Hildegard Welbers und Manfred Müller arbeiten ehrenamtlich für die Aidshilfe, Hildegard betreut schon seit längerem HIV-positive Gefangene. Im Projekt positive stimmen kommen sie auch mit Menschen hinter Gittern über HIV-bezogene Stigmatisierung und Diskriminierung ins Gespräch. Carmen Vallero befragte sie zu ihren Erfahrungen in dieser besonderen Interviewsituation.

Gefaengnis
HIV-positive Gefangene fürchten oft, vergessen zu werden (Foto: John Updike/pixelio.de)

Ihr habt beide schon einige Interviews zu positive stimmen geführt, nun auch im Gefängnis. Wie kam es zu diesen Kontakten?

Hildegard: „Ich bin ja öfter in der JVA, da ich dort Insassen vonseiten der Aidshilfe betreue, und ich habe Klienten dort auf das Projekt angesprochen. Einige haben sofort Interesse gehabt.“

Manfred: „Ich war vorher noch nie in einem Knast. Ich habe die Anfrage über eine hauptamtliche Mitarbeiterin der Aidshilfe erhalten. Ich finde das Projekt sehr wichtig, und mir gefällt, dass auch Menschen hinter Gittern erreicht werden, daher war das auch für mich spannend. Vor meinem Besuch dort musste ich den Fragebogen der Gefängnisleitung geben, damit sie einen Blick darauf werfen konnte und wusste, worum es geht. Dann bin ich mit der Mitarbeiterin der lokalen Aidshilfe dort hingegangen. Ich musste durch die ganzen Kontrollen, also auch alle Taschen ausleeren, und nach einer kurzen Vorstellung bin ich mit dem Klienten in einem abgeschlossenen Raum allein geblieben. Alle waren sehr nett, aber ehrlich gesagt, ein bisschen Angst hatte ich schon.“

Es ist ein himmelweiter Unterscheid zu einem Interview im Café

Wovor hast du dich denn gefürchtet?

Manfred: „Nun, es ist ein himmelweiter Unterschied zu einem Interview im Café. Ich hatte mir am Anfang da schon ein paar Gedanken gemacht, und die Vorstellung, meinen Personalausweis abgeben zu müssen und dann wird hinter mir abgeschlossen, hat mir gar nicht gefallen. Sonst ist mir der Kontext und der Alltag der Interviewpartner/innen halt auch vertrauter. Hier empfand ich das Setting also erst mal als unangenehm. Das ist dann aber schnell verflogen, ich habe mich genauso wohl und sicher in der Situation und in der Durchführung gefühlt wie an jedem anderen Ort.“

Würdet ihr sagen, dass die Anforderungen an euch als Interviewer oder Interviewerin  im Knast andere sind?

Hildegard: „Ja, man muss sehr aufmerksam sein und sich sehr zurücknehmen. Es ist schwerer, das Gegenüber einzuschätzen. Ich empfinde die Situation als sehr viel sensibler.“

Manfred: „Einer meiner Interviewpartner sagte, dass er auch schon einmal zugeschlagen, also Gewalt angewendet hat, wenn er diskriminiert wurde. Das hat mich erst mal erschreckt. Beim Reden miteinander hat sich das aber schnell gelöst und ich konnte mich im Gespräch zurückhalten, schließlich bin ich da ja nicht als Berater. Hier muss man einfach aufpassen, in der Rolle zu bleiben. Besonders gut war, dass ein Austausch stattfand, mein Gesprächspartner hat mich gefragt, wie ich lebe, wie lange ich positiv bin, und es ist uns nach meiner Auffassung gut gelungen, unterschiedliche Meinungen zu akzeptieren.“

Sind eure Gesprächspartner in der JVA als HIV-positiv geoutet? Und sind die Stigmatisierungserfahrungen, die daraus entstehen können, andere als in Freiheit?

Hildegard: „Meine Klienten leben offen mit HIV, die Bediensteten und die Mithäftlinge wissen von der Infektion. Das war am Anfang wohl sehr schwer, aber nachdem die Aidshilfe eingebunden wurde und Informationsveranstaltungen gemacht hat, läuft es viel besser. Ich habe überhaupt den Eindruck, dass vonseiten der Anstaltsleitung mittlerweile sehr viel aufmerksamer z. B. mit schwulenfeindlichen Sprüchen umgegangen wird. Das wird nicht toleriert, und die Beamten sind da ziemlich hinterher. Die Leitung soll sofort informiert werden, man will verhindern, dass es zu schlimmen Stigmatisierungen und Übergriffen kommt.“

Bei Schlägereien werden Insassen mit HIV „verschont“

Manfred: „Auch meine Gesprächspartner sind als positiv geoutet. Diese Inhaftierten haben es nach meinem Eindruck schwer, weil die JVA-Mitarbeiter oft nicht genug wissen über die Infektion. Da gibt es immer noch Bedienstete, die an eine Übertragung durch die Luft oder durch Händedruck denken. Das führt dazu, dass die HIV-positiven Häftlinge bestimmte Arbeiten nicht machen können, weil dort ein Risiko vermutet wird, was gar nicht besteht. Bei Auseinandersetzungen, die in eine Schlägerei münden, werden die Insassen mit HIV „verschont“, weil die Mithäftlinge Angst haben, sich zu infizieren. Oft werden sie daher eher verbal angegriffen, handgreifliche Auseinandersetzungen mit Positiven sind selten – so wurde mir das zumindest berichtet. Wer dagegen seine Infektion geheim hält, wird insofern auch nicht stigmatisiert. Ich fand einfach, dass es da so ein Dauerkribbeln gibt. Es ist nicht nur die direkte Diskriminierung, im Knast muss man viel mehr um seine Rechte kämpfen. Die medizinische Versorgung ist anders, man kann nicht einfach den Arzt wechseln, alles ist viel schwieriger und aufwendiger. Diese Probleme nehmen daher einen großen Raum ein.“

Da ist viel Angst, dass man vergessen wird

Hildegard: „Ja, die medizinische Information und Versorgung ist oft ein Thema. Es besteht große Sorge, dass die Medikamente, die draußen zur Verfügung stehen, im Knast nicht ankommen. Da ist viel Angst, dass man vergessen wird oder dass einem etwas vorenthalten wird. Es gibt Klienten, die hartnäckig sind, immer wieder Anträge schreiben und auf ihre Rechte pochen. Hier gibt es dann auch Bedienstete, die sie ein bisschen schmoren lassen. Das sind Erfahrungen, die draußen weniger gemacht werden. Hinter den Mauern muss alles vehement verfolgt werden, da fühlen sich Menschen mit HIV oft benachteiligt und stigmatisiert.“

Positive stimmen soll auch die Vernetzung untereinander anregen. Ist dies in Haft überhaupt möglich?

Hildegard: „Dazu kann ich erzählen, dass einer meiner Klienten Kontakt zur Aidshilfe aufgenommen hat, weil er gern ein positives Netzwerk finden möchte, um sich mit anderen auszutauschen. Leider ist der Besuch einer Gruppe draußen nicht so einfach, wir versuchen das aber zu organisieren. Meine Interviewpartner im Knast sind in verschiedenen Abteilungen, und ich glaube nicht, dass sie voneinander wissen.“

Manfred: „Wirklich vernetzen können sich die Häftlinge nicht. Meine Interviewpartner wissen alle von den jeweils anderen über die Beteiligung an positive stimmen. Ich glaube aber, dass diese Kontakte zueinander bereits vorher bestanden, man trifft sich ja auch auf den Informationsveranstaltungen z. B. der Aidshilfe und kommt da miteinander ins Gespräch.“

Es passiert viel, weil man sich Zeit nimmt

Welche Veränderungen wünschen sich Menschen mit HIV in Haft?

Hildegard: „In jedem Fall möchten sie sicher sein, dass sie gleichgestellt sind, was die medizinische Versorgung angeht. Sie möchten, dass man sich hier mehr um sie kümmert, sie ernst nimmt und sie nicht mehr so viel kämpfen müssen.“

Positive stimmen bringt Menschen mit HIV miteinander ins Gespräch. Wie war die Erfahrung hinter Gittern für euch?

Manfred: „Ich hatte den Eindruck, dass mein Gesprächspartner es gut fand, dass jemand da war, der zuhört – und das war auch für mich ein tolles Gefühl. Die Ebene, also dass wir auf Augenhöhe miteinander sprechen können, trotz unserer Unterschiedlichkeit, das hat uns glaube ich beide ziemlich beeindruckt.“

Hildegard: „Ich finde auch, bei diesem Projekt passiert viel allein dadurch, dass man sich Zeit für die Gespräche nimmt. Dass überhaupt jemand etwas über die Häftlinge wissen möchte, dass sie gefragt werden, weil sie als ‚wichtig genug‘ erachtet werden, dass ihre Meinung zählt und sie auch gehört werden, dafür ist viel Dankbarkeit spürbar. Und vielleicht kann auch einfach nur durch Zuhören viel von der Angst abgebaut werden. Und damit verändern wir die Welt – nicht nur in Haft!“

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