Ruhe unter Seinesgleichen zu finden, an einem von vielen besuchten Ort, und so über den Tod hinaus Solidarität zu erfahren und nicht vergessen zu werden.

Würfel-Wand
Die Marmorwürfel sind mit den Namen der Bestatteten beschriftet.  Foto: Axel Schock

Die auf einer leichten Anhöhe im Gewann F gelegene Grabstätte war einst Familiengrab des Generaldirektors einer Versicherung. Die AIDS-Hilfe Frankfurt hat für die denkmalgeschützte Grabanlage aus dem Jahr 1929 die Patenschaft übernommen und sie von dem Bildhauer Helmut Hirte neu gestalten lassen. In den Grabkammern unterhalb einer historischen Säule mit der Inschrift „Die Liebe höret nimmer auf“ haben exakt hundert Urnen Platz. Genauso viele drehbare Würfel aus Juramarmor finden sich an einer Metallskulptur. An den Seiten dieser Marmorblöcke ist Platz für die Namen und Lebensdaten der Verstorbenen, aber auch für eine weitergehende individuelle Ausgestaltung. Zehn Beisetzungen haben bereits stattgefunden, ebenso viele Reservierungen liegen für die Grabstätte vor.

Die Hamburger Idee wurde recht bald von einer Gruppe im Umfeld der ökumenischen Initiative „KIRCHE positHIV“ in Berlin aufgegriffen, doch erst 2002 konnte eine Patenschaft für eine passende Grabstelle auf dem St. Matthäus-Kirchhof in Schöneberg übernommen werden.

Das Grabmal auf dem St. Matthäus-Kirchhof
Das Grabmal auf dem Schöneberger St. Matthäus-Kirchhof (Foto: Axel Schock)

Auf den Marmortafeln des restaurierten Grabdenkmals werden der Name sowie Geburts- und Sterbedatum eingraviert. Im Gegensatz zu den anderen Gemeinschaftsgräbern in Deutschland sind hier neben Urnen- auch Erdbestattungen möglich. Unter anderem ist hier Hans Peter Hauschild beigesetzt, ehemals im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe.

Noch in Planung ist ein Gemeinschaftsgrab auf dem Melaten-Friedhof in Köln. Die örtliche Aidshilfe hat dafür die Patenschaft eines historischen Grabmals übernommen und mit der Denkmalbehörde bereits dessen Restaurierung abgesprochen. Im Sommer 2012, so die bisherigen Planungen, sollen die Neugestaltung abgeschlossen und die ersten Urnenbeisetzungen möglich sein.

 

Weiterer Beiträge in unserer Artikelreihe zum Thema Erinnern und Gedenken:

Orte des Gedenkens und kollektiven Erinnerns 

„Der Tod ist das zweite große Fest im Leben“ – Interview mit Matthias Hinz 

„Trauer erwächst aus Liebe, und deshalb vergeht sie auch nie ganz“ – Erinnern und Gedenken an Kirsten Schulz

„Ihr sollt nicht trauern, sondern weiter euren Träumen und Hoffnungen folgen“

Wenn sie irgendwo spukt, dann hier – Erinnern und Gedenken an Melitta Sunström“

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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