In Kuala Lumpur endet heute die siebte Konferenz der Internationalen AIDS-Gesellschaft zur Krankheitsentwicklung, Behandlung und Prävention der HIV-Infektion. Ein Fazit von Carsten Schatz, Mitglied im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe

Carsten Schatz
DAH-Vorstandsmitglied Carsten Schatz schreibt aus Kuala Lumpur

Neben einer Reihe medizinischer Nachrichten gibt es eine Botschaft aus Kuala Lumpur, die uns freuen sollte: Es gibt einen – aus meiner Beobachtung dramatischen – Perspektivenwechsel hin zu gesellschaftlichen Strukturen und sozialen Bedingungen der HIV-Epidemie. Nicht am Rande, sondern faktisch in allen Plenumsveranstaltungen sowie in einer Reihe von Workshops und Satelliten-Veranstaltungen wurden Probleme erörtert, Strategien diskutiert, Standpunkte erörtert, bei denen es darum ging, Menschen in die Lage zu versetzen, eigene Entscheidungen für den Schutz vor HIV zu treffen Umstände zu identifizieren, die sie daran hindern, und Ansätze zu entwickeln, individuelles Verhalten und gesellschaftliche Verhältnisse im Zusammenhang zu sehen.

Falsche Politik kann die HIV-Epidemie befeuern

Ein zentrales Thema der Konferenz und ein Beispiel, wie falsche Politik und Rahmensetzungen die Epidemie befeuern können, statt sie zu stoppen oder gar umzukehren, war die Situation Drogen gebrauchender Menschen in Osteuropa und Zentralasien. Das Verbot von Methadonprogrammen in Russland, verschärfte Strafverfolgung oder die Einstellung von Spritzentauschprogrammen haben gerade in dieser Region dazu beigetragen, dass sich mehr Menschen mit HIV infizieren anstatt weniger. Dass mehr Menschen an Aids sterben und dass Diskriminierung stärker wird. Der Staat zeigt ja mit seiner Verfolgung, dass es okay ist, diese Leute an den Rand zu stellen. Warum sollte es die Gesellschaft dann anders machen? So entsteht ein Mechanismus, dem zu entrinnen schwer möglich ist.

Ähnliches droht schwulen Männern, die epidemiologisch – zumindest laut offizieller Statistik – bislang kaum eine Rolle in dieser Region spielen. Andererseits wissen wir auch aus einer Studie aus 2009, dass Homophobie dazu führt, eine andere Infektionsursache anzugeben, um sich nicht als schwul outen zu müssen.

Angesichts der enormen Möglichkeiten der sogenannten biomedizinischen Ansätze fragen sich auch immer mehr Medizinerinnen und Mediziner, warum die Trends nicht eindeutiger sind. Nur in wenigen Ländern ist es gelungen, die Epidemie zu stabilisieren oder umzukehren. Andere Studien zeigen deutlich: Es geht um die Verhältnisse. Wer ausgegrenzt und kriminalisiert wird, ist anfälliger für gesundheitliche Risiken wie HIV. Eine Zahl ist augenfällig: Schauen wir uns die HIV-Raten unter schwulen Männern in Sambia und Kuba an, fällt auf: 20 Prozent in Sambia, ein Prozent auf Kuba. In Sambia wird Homosexualität kriminalisiert, in Kuba nicht. Zufall? Nein, meinen auch Experten von UNAIDS.

Insgesamt eine Erkenntnis, die wichtig für uns ist. Wenn es um Strukturen geht, haben wir eine Menge zu erzählen, viele Erfahrungen auf den Tisch zu legen, gute und schlechte, aus denen andere lernen können.

 

4.7.2013: Update nach Ende der Konferenz 

Die Konferenz der Internationalen AIDS-Gesellschaft zur HIV-Pathogenese, Behandlung und Prävention in Kuala Lumpur ging am Abend des 3. Juli zu Ende. Rund 5.200 Delegierte machten sie zur größten dieser Konferenzen bislang. Zum ersten Mal fand sie in Asien und in einem islamisch geprägten Land statt.

Die Konferenz in Kuala Lumpur wird in Erinnerung bleiben – nicht zuletzt wegen der neuen Leitlinien der WHO für die HIV-Behandlung, die kurz vor der Konferenz vorgestellt wurden. Viele Präsentationen und Diskussionen stützten die Annahme, die hinter der Veränderung der bisherigen Behandlungsempfehlungen steht: Eine frühe HIV-Therapie kann die Entzündungsprozesse aufhalten, denen viele Langzeitpositive heute gegenüberstehen, und die trotz der Erfolge der Therapien, die das Immunsystem wiederherstellen, zu Erkrankungen und verminderter Lebenserwartung beitragen können. Stichworte sind in diesem Zusammenhang frühes Altern, Herz-Kreislauf-, Krebs- und neurologische Erkrankungen. Wer mehr darüber wissen will, dem sei die umfangreiche Berichterstattung von Siegfried Schwarze empfohlen: http://www.hivandmore.de/kongresse/ias2013. Weitere Berichte und Videomittschnitte von Veranstaltungen sind unter http://www.aidsmap.com/ias2013 zu finden. Leider nicht auf Deutsch. Aber das hatten alle Teilnehmenden hier zu tragen.

Was wird für die Deutsche AIDS-Hilfe wichtig sein?

Die Vereinten Nationen arbeiten gerade an einer neuen Fassung der Millennium Development Goals (MDGs), der im Jahr 2000 von den Vereinten Nationen beschlossenen Millennium-Entwicklungsziele bis 2015. Im ersten Entwurf ist im Gegensatz zu den „alten“ MDGs, wo in Ziel 6 noch von einem Stopp und einer Umkehr der HIV-Epidemie die Rede war, nur noch eine Verminderung der Last durch HIV/Aids erwähnt.

Prasada Rao aus Indien, Sondergesandter des UN-Generalsekretärs für AIDS im asiatisch-pazifischen Raum, rief dazu auf, bei den nationalen Regierungen für eine möglichst konkrete Zielsetzung zu werben. Das bereits im letzten Jahr auf der Welt-Aids-Konferenz in Washington formulierte Ziel einer aidsfreien Welt bis zum Jahr 2030 könnte ein solches Ziel sein, fügte er hinzu.

Ich meine, auch wir in Deutschland sollten unseren Beitrag dazu leisten, nicht hinter die MDG2000 zurückzufallen. Die Möglichkeiten sind größer geworden. Also sollten auch die Ziele größer und nicht kleiner werden.

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