Um die 1.500 an Hämophilie Erkrankte wurden Anfang der 1980er in Deutschland durch Blutprodukte mit HIV infiziert, viele Tausend zudem mit Hepatitis C. Waltraud, heute 77, gehört zu den etwa 400 Überlebenden, die noch Unterstützung von einer eigens eingerichteten Stiftung erhalten. Deren Finanzierung ist jedoch gefährdet. Ein Interview von Axel Schock

Waltraud, wie hast du erfahren, dass du HIV-positiv bist?

Das war 1989, als ich an der Hüfte operiert werden sollte und ich vor der OP routinemäßig auch auf HIV untersucht wurde. Ich hatte diesem Test zugestimmt, denn ich hatte ja nichts zu befürchten. Umso mehr hat mich dann das Testergebnis getroffen.

„In den ersten Jahren bin ich durch die Hölle gegangen“

Wie bist du damals damit umgegangen?

In den ersten Jahren bin ich durch die Hölle gegangen. Ich hatte ja die „Lustseuche“, so sah man das damals. Ich wusste nicht, wem ich anvertrauen konnte, dass ich mit HIV infiziert war. Wie sollte ich meinen Verwandten, meinen Bekannten, meinem Mann klarmachen, dass ich HIV-positiv bin, ohne dass ich fremdgegangen bin?

Heute wird weitestgehend sichergestelle, dass Blutproduklte kein HIV enthalten.
Heute wird weitestgehend sichergestellt, dass Blutprodukte kein HIV enthalten.

Wie konntest du sichergehen, dass du über Blutprodukte infiziert worden warst?

Zu jenem Zeitpunkt war bereits bekannt, dass von dem Faktor-8-Präparat eine große Infektionsgefahr ausgegangen war. Ich musste allerdings einen Anwalt einschalten, damit mir das Krankenhaus meine Patientenakte aushändigte. Durch die Poolnummer des Medikaments, das ich bekommen hatte, konnte man eindeutig belegen, dass es HIV enthielt.

Rund 1.500 Menschen wurden in den 1980ern nachweislich durch Blutprodukte mit HIV infiziert – selbst dann noch, als die Gefahrenquelle bereits bekannt war. Die Pharmaindustrie aber scheute die Kosten, alle Blutplasma-Produkte sicherheitshalber einzuziehen und zu erhitzen, um die Viren dadurch abzutöten. Warum hat es so lange gedauert, bis die Betroffenen entschädigt wurden?

Wir mussten ja erst einmal durch Deutschland ziehen und auf Demonstrationen um unsere Anerkennung kämpfen. Die verantwortlichen Firmen hatten Angst vor einer Klage und versuchten, uns mit einer einmaligen Zahlung abzuspeisen. 30.000 DM bot mir die Pharmafirma damals an – dafür, dass meine Gesundheit im Eimer war. Im letzten Satz der Vereinbarung hieß es zynisch: „Damit sind auch die Beerdigungskosten abgedeckt“. Das wollte ich nicht unterschreiben.

„Wir mussten ja erst einmal um unsere Anerkennung kämpfen“

Meinem Anwalt hatte man zu verstehen gegeben, dass ich dann eben leer ausgehen würde. Ein Prozess würde sich viele Jahre hinziehen, das Urteil würde ich dann ohnehin nicht mehr erleben. Damals sind die Leute ja umgefallen wie die Fliegen. Wenn man die Diagnose erhielt, kam dies einem Todesurteil gleich.

1993 wurde das Versagen des Bundesgesundheitsamts und der Pharmaindustrie in einem Untersuchungsausschuss aufgerollt. Anschließend gründete man die Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“, aus deren Fond die Betroffenen monatliche Leistungen erhalten sollten.

Gesundheitsministerin Rita Süssmuth hat das damals in die Hand genommen und die ganze Sache forciert. Und die Verantwortlichen – Politik, Rotes Kreuz und die Pharmafirmen – zahlten in diesen Fond ein, aus dem wir alle eine Rente erhalten sollten. Der spätere Gesundheitsminister Seehofer bat alle infizierten Bluter um Verzeihung, aber nicht im Namen der Politiker. Das wäre einem Schuldeingeständnis gleichgekommen.

„Ich sehe nicht ein, warum ich sie aus ihrer Verantwortung entlassen sollte“

Es gab keine Verurteilungen.

Es war eine solche Ungerechtigkeit! Nicht, dass man uns infiziert hat, als man die Gefahr noch nicht kannte. Aber dass sie aus Profitgründen diese Gefahrenquelle nicht abstellten, dass die Pharmaindustrie ihre Verantwortung lange einfach abstritt, obwohl sie es besser wusste, das ist unerhört und grenzt genaugenommen an Mord oder versuchten Mord.

Die Deutsche Hämophiliegesellschaft vertritt die Interessen der infizierten Bluter.
Die Deutsche Hämophiliegesellschaft vertritt die Interessen der infizierten Bluter.

Ich bin an und für sich kein rachsüchtiger Mensch. Aber die Verantwortlichen haben nachweislich gewusst, welchem Risiko sie uns aussetzten. Dafür sollen sie nun bitte auch geradestehen. Ich sehe nicht ein, warum ich sie aus ihrer Verantwortung entlassen sollte.

War die Entschädigung ein Weg, um wenigstens so Genugtuung zu bekommen?

Wichtig war vor allem der finanzielle Aspekt. Die meisten der durch die Präparate infizierten Hämophilen konnten aufgrund der Erkrankung nicht mehr arbeiten. Viele hatten eine Familie und unwissentlich auch ihre Ehepartner angesteckt.

Besonders für die Jüngeren war diese Entschädigungsrente sehr wichtig, denn sie hatten noch keine Gelegenheit gehabt, sich eine ausreichende Rente aufzubauen. Ich war zwar bereits 46 Jahre alt, als ich infiziert wurde, aber ich hätte von meiner regulären Rente niemals leben können. Meine Gesundheit ist im Eimer, die bringt mir auch viel Geld nicht zurück. Die Nebenwirkungen, die die HIV-Medikamente auslösen können, habe ich nach und nach alle auch bekommen. Aber ich kann mir durch diese Zusatzrente Dinge zur Erhaltung meiner Gesundheit leisten und mir das Leben ein wenig erleichtern, was mir sonst niemals möglich wäre.

„Fast alle, mit denen ich damals für die Entschädigung gekämpft habe, sind mittlerweile tot“

Von den rund 1.500 Menschen, die Anspruch auf diese Zahlungen hatten, leben heute nur noch etwa 400.

Fast alle, mit denen ich damals für die Entschädigung gekämpft habe, sind mittlerweile tot. Denn die meisten hatten sich nicht nur mit HIV, sondern auch mit Hepatitis C infiziert und sind dank der HIV-Therapie nicht an Aids, aber an Leberzirrhose gestorben.

Waltraut will Gerechtigkeit.
Waltraud will Gerechtigkeit für infizierte Hämophile.

Wir hatten damals eine Abfindung gefordert, aber das war den Herrschaften zu teuer. Sie boten uns stattdessen eine Rente und spekulierten darauf, dass wir alle ohnehin bald sterben würden. Dass dann aber bessere HIV-Medikamente kamen, damit hatten sie nicht gerechnet.

Wenn sie uns nun die weitere Zahlung der Entschädigungsrente verweigern, werden wir notfalls wieder darum kämpfen. Wir werden vielleicht nicht mehr demonstrieren gehen, aber dann nutzen wir eben die Medien, um immer wieder auf diese Wunde zu drücken.

Bin ich denn unverschämt, wenn ich fordere, dass sie mir die Rente zahlen sollen, die sie mir bis zum Lebensende versprochen haben?

 

Weiterführende Links:

Bericht über eine Studie zur Lebenssituation der betroffenen Leistungsempfänger

Forderungen der Deutschen Hämophiliegesellschaft zur Entschädigungsregelung

„Entschädigung für HIV-infizierte Bluter vorläufig gerettet“ (Beitrag auf rp-online.de vom 30.5.2014)

„Allianz des Schweigens“ – d@h_blog-Beitrag zum TV-Drama „Blutgeld“

Videostatement von Waltraud zum Welt-Aids-Tag 2011

 

 

 

 

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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