Der Hamburger Verein ragazza betreibt den ersten und weltweit einzigen Drogenkonsumraum ausschließlich für Frauen. Das Projekt ist in jeder Hinsicht ein Erfolg. Dennoch bestehen derzeit wenig Chancen, dass dieses bewährte Modell auch in anderen Städten übernommen wird. Von Axel Schock

Blick in den Konsumraum, Tisch mit Utensilien
Der weltweit einzige Drogenkonsumraum für Frauen findet sich in Hamburg

Fixerstuben retten Leben. Diese von Sozialarbeitern und Drogenselbsthilfe geprägte Parole ist längst wissenschaftlich untermauert.„Die Sterberate ging signifikant zurück, ebenso der Konsum in der Öffentlichkeit und die damit verbundenen Störungen“, fasst Professor Heino Stöver von der Universität Frankfurt/Main die Erfahrungen mit sogenannten Gesundheits- oder Drogenkonsumräumen in einer Studie zusammen. Zwei Dutzend solcher „Druckräume“ gibt es derzeit bundesweit. Der Konsumraum in der Hamburger Brennerstraße allerdings ist ein ganz besonderer: Er ist allein Frauen vorbehalten. Initiiert und betrieben wird er von ragazza e.V., einer Einrichtung, die sich speziell um die grundlegenden Bedürfnisse und die Versorgung von drogengebrauchenden Prostituierten in der Hansestadt kümmert.

„Wir stießen bei vielen Kollegen auf sehr viel Unverständnis“

Ein Frauenkonsumraum erschien den Macherinnen als logische und notwendige Erweiterung ihres Angebots. Im Mai 2000 konnte dieses Projekt in St. Georg dann tatsächlich realisiert werden. „Möglich wurde es, da es damals in Hamburg bereits eine sehr liberale Drogenpolitik gab und schon andere Druckräume bestanden“, erinnert sich Gudrun Grebe von ragzazza e.V. Kritisch sahen diesen Frauenkonsumraum hingegen ausgerechnet andere Hamburger Drogeneinrichtungen. „Wir stießen bei vielen Kollegen damals auf sehr viel Unverständnis“, sagt die ausgebildete Krankenschwester und Betriebswirtin Gudrun Grebe. Warum, argumentierten Kritiker, reichen die bereits vorhandenen gemischtgeschlechtlichen Druckräume nicht  aus?

Blick in den Druckraum: Tisch, Konsumutensilien
Hygienische Rahmenbedingungen reduzieren die gesundheitlichen Risiken

Doch Frauen, die der Beschaffungsprostitution nachgehen, stehen in der Hierarchie der Drogenszene an unterster Stelle, erklärt Grebe. „Eine Frau, die ‚nur‘ dealt, hat einen anderen Stand als eine konsumierende Frau, die anschaffen geht. Eine Frau wiederum, die nur anschaffen geht und keine illegalisierten Drogen nimmt, fühlt sich auch als etwas Besseres und professioneller als eine Frau, die anschafft und ihr Geld für Drogen ausgibt.“ Die Folge: Prostituierte verleugnen häufig ihre Arbeit. Themen, welche die Sexarbeit betreffen, trauen sich viele in gemischtgeschlechtlichen Settings nicht zu besprechen.

Heute zweifelt in Hamburg niemand mehr die Berechtigung dieses Gesundheitsraums an

Die Überzeugungsarbeit von ragazza e.V. hat sich gelohnt. Heute zweifelt in Hamburg niemand mehr die Berechtigung dieses Gesundheitsraums an. Hier können die Frauen in einem geschützten Umfeld und unter ärztlicher Aufsicht Drogen konsumieren, und dies sogar an allen sieben Tagen der Woche. Bei Notfällen wie etwa Überdosierungen ist sofort fachlich geschultes Personal zur Stelle. Die hygienischen Rahmenbedingungen reduzieren zudem die gesundheitlichen Risiken. Bis zu vier Plätze für den intravenösen Konsum oder sechs abgetrennte Rauchplätze stehen den Nutzerinnen zur Verfügung. Hier finden sie neben der medizinischen Betreuung ein breit gefächertes Überlebensangebot und auch einen Ort des Rückzugs aus der von Männern dominierten Szene und dem von Gewalt, Repression, Kriminalität und Strafverfolgung geprägten Alltag. Das Team – darunter Sozialpädagoginnen, Krankenschwestern, Medizinerinnen, Rechtsanwältinnen und Kulturvermittlerinnen – besteht ausschließlich aus Frauen. Das schafft nicht nur eine besondere Atmosphäre, sondern erleichtert es den Klientinnen, Vertrauen  zu fassen und offener über Themen wie Sexualität und Gesundheit zu sprechen.

Rückzugsmöglichkeit aus einer von Männern dominierten Szene

Für manche ist ragazza mit seinem Konsumraum einer der wenigen Orte, an dem Frauen als Drogengebraucherinnen akzeptiert sind, sich nicht verteidigen müssen und sich weder gesellschaftlichen Anfeindungen noch dem Druck der Szene ausgesetzt fühlen. Und nicht zuletzt ist es ein Ort, an dem sie einen würdevollen Umgang erfahren – etwas, das für viele dieser Frauen durch ihre besondere Lebenssituation alles andere als selbstverständlich ist. Bei einer Umfrage unter den Nutzerinnen gaben 80 Prozent an, sich unter Frauen wohler und geschützter zu fühlen. Zudem sei die Atmosphäre in einem reinen Frauenkonsumraum entspannter und stressfreier. 90 Prozent der Befragten gaben an, dass sie offener über ihre Probleme sprechen könnten und es ihnen leichter falle, Vertrauen zum Personal aufzubauen und Hilfsangebote anzunehmen.

Tisch mit Konsumutensilien
Für den sauberen Drogenkonsum werden Utensilien bereitgehalten

Der ragazza-Konsumraum ist insofern in jeder Hinsicht ein Erfolgsmodell. Und eines, das Schule machen sollte. Fragt sich, warum der Hamburger Drogenkonsumraum für Frauen auch nach über einem Jahrzehnt in Deutschland und sogar weltweit immer noch einmalig ist. „Die Einsicht, dass Frauen einen eigenen Druckraum durchaus benötigen, wird sich sicherlich noch weiter verbreiten“, ist sich Gudrun Grebe sicher. Auch in Hamburg seien schließlich die anfänglichen Ressentiments und Zweifel verschwunden.

Derzeit gibt es wenig Hoffnung auf Frauenkonsumräume in anderen Städten

„Derzeit habe ich aber wenig Hoffnung, dass in absehbarer Zeit in anderen deutschen Städten ein vergleichbares Projekt realisiert werden könnte“, stellt Gebre ernüchtert fest. Die letzte Eröffnung eines Druckraums im Bundesgebiet liegt bereits sieben Jahre zurück. Bei den derzeitigen politischen Verhältnissen hätten Forderungen nach neuen Konsumräumen kaum eine Chance, sagt Gudrun Grebe, geschweige denn solche speziell für Frauen. Wie es derzeit ausschaut, wird der Frauenkonsumraum in Hamburg auf absehbare Zeit weiterhin einzigartig – und ein weiterhin wichtiges Vorbild bleiben.

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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