Ob als Mitstreiter bei positiv e.V., der Organisationsgruppe der bundesweiten Positiventreffen im Waldschlösschen, die er seit 1986 mit durchführt, ob als pädagogischer Mitarbeiter des Waldschlösschens, wo viele Aus- und Fortbildungsveranstaltungen der Deutschen AIDS-Hilfe stattfinden, die er mit vorbereitet und begleitet, oder als Aktivist in der Aidshilfe-Bewegung: Wolfgang Vorhagen hat unsere Arbeit seit vielen Jahren geprägt, nicht zuletzt als Mitglied im Delegiertenrat und im Landesvorstand der Niedersächsischen Aids-Hilfen. Martin Dannecker widmete ihm auf seiner Geburtstagsfeier in seiner Stadtheimat Berlin eine sehr persönliche Rede, die wir hier gern dokumentieren, bringt sie doch auch unseren Dank an Wolfgang zum Ausdruck. Herzlichen Glückwunsch, Wolfgang – und danke für Deine Arbeit!

Carsten Schatz für den Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe e.V.

Und hier Martin Danneckers Rede:

Die DAH gratuliert einem jung gebliebenen Silver Ager! (Fotomontage: privat)
Die DAH gratuliert einem jung gebliebenen Silver Ager! (Fotomontage: privat)

Lieber Wolfgang,

selbstverständlich habe ich mich anlässlich Deines sechzigsten Geburtstags gefragt, wie lange wir uns schon kennen. Und gleich im Anschluss an diese Frage tauchte die viel wichtigere Frage nach dem Anfang unserer Freundschaft auf. Aber so sehr ich auch in meinen Erinnerungen gekramt habe: Ich konnte beides nicht beantworten. Ich erinnere mich nicht einmal genau an unsere erste Begegnung. Diese wird im Zusammenhang Deiner und meiner Arbeit gestanden haben und im Waldschlösschen situiert gewesen sein. Und das muss ziemlich lange her sein. Auch unsere Freundschaft hat nicht mit einem Paukenschlag begonnen. Wäre das so, würde ich mich daran erinnern. Aber mit einem Paukenschlag beginnen Freundschaften nur selten. Ein solcher ist eher mit dem Anfang einer Liebe verschwistert. Freundschaften entwickeln sich oft langsam nach einer mehr oder weniger zufälligen Begegnung. So war es auch bei uns.

Einen Freund würde ich jenen nennen, der einem hilft zu leben

Woran aber merken wir, ob wir mit jemand gut befreundet sind oder ob wir mit diesem jemand nur gut, vielleicht sogar sehr gut bekannt sind? Einen Freund würde ich jenen nennen, der einem hilft zu leben. Und in diesem Sinne bist du nun seit geraumer Zeit mein Freund. Es sind die Gespräche mit Dir, zu denen wir uns nun schon seit einigen Jahren in regelmäßigen Abständen, zumeist im „Einstein“ treffen, bei denen wir uns ungehemmt über unsere Verhältnisse in all ihren Verästelungen unterhalten, die mir mein Leben, auch da, wo es nicht ganz einfach war, verständlicher und oft auf durchsichtiger gemacht haben. Bewerkstelligt wurde das durch deine Bereitschaft, mir zuzuhören und alles, was mir einfiel, an Dich hinreden zu dürfen.

Für Freundschaften begabt: Wolfgang Vorhagen auf seiner Geburtstagsfeier (Foto: privat)
Für Freundschaften begabt: Wolfgang Vorhagen auf seiner Geburtstagsfeier (Foto: privat)

Schon das allein hat so manches geklärt, egal, ob es um Arbeit, Liebe oder Sexualität gegangen ist. Aber was mich wirklich weitergebracht  hat, waren Deine Analysen in solchen Situationen, die gar nicht so selten in einem beherzten Ratschlag mündeten, das vielleicht besser nicht zu tun oder das, was ich tue und denke, anders zu betrachten, als ich das bis zu den Gesprächen mit Dir getan habe. Eingeleitet wurden Deine Ratschläge fast immer von der rhetorischen Figur: „Also mein Lieber, ich glaube … “ Ich habe dieses „mein Lieber“ nie als herablassend empfunden, sondern immer das Gefühl gehabt, dass Du mit dieser Bezeichnung ganz emphatisch ausdrücken wolltest, dass die Freundesliebe Bestand hat, auch wenn ich mich, oft durch mein eigenes Zutun, in erhebliche Schwierigkeiten verstrickt hatte. Ist es nicht das, wonach wir uns bei einem Freund sehnen? Der geliebte Freund zu bleiben, auch nachdem wir etwas von unseren weniger liebenswerten und problematischen Seiten offenbart haben.

Beim Nachdenken über unsere Freundschaft ist mir ein Aphorismus von Adorno aus den „Minima Moralia“ in den Sinn gekommen. Und das ist selbstverständlich nicht zufällig. Dort heißt es: „Geliebt wirst Du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren“. Dass dieses Wort auf Freundschaft und nicht auf Liebesbeziehungen gemünzt war, scheint mir unabweislich. Das Geheimnis guter Freundschaften besteht demnach aus dem gegenseitigen Bewusstsein, sich immer wieder schwach zeigen zu können, ohne Sanktionen, die aus einer falsch verstandenen Überlegenheit und Stärke erwachsen, befürchten zu müssen. Und das Geheimnis guter und großer Freundschaften besteht aus dem lebendigen Bewusstsein, auch in den jeweiligen Schwächen ernst genommen zu werden.

Für Freundschaften begabt

Du wirst es bereits bemerkt haben, mein Lieber: Ich bin dabei, Dir einen Lorbeerkranz als einem für Freundschaften Begabten zu winden.  Wärst Du das nicht, dann wäre der Kreis Deiner guten Freunde nicht so groß, wie es der heutige Abend zeigt. Gewiss, auch Du hast Freundschaften aus ganz eigennützigen Gründen geschlossen, weil sie zu Deinem guten Leben beitragen sollten. Freundschaften sind also einerseits von dem Wunsch nach dem eigenen Wohlleben motiviert. Aber das eigennützige Interesse am eigenen Wohlleben trägt ohne das Interesse am Wohlleben der Freunde nicht weit.

Wolfgang Vorhagen und Martin Dannecker bei einem gemeinsamen Seminar im Waldschlösschen (Foto: Akademie Waldschlösschen)
Wolfgang Vorhagen und Martin Dannecker bei einem gemeinsamen Seminar im Waldschlösschen (Foto: Akademie Waldschlösschen)

In einem der Seminare, die wir beide gemeinsam seit Jahren im Waldschlösschen veranstalten und in denen wir versuchen auszuloten, was ein gutes schwules Leben sein könnte, auch wenn die Titel der Seminare eher prosaisch klingen, ging es auch um Freundschaften unter schwulen Männern. Dort habe ich die berühmte Klage von Sokrates „Oh Freunde, es gibt keinen Freund“ erwähnt, und zwar in der Absicht, die Skepsis von Sokrates gegenüber der Wahrscheinlichkeit zuverlässiger und dauerhafter Freundschaften am Beispiel der Freundschaften der schwulen Männer zu widerlegen. Eingefallen ist mir das wieder nach einem Gespräch, das ich kürzlich mit Dir geführt habe. Gesprochen hast Du dabei bewegt über die Zahl Deiner Freunde. Und Du hast Dich darüber gewundert, wie hocherfreut sie Deiner Einladung zu Deiner Geburtstagsfeier gefolgt sind.

Viele Deiner Freundschaften haben ihren Ausgang in Deiner Arbeitswelt genommen

Offenbar scheint Dir entgangen zu sein, dass Du die Gestaltung von guten Freundschaften zu einer Lebensaufgabe gemacht hast. Nur deshalb, weil du das getan hast, läufst Du im hohen Alter von sechzig nicht vereinzelt durch die Welt, sondern bewegst Dich in ihr  eingebettet in Freundschaften. Wie sehr Dir an guten Freundschaften gelegen sein musste, zeigt sich daran, dass viele Deiner Freundschaften, so wie auch die unsrige, ihren Ausgang in Deiner Arbeitswelt genommen haben. Dein Gespür für gute Freundschaften und Dein Interesse an ihnen muss dazu geführt haben, dass Dir der eine oder die andere Teilnehmer_in oder der eine oder die andere Referent_in  den von Dir orchestrierten Seminaren ins Auge fiel. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Denn so wie ich werden sich einige gefragt haben, wer denn der mitunter so strenge und zugleich schillernde Mann ist, der da das pädagogische Zepter führt.

Über Deine Arbeitswelt und wie Du Dich in ihr bewegst, will ich doch noch ein paar Worte sagen. Ich bin, wenn wir uns Gedanken über ein weiteres Seminar machen, immer wieder erstaunt, wie produktiv solche Arbeitstreffen mit Dir sind. Was mir aber jedes Mal besonders auffällt, ist Deine aus Deiner jahrelangen pädagogischen Praxis resultierende Fähigkeit, den Einfällen und Gedanken einen Rahmen zu geben. Während ich noch dabei bin zu zergrübeln, was wir besprochen haben, gießt Du unsere Einfälle in einen Seminarplan mit Datum und Uhrzeit. Das ist ganz und gar überzeugend, so dass mir keine andere Wahl bleibt, als Dir willig zu folgen. Dass in unseren Seminaren gearbeitet werden muss und sie nicht nur zum Wohlfühlen da sind, daran lässt Du schon bei den Vorbesprechungen keine Zweifel, und trotzdem ist die Arbeit mit Dir in den Seminaren überwiegend lustvoll. Diese Lust erwächst nicht zuletzt aus dem Interesse an den uns auch persönlich umtreibenden Fragen nach einem guten schwulen Leben jenseits aller normativen Vorstellungen bürgerlicher Wohlanständigkeit.

Unglaublich viele Seminare zu schwulem Leben und zu HIV/Aids

Aber unsere Seminare sind gemessen an den Veranstaltungen, die Du seit Jahrzehnten im Waldschlösschen anregst, organisierst und leitest, nur eine Petitesse. Ich habe mir im Hinblick auf meine Rede die Mühe gemacht, das Programm des laufenden Jahres der Akademie Waldschlösschen nach den von Dir angeleiteten und konzipierten Seminaren durchzuforsten. Es sind unglaublich viele. So viele, dass ich mich frage, wie Du das alles bewältigst. Dabei geht es vor allem um zwei große Themen, nämlich um schwule Männer, schwule Sexualität und schwules Leben und um HIV und Aids. Besonders hervorheben möchte ich zu letzterem die bundesweiten Positiventreffen, die Du sozusagen kuratierst. Vor wenigen Tagen fand das 163. Treffen dieser Art statt, und Ende des Jahres wird die Zahl 169 betragen.

"Unglaublich viele" Seminare leitet Wolfgang Vorhagen im Waldschlösschen (Foto: Akademei Waldschlösschen)
„Unglaublich viele“ Seminare leitet Wolfgang Vorhagen im Waldschlösschen (Foto: Akademie Waldschlösschen)

Auf dem letzten Positiventreffen hatte ich einmal mehr die Gelegenheit, die Dir eigentümliche Pädagogik zu beobachten. Es ist eine bemerkenswerte Mischung aus Strenge und Nachgiebigkeit, mit der Du zu Werke gehst. Wobei – und das scheint mir das Eigentümliche zu sein – Du erst einmal streng und unnachgiebig erscheinst und erst im zweiten Schritt nachgiebig wirkst. Es kommt mir immer so vor, als ob Du damit ausdrücken möchtest, dass Du das Heft erst dann aus der Hand zu geben bereit bist, wenn klar ist, wer das Heft in der Hand hat. Aber das Konzept ist, wie ich aus vielen Erfahrungen mit Dir weiß, ausgesprochen erfolgreich.

Wolfgang Vorhagen hat den Diskurs über schwule Männer und HIV/Aids maßgeblich geprägt

Eines möchte ich zum Schluss  noch klar und deutlich sagen: Wolfgang Vorhagen ist aus dem Diskurs, der in den vergangenen Jahrzehnten über schwule Männer und HIV/Aids geführt wurde, nicht wegzudenken, weil er ihn maßgeblich geprägt hat. Das wird in unserer publikationsversessenen Kultur, die unter Diskurs vor allem das schriftlich Fixierte versteht, oft übersehen. Dabei hat Wolfgang bei seinen beiden Schwerpunktthemen oft auch einen Gegendiskurs zu dem jeweiligen Mainstream organisiert und vor allem auch gegen die Aidshilfen immer wieder den Stachel gelöckt.

Dass Deine Arbeit nicht ohne Wirkung war, wirst Du wissen, weil Du es oft erfahren hast. Aber ich glaube, dass Du Deine Wirkung mitunter unterschätzt, weil Du der Nachwelt keine Bücher und Aufsätze hinterlassen hast.

Bislang bist Du zwar noch nicht dazu gekommen, alles, was Du bewegt und in Gang gesetzt hast, aufzuschreiben. Aber in absehbarer Zeit wirst Du weniger eingespannt sein, weil Deine Arbeit im Waldschlösschen zu Ende geht. Und dann, mein Lieber, solltest Du in die Tasten hauen und Deine eigene Geschichte, die so tief verbunden  mit der Geschichte der schwulen Bewegung und der Aids-Bewegung ist, zu Papier bringen.

Entschlössest Du Dich dazu, wäre mein Glück, mit Dir befreundet zu sein, noch größer.

Martin Dannecker, Berlin, Januar 2014

Weiterführende Informationen zu den Positiventreffen im Waldschlösschen:

„So was gibt Kraft“

Gelebte Vielfalt, gelebte Selbsthilfe 

 

 

Zurück

Manifeste Homosexuellen-Feindseligkeit

Weiter

Aktiv gegen Diskriminierung im Gesundheitswesen

Über

Gastbeitrag

Gastautor_innen schreiben für magazin.hiv

1 Kommentar

  1. Danke, Martin Dannecker für diese wunderbare Freundschaftslaudatio, an der ich an vielen vielen Stellen herzlich schmunzeln musste, so treffend hast Du Wolfgang beschrieben. Und auch von mir einen herzlichen Glückwunsch an Wolfgang Vorhagen zum Sechzigsten!
    Michael Jähme

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

4 + 3 =

Das könnte dich auch interessieren