Kurz vor der 12. Interdisziplinären Fachtagung „HIV und Schwangerschaft“ Ende Januar in Schlangenbad (Taunus) lud die Deutsche AIDS-Hilfe zum Workshop „Let’s talk about Sex“ ein. Er ist Teil des DAH-Projekts „HIV/STI-Prävention und Beratung in der Arztpraxis“, das zur Verbesserung der Kommunikation in Sachen Sexualität beitragen will. Aus Schlangenbad berichtet DAH-Mitarbeiterin Katja Schraml.

Darüber zu reden will gelernt sein. Foto: Jetti Kuhlemann, pixelio.de
Darüber zu reden will gelernt sein. Foto: Jetti Kuhlemann, pixelio.de

Dass neben der Tagungsleiterin, den drei Referentinnen und der Protokollantin nur weibliche Teilnehmer zum Workshop im Roten Salon des Parkhotels gekommen waren, überraschte die Frauenrunde unter der Leitung von Dr. Annette Haberl nicht wenig: Männer sprächen doch sonst viel eher über Sex als Frauen, so die Erfahrung vieler Teilnehmerinnen. Auch wenn dieser Workshop-Neuling speziell auf das Arztgespräch mit Frauen zugeschnitten ist, hatte frau doch auch mit männlichen Interessenten gerechnet.

Weiblich“ und „sexuell“ wird oft nicht zusammengedacht

Das 2010 gestartete Fortbildungsprojekt hat sich bisher auf Ärztinnen und Ärzte mit gutem Zugang zu der von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STIs) am stärksten betroffenen Gruppe konzentriert, also auf Schwule und andere Männer, die Sex mit Männern haben. In den letztjährigen Seminaren entstand die Idee, die Fortbildung auch für die ärztliche Beratung von Frauen zu konzipieren. Hier, so hieß es, gebe es viele Kommunikationsbarrieren, wenn es um HIV und Sexualität gehe, besonders bei Migrantinnen. In Schlangenbad sollte die neue Seminarversion dann erstmals ausprobiert werden.

Seit 2011 versucht unser Projekt, auch solche Ärzte und Ärztinnen zu erreichen, die sich bisher kaum mit HIV und STIs befasst haben – mit mäßigem Erfolg. Auch im Schlangenbader Workshop fanden sich hauptsächlich Frauen, die sich im Praxisalltag mit dem Thema bereits auseinandersetzen. Die sieben Teilnehmerinnen – vier Gynäkologinnen, eine Internistin, eine Journalistin und eine Psychologin – waren sich einig, dass das Reden über Sexualität gelernt und geübt sein will, und zwar in der Arztpraxis wie in der Gesellschaft überhaupt. Oft werde „weiblich“ und „sexuell“ nicht zusammengedacht, und gerade die Best-Agers, also Frauen über 50, betrachte man mehr oder weniger als asexuelle Wesen. Auch dass eine Sexarbeiterin wegen einer STI in die Sprechstunde komme, aber nicht ihre Tätigkeit anspreche, sei ein Ausdruck davon.

Kommunikation über Sex ist „das täglich Brot der Gynäkologen“

In unseren Workshops hören wir immer wieder, dass Gespräche über Sexualität schwierig sind und viel Zeit in Anspruch nehmen. In manchen Praxen wird ein Extratermin dafür vereinbart, wenn zu viel los ist und das Anliegen nicht in Ruhe besprochen werden kann.

Der Bedarf der Ärztinnen und Ärzte an kommunikativem Know-how ist hoch. Die vor allem technisch ausgerichtete medizinische Ausbildung lässt keinen Raum für den Erwerb von Beratungs- und Verweisungskompetenzen. Viele unserer Seminarteilnehmer/innen geben zu erkennen, dass sie sich auf unsicherem Terrain bewegen, wenn es über Sex zu reden gilt. Das kann dazu führen, dass das Thema unangemessen bearbeitet oder ganz ausgeklammert wird.

Dabei sei die Kommunikation über Sex doch „das täglich Brot der Gynäkologen“, wie es Dr. Simone Casteleyn, Gynäkologin aus Berlin, in ihrem Referat ausdrückte. Aber auch für viele Patientinnen sei Sexualität ein Tabuthema. Das zeige sich unter anderem daran, dass nur die wenigsten Schwangeren die ärztliche Beratung zum HIV-Test nutzen, die Frauenärztinnen und -ärzte gemäß den Mutterschaftsrichtlinien anbieten sollen. In der Testberatung gehe es schließlich immer auch um das Sexualleben. Darüber zu sprechen sei besonders schwierig, wenn Frauen kaum über Grundwissen zum weiblichen Körper, den Monatszyklus oder die Geschlechtsorgane verfügen.

Sensibilität ist gefragt

Was kann gegen die „Sprachlosigkeit“ helfen? Einer Umfrage zufolge, die wir in unserem Fortbildungsprojekt bei schwulen Männern durchgeführt haben, wünschen sich die meisten Befragten, dass der Arzt sensibel genug sein sollte, um zu erkennen, ob (mehr) Informationen zu sexuellen Übertragungswegen gewünscht sind oder nicht. Auf keinen Fall sollte das Thema „einfach mal so“ auf den Tisch gebracht werden. Bei Gynäkolog(inn)en ist der aktuelle Anlass freilich oft augenfällig: „Wir reden nicht nur darüber, sondern können auch hingucken und sehen, was Sache ist“, so eine Gynäkologin über den Vorteil ihrer Fachdisziplin.

Was aber, wenn etwas entdeckt wird, was eigentlich gar nicht da sein kann? Bei einer Patientin, die seit über 20 Jahren verheiratet ist und mit Syphilis oder Tripper in die Praxis kommt, fragt man sich unweigerlich, wo die STI herkommt. Soll auch der Partner in die Praxis bestellt werden, um zu dritt darüber zu reden? Eine Workshopteilnehmerin meinte, daran komme man nicht vorbei, wenn man im Interesse der Frau handeln wolle. Doch wie weit soll eine Ärztin, ein Arzt gehen?

Ob die Kommunikation gelingt, hängt auch und gerade von „Soft Skills“ ab

Während die Ärztin bei der einen Patientin rätseln muss, wie sie das Thema angehen soll, wird sie von einer anderen wie eine Freundin zu Rate gezogen. „Manchmal sind wir die einzigen Gesprächspartner“, berichtete eine Teilnehmerin.

Der Verantwortungsdruck ist enorm, entsprechend hoch ist der Anspruch, im Einzelfall angemessen zu reagieren. Was sagt man einer HIV-positiven Patientin, die wissen möchte, wann der beste Zeitpunkt ist, dem Partner von der Infektion zu erzählen? Dass sie für solche Fragen zuständig sind, darüber sind sich alle Anwesenden einig. Aber müssen sie auch Lösungen anbieten? Viele meinen ja.

Die systemische Beraterin und Sozialtherapeutin Sandra Gödicke will die Mediziner/innen von diesem Druck entlasten: Nicht die Ärztin oder der Arzt müsse eine Lösung finden, sondern die Patientin. Man solle die eigenen Grenzen nicht überschreiten, sondern die Patientin bei Bedarf an andere Fachleute weiterverweisen. Ob die Kommunikation gelinge, hänge neben den Faktoren Zeit und Fachwissen vor allem von sogenannten Soft Skills wie Einfühlungsvermögen, Empathie und sensible Gesprächsführung ab. Fürs positive Outing gebe es keinen perfekten Zeitpunkt, so Gödicke, die diese Frage auch aus ihrer Arbeit bei der Aidshilfe Leipzig kennt. „Hier geht es für die Ratsuchende vielmehr darum, zu klären, welches für sie der richtige Zeitpunkt ist, mit dem Partner zu reden.“ Eigenverantwortung stärken, lebensweltakzeptierend beraten, kein Schuld zuweisendes „Warum?“ gebrauchen, aber auch nicht vor Fragen zurückscheuen: das sind, wie deutlich wurde, wichtige Strategien für ein gutes Gespräch.

„Qualitätszirkel Let’s talk about sex“ ermöglicht intensive Auseinandersetzung

Dass das Reden über Sex nicht so einfach ist, zeigte sich auch zum Ende des Workshops bei der Auswertung des Rollenspiels „Patientin wünscht Beratung zu Sexualität“. Eine der beiden Spielgruppen meinte, man habe gar nicht richtig über Sexualität gesprochen, sondern lediglich über HIV und Schwangerschaft, Partnerschaft usw. informiert. Spannend war für die Teilnehmerinnen, zu erkennen, wie sehr das Rollenspiel die Realität in der Arztpraxis widerspiegelte. Hat für eine „echtes“ Gespräch die Zeit nicht gereicht – oder scheute man sich, zur Sache zu kommen?

Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglicht seit Herbst 2011 der in Berlin gestartete „Qualitätszirkel Let’s talk about sex“, ein weiterer Baustein unseres Projekts „HIV/STI-Prävention und Beratung in der Arztpraxis“. In anderen Städten sind vergleichbare Angebote geplant. „Übung macht die Meisterin und verringert damit auch das Zeitproblem“, meinte eine Teilnehmerin in Schlangenbad.

 

Blogbeitrag „Let’s talk about Sex, Herr Doktor“

Blogbeitrag zum Thema „HIV und Schwangerschaft“

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