„Wir machen den Sex für alle sicherer und die Gay Community gesünder.“ Dieses Versprechen geben die Organisatoren der am 1. April gestarteten schweizerischen Kampagne „Break the Chain“.

Risiko-Einschätzung per App: www.breakthechain.ch

Hintergrund: Ein wesentlicher Teil der HIV-Übertragungen passiert in den ersten Wochen nach einer Ansteckung, wenn die frisch Infizierten noch gar nichts von ihrer Infektion wissen, aber aufgrund der enormen Virenmenge hoch ansteckend sind. In sexuellen Netzwerken kann sich das Virus dann schnell verbreiten. Diese „Infektionskette“ will „Break the Chain“ unterbrechen – und ruft dazu auf, vier Wochen ausschließlich Safer Sex zu machen oder auf Sex zu verzichten. Im April soll es so in der Schweiz keine Neuinfektionen geben. Im Mai schließt sich dann eine große Testaktion an.

Initiiert wurde die Kampagne von der Aids-Hilfe Schweiz. Auf der Internetseite von „Break the Chain“ informieren kurze Filme und Artikel über die Risiken frischer HIV-Infektionen (medizinisch: „Primo-Infektionen“) und beschreiben die „Revolution“, die mit der Kampagne gestartet werden sollte. Auch eine App fürs Handy soll dabei helfen. Wer sie sich runterlädt, wird nach seinem Sexverhalten gefragt und bekommt eine Einschätzung, wie risikoreich es ist. Danach kann der Teilnehmer seinen Einsatz für den Monat wählen: Verzichtet er ganz auf Sex? Geht er stattdessen lieber joggen, hat er nur Sex mit Kondom? Die Wahl kann jeder für sich frei treffen. Regelmäßige Nachrichten und Tipps sollen helfen, den Monat und die eigenen guten Vorsätze durchzuhalten.

Doch wie nützlich kann so eine Aktion sein? Ist sie nur plakativ oder tatsächlich eine Revolution im Bereich der Prävention? Tim Schomann befragte dazu Dr. Dirk Sander, Schwulenreferent der Deutschen AIDS-Hilfe:

Die Macher von „Break the Chain“ versprechen sich von ihrer Aktion eine „Revolution“ – sie wollen die Infektionskette durchbrechen. Werden sie es schaffen?

„Der Erfolg einer Revolution hängt ja auch immer von der Zustimmung des Volkes ab“

Die Aktion ist von der Aufmachung sehr ansprechend, entspricht bestimmten Vorstellungen vom allgemeinen schwulen Lifestyle. Die ganze Aktion beruht auf einem mathematischen Modell, welches durchaus Plausibilität besitzt. Wenn alle sich in einem bestimmten Zeitraum so und so verhalten, dann hat das den und den Effekt. Ob die Kampagne ihr Ziel erreicht, darf aber bezweifelt werden, denn der Erfolg einer Revolution hängt ja auch immer von der Zustimmung des Volkes ab.

Die gesamte schweizerische schwule Community soll einen Monat entweder auf Sex verzichten oder Safer Sex praktizieren. Kann man das mit so einem Aufruf wirklich erreichen?

Dirk Sander ist skeptisch, ob die Schweizer Kampagne ihre Ziele erreicht. Foto: David Biene

Ich wünsche den Schweizer Kollegen viel Glück. Aus meiner Erfahrung hätte ich aber eher die Befürchtung, dass die sexuell aktiven Schwulen, die ja die Aktion gerade ansprechen will, mir den Vogel zeigen und dann für unsere Ansätze in der Prävention, die etwas nachhaltiger angelegt ist, gar nicht mehr empfänglich wären. Ich habe auch nie die Fantasie entwickelt, dass irgendwelche Ansagen von uns eine solche kurzfristige Durchsetzungsstärke hätten. Da sind wir eher bescheiden, wobei sich unsere Erfolge ja auch im europäischen Vergleich durchaus sehen lassen können.

Eine ähnliche Aktion gab es vor ein paar Jahren in der Schweiz schon mal. War sie erfolgreich?

Die Aktion, die unter dem Namen „mission possible“ im Jahr 2008 durchgeführt wurde und für drei Monate Safer Sex Werbung machte, wurde laut den Evaluationsergebnissen von der Schweizer Zielgruppe zur Kenntnis genommen und als Präventionskampagne erkannt und von einem Drittel der Befragten verstanden. Zustimmung erhielt sie aber eher von denen, die sowieso immer Safer Sex machten. Ob sie einen Einfluss auf das Verhalten hatte, konnte nicht eindeutig geklärt werden. Positiv war, dass sie das Bewusstsein für die hohe Viruslast zu Beginn der Infektion, also kurz nach der Ansteckung, bei vielen erhöht hat.

Was wäre denn eine bessere Präventionsstrategie, wenn das „Break the Chain“-Modell nicht praktikabel ist?

Praktikabel ist es, ob es die Ziele erreicht, wird man sich erneut fragen müssen. HIV-Übertragungen finden ja in den unterschiedlichsten Kontexten statt. Oft zum Beispiel aufgrund von Fehlannahmen oder Vermutungen, etwa „Er nimmt kein Kondom, also ist er wahrscheinlich HIV-positiv wie ich“. Oder in der Phase der Verliebtheit. Manchmal gibt es auch Situationen, in denen ein ansonsten konstantes Schutzverhalten unterbrochen wird. Und die Übertragungen in der Phase der Primoinfektion sind eben auch nicht zu unterschätzen.

„Wir gehen insgesamt nachhaltiger vor“

Wir gehen allerdings insgesamt nachhaltiger vor, versuchen die Leute mit besten Informationen zu versorgen, sie zu stärken in den immer wieder neuen Abwägungen zwischen Gesundheit und einem erfüllten Sexleben. Risiken wird es in der Sexualität immer geben, deshalb gehören negativ bleiben und positiv leben für uns zusammen. Und auf der anderen Seite fragen wir uns auch, welche strukturellen Bedingungen Gesundheit verhindern. Da geht es zum Beispiel um die oftmals schlechte regionale Versorgung mit Präventions- und Gesundheitsangeboten, um fehlenden Zugang, um den Einfluss von Stigmatisierungen sowie homofeindlichen Haltungen und Handlungen. Auf solche Wechselwirkungen zwischen den Verhältnissen und dem Verhalten machen wir immer wieder aufmerksam und setzen uns für Verbesserungen ein.

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