Seit Beginn der Fußball-WM in Brasilien machen Sexarbeiter_innen an den Austragungsorten des Events mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf ihre Anliegen aufmerksam. Über die Hintergründe dieser Offensive berichtet die Soziologin Friederike Strack, die bis 2013 für die brasilianische Prostituiertenorganisation Davida tätig war.

Als am 14. Juni in Belo Horizonte Kolumbien gegen Griechenland antrat, machten Sexarbeiter_innen von Aprosmig, dem Prostituiertenverband des Bundesstaates Minas Gerais, ihr eigenes Spiel: In einer Straße der Stadt, in der sich ein Stundenhotel befindet, kickten sich Prostituierte vom „Huren Fußball Club“ in Brasilien-T-Shirts den Ball zu. „Wir wollen die Fußballweltmeisterschaft dazu nutzen, um über die Rechte von Sexarbeiter_innen zu diskutieren“, erklärte die Aprosmig-Vorsitzende Cida Vieira.

In die Offensive für ein Stück vom WM-Kuchen

Bereits 2013 hatten die Prostituierten beschlossen, sich ein Stück vom WM-Kuchen abzuschneiden und in die Offensive zu gehen. Für die Kolleg_innen wurden kostenlose Englisch- und Spanischkurse organisiert, wo sie sich den gewerbespezifischen Wortschatz und die wichtigsten Vokabeln zur Durchsetzung der Kondomnutzung aneignen konnten. Die Verständigung mit den ausländischen Fans sollte schließlich gut funktionieren.

„Wir haben täglich Kontakt zu Ausländern auf der Straße und in den Clubs. Wir wollten uns fortbilden, um bessere Dienstleistungen anzubieten und von der Weltmeisterschaft zu profitieren.“ Die brasilianische Sparkasse wiederum ging eine Kooperation mit den Sexarbeiter_innen ein, um den Kunden die Bezahlung per Kreditkarte zu ermöglichen.

Eine besonders hohe Nachfrage erhofften sich die Prostituierten in den WM-Austragungsorten. Aber bald gab es die ersten Enttäuschungen: Die Fußballfans von heute besuchen Bordelle eher selten, was sich auch schon in den Weltmeisterschaften 2006 in Deutschland und 2010 in Südafrika gezeigt hatte. Besonders in Brasilien sind die Kosten für Unterkunft und Verpflegung in den letzten Jahren extrem gestiegen, wodurch der FIFA-Event auch für die Fans teurer wird.

Enttäuschend geringe Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen

Noch dazu sind die Fans viel mehr damit beschäftigt, das nächste Flugzeug zu den oft mehrere tausend Kilometer entfernten Austragungsorten zu erwischen, als Prostituierte aufzusuchen. Manche Sexarbeiter_innen mutmaßen, die Kunden aus europäischen Ländern seien nach dem Ausscheiden ihrer Mannschaften ohnehin schon abgereist. Aber gerade sie werden besonders geschätzt: Sie seien oftmals gesundheitsbewusster und „sie bezahlen ohne zu klagen, nicht so wie die brasilianischen Männer“, wie eine Prostituierte in Belo Horizonte meint.

Eine geringe Nachfrage in den WM-Austragungsorten Rio, Fortaleza, Recife, São Paulo und Brasília hat auch das „Observátorio da Prostituição” beobachtet, ein Zusammenschluss von Wissenschaftler_innen und der Prostituiertenorganisation Davida. Viele der Saunen und kleinen Clubs im Zentrum von Rio de Janeiro haben wegen des geringen Betriebs sogar geschlossen. Scharen von Prostituierten sind in die Strand- und Hotelviertel Copacabana und Ipanema abgewandert, um in der Umgebung des FIFA-Fanfests nach Kunden zu suchen.

Doch auch hier werden die Erwartungen nicht erfüllt: „Bei den meisten handelt es sich um Touristen aus südamerikanischen Ländern, die ärmer als Brasilien sind“, sagt Indianara Siqueira, die seit 25 Jahren anschafft. „Ausländer, die Geld haben, wie etwa Amerikaner und Europäer, meiden aus Angst die Straßenprostitution. Ich habe aufgehört, während der WM zu arbeiten.“

Warnungen vor Straftaten im Prostitutionsumfeld halten Kunden ab

Auch in São Paulo läuft seit WM-Beginn das Geschäft schlechter als sonst, vor allem wird kaum Geld für Getränke in den Bars ausgegeben. Angesichts der Reisewarnungen des Auswärtigen Amts an die deutschen Fans – laut Schätzungen der mobilen Fanbotschaft etwa 7.000 – ist das kein Wunder: „Auf Straftaten im Umfeld der Prostitution (Diebstähle, Raub, Überfälle etc.) wird besonders hingewiesen. Berüchtigt ist die Verabreichung von Getränken mit Schlaf- bzw. willensverändernden Mitteln.“

Das US-Außenministerium empfiehlt sogar, nur in den USA gekaufte Kondome zu benutzen, falls es zu Intimkontakten komme. Schließlich könne es im Siegestaumel in Verbindung mit Alkohol leicht passieren, dass man zu ungeschütztem Sex aufgefordert werde. Doch wegen der Warnungen suchen die knapp 20.000 US-amerikanischen Fans die Rotlichtviertel gar nicht erst auf.

Die brasilianische Regierung schließlich stuft den Sextourismus als Sicherheitsrisiko ein. Schon bei der Einreise nach Brasilien werden die Fans verschreckt. An den Migrationskontrollen der Flughäfen hängen Plakate, die einen Mann hinter Gitterstäben zeigen, um Ankommenden zu verdeutlichen, dass die brasilianische Gastfreundschaft Grenzen hat.

Sextourismus als angebliches Sicherheitsrisiko

„Wenn Sie Sextourismus suchen, haben wir bereits das beste Zimmer der Stadt reserviert“, heißt die Botschaft in dicken Lettern, womit der Eindruck erweckt wird, in Brasilien sei Prostitution illegal. Das tatsächliche Ziel der Kampagne, Kinder vor sexueller Ausbeutung zu schützen, steht dagegen kleingedruckt am unteren Ende des Posters.

Auch manche Politiker kolportieren in Brasiliens Medien, dass Sextourismus verboten sei. Doch sexuelle Dienstleistungen sind in Brasilien legal, und welchen Pass der Freier hat, spielt bei ihrer Inanspruchnahme keine Rolle. Ein Bordell zu führen, gilt jedoch als Straftat, weshalb die Polizei jederzeit Razzien durchführen kann.

Ein 2012 von dem linken PSOL-Abgeordneten Jean Wyllys im Parlament eingereichter Gesetzentwurf zur Regulierung der Prostitution kam daher gerade recht, um die Debatte rund um das Thema Prostitution anzustoßen. Doch das gemeinsam mit Avida erarbeitete Dokument, das unter anderem die Legalisierung von Prostitutionsstätten vorsieht und auf bessere und sicherere Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter_innen zielt, liegt derzeit noch auf Eis, weil die evangelikale Fraktion und die Konservativen das Thema weiterhin tabuisieren wollen.

Gesetzentwurf zur Regulierung der Prostitution liegt auf Eis

Auch in Deutschland, so erinnerte Wyllys, habe die Anerkennung der Prostitution als Beruf nicht zu einer Zunahme des Menschenhandels geführt. Und auch das Globale Netzwerk gegen Frauenhandel (GATTW) [http://www.gaatw.org] hat in seiner Analyse „Was sind die Kosten eines Gerüchts?“ keinen Zusammenhang zwischen Sportereignissen und Menschenhandel feststellen können.

Trotzdem wird ein solcher Zusammenhang beschworen, wobei man Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung von Kindern und Sexarbeit in einen Topf wirft. Auf diese Weise lassen sich in Städten wie Rio de Janeiro „Säuberungmaßnahmen“ durchführen, um so den Bürger_innen zu zeigen, dass man sie schützt.

Aber sollte es tatsächlich um den Bürgerschutz gehen, stellt sich die Frage, warum dann die alteingesessene Diskothek Help an der Copacabana 2010 in Vorbereitung auf die Fußball-WM und Olympischen Spiele von Rios Gouverneur Sergio Cabral enteignet und geschlossen wurde. Das Help war ein Treffpunkt selbstständige Sexarbeiter_innen und ausländische Touristen. Alle bezahlten das gleiche Eintrittsgeld, die Prostituierten konnten in Eigenregie mit ihren Kunden verhandeln und den gesamten Verdienst für sich behalten.

Gefährlichere Arbeitsbedingungen durch Vertreibung

Viele Sexarbeiter_innen sind nach ihrer Vertreibung an den Praça Lido am anderen Ende der Copacabana gezogen. Zuwachs bekam vor allem das Café Balcony, weil die Prostituierten dort selbstbestimmt arbeiten konnten. Doch pünktlich am 12. Juni zur Eröffnung der Fußball-WM kam es zur Schließung des Café Balcony wie auch des Stundenhotels „Lido“ durch die Polizei. Die Zeitung Globo hatte schon seit einem Jahr gezielt Artikel über Drogenkriminalität und Überfälle durch Minderjährige in der Umgebung der Etablissements lanciert und so deren Schließung vorbereitet.

Für die Sexarbeiter_innen hat das zu mehr Unsicherheit geführt. „Das Lido hatte einen Türsteher und Sicherheitskameras“, berichtet eine Prostituierte. „Seit wir die Kunden in unsere Apartments mitnehmen, werden wir häufiger überfallen und ausgeraubt.“

Auf diese unhaltbare Situation und auf die Rechte der Sexarbeiter_innen macht die Prostituiertenorganisation Davida während der WM auf der Strandpromenade der Copacabana aufmerksam und nutzt dazu das 2005 von Davida-Gründerin Gabriele Leite geschaffene Modelabel „Daspu“ (zusammengesetzt aus „das putas“, zu Deutsch „von den Huren“).

Werbung für die eigenen Anliegen auf dem Laufsteg

Pünktlich zur WM ist eine neue T-Shirt-Kollektion mit pfiffigen Sprüchen auf grün-gelbem Grund fertig geworden: „Mach’s rein, seleção” („seleção”ist der Name von Brasiliens Nationalteam), „Ich bin Fan wie alle anderen“, „Ich gebe nur, was mit gehört“ und „Rotlichtzone nach FIFA-Norm“ ist da zu lesen. Selbstbewusst präsentieren sich Sexarbeiter_innen und Unterstützer_innen auf dem Demonstrationslaufsteg und begeistern Fußballfans und andere Passanten für ihr Anliegen. Gepfiffen wird das Modenschau-Spiel von einem Schiedsrichter, der ein Hemd mit der Aufschrift „Sexarbeit ist legal“ trägt.

Vielleicht kommt es ja doch noch zu einem Elfmeter für die Sexarbeiter_innen bei den nächsten Anhörungen zu dem Gesetzesentwurf.

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Über

Christine Höpfner

Christine Höpfner war langjährige Mitarbeiterin der Deutschen AIDS-Hilfe. Sie ist feste freie Redakteurin von magazin.hiv.

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