Der Münchner Künstler Philipp Gufler erinnert mit seiner Videoinstallation „Projektion auf die Krise“ im Schwulen Museum* Berlin an die fatale Aidspolitik Bayerns in den 80er-Jahren unter dem damaligen Staatssekretär Peter Gauweiler. Von Axel Schock

Eine „Heimsuchung Gottes“, ein neuer Holocaust und ein weltweiter Super-GAU: Kein historischer Vergleich, keine apokalyptische Metapher schien der Presse seinerzeit endzeitlich und alarmistisch genug, um die Lage so dramatisch wie möglich zu beschreiben.

Mitte der 80er-Jahre war die Aidskrise auch in Deutschland angekommen und Bayern – namentlich Peter Gauweiler – reagierte darauf mit klaren Worten und radikalen Vorschlägen. Der zum bayrischen Innenstaatssekretär aufgestiegene Münchner Kreisverwaltungsreferent geißelte „den massenhaften Analverkehr“ in schwulen Saunaclubs, drängte auf deren Schließung, auf Zwangstests und die Kasernierung von „Uneinsichtigen“.

Zwangstests und Kasernierung von „Uneinsichtigen“

„AIDS-Kranke ins Ghetto?“ titelte 1987 das Magazin „Stern“, und in München trugen Aidsaktivisten bei einer Anti-Gauweiler-Demo ein Banner mit der Aufschrift „Wer schützt uns vor dieser AIDS-Politik?“

Fast 30 Jahre sind seitdem vergangen. Gauweiler ist auch heute wieder in den Schlagzeilen, diesmal jedoch durch seine millionenschweren Nebenverdienste als Bundestagsabgeordneter. Wer seine Ära als Staatssekretär bewusst miterlebt hat, wird nur wenige Schlagworte und Bilder brauchen, um sich in dieses gefährlich-labile Klima zurückversetzt zu fühlen, das damals nicht zu unrecht als „Progrom-Stimmung“ bezeichnet wurde. Niemand wusste so genau, ob die offen gegen Homosexuelle ausgesprochene Drohung des bayrischen Kultusministers Hans Zehetmair, „diese Entartung auszudünnen“, bald Wirklichkeit werden würden.

Mit dieser für Schwule, Drogengebraucher und Prostituierte düsteren und politisch prekären Zeit hat sich nun Philipp Gufler auseinandergesetzt. Für den Münchner Künstler war es gewissermaßen eine Reise in eine ferne Epoche: Als Gauweiler seinen umstrittenen „Maßnahmenkatalog“ präsentierte, war Gufler, Jahrgang 1989, noch gar nicht geboren.

Eine Reise in eine ferne Epoche

Tatsächlich sei er erst durch die Beschäftigung mit US-Künstler- und Aidsaktivisten-Gruppen wie Group Material, Gran Fury und ACT UP angeregt worden, sich mit der Aidsgeschichte seiner Heimatstadt zu beschäftigen, erzählt Gufler bei der Ausstellungseröffnung im Schwulen Museum* Berlin. Und wundert sich über das mangelnde Geschichtsbewusstsein nicht nur seiner eigenen Generation.

Das halbstündige Video „Perspektive auf die Krise. (Gauweilereien in München)“ ist Guflers prämierte Abschlussarbeit an der Akademie der Bildenden Künste München. Aus Archivstücken des forum homosexualität münchen e.V. hat Gufler dazu in einem weiß ausgestalteten Raum mit Plakaten, Büchern, Broschüren, Fotos und Zeitungsausschnitten eine Ausstellung zum schwulen Leben und den Reaktionen auf die Aidskrise im München der 1980er eingerichtet und in langen Kamerafahrten abgefilmt.

Es ist eine Zeitreise frei von Furor, Wut und Häme, und in dieser Form wohl nur denkbar durch die nüchtern-distanzierte Warte eines unbeteiligten Nachgeborenen. Gufler hat zudem TV-Ausschnitte mit den zentralen, auch heute immer noch verstörenden Statements von Zehetmair und Gauweiler einmontiert, wie auch Interviews mit Zeitzeugen.

Die nüchtern-distanzierte Warte eines Nachgeborenen

Guido Vael, Urgestein der Münchner AIDS-Hilfe und der Schwulenbewegung, erzählt nicht nur lebendig von der in jenen Jahren herrschenden Ausnahmesituation, sondern analysiert auch Gauweilers perfide Taktik, mit der er die schwule Subkultur zu eliminieren gedachte. Dr. Hans Jäger wiederum, Gründer der Immunambulanz im Schwabinger Krankenhaus, schildert eindringlich, wie seine offene Kritik an Gauweilers Aidspolitik mit einem arglistigen Komplott gerächt wurde.

Neben der Videoinstallation werden in der Ausstellung im Schwulen Museum* einige neuere Arbeiten Guflers gezeigt. Zum einen sind das Fotos und Textcollagen, in denen er sich mit Hubert Fichte und August von Platen auseinandersetzt. Zum anderen werden drei Werke aus der Serie „Quilt“ präsentiert, mit denen Gufler die vom NAMES Project AIDS San Francisco die 1987 initiierten Tücher zum Gedenken der an Aids Verstorbenen aufgreift.

Videoinstallation, Fotos, Textcollagen, Quilts

Mit seinen Stoffsiebdrucken erinnert Gufler an vier schwule Kulturschaffende aus Deutschland. Neben dem Kunstkritiker und Kurator Wolfgang Max Faust würdigt er so den 1998 verstorbenen Münchner Autoren Gustl Angstmann und verwendet Auszüge aus dessen Tagebuch zu seiner HIV-Infektion.

Auf dem Quilt für Kurt Raab hat Gufler wissenschaftliche Abbildungen von HIV mit einer Sentenz des Schauspielers und Fassbinder-Mitarbeiters montiert: „Ich will dem Virus in den Rachen greifen“. Als geschwärzte Textzeilen wie auch als Leerstellen lässt sich das Muster auf dem Quilt für Hubert Fichte interpretieren: Seine Aids-Erkrankung hatte der Hamburger Schriftsteller und Ethnograf bis zu seinem Tod 1986 ignoriert.

Bis 3. September, Schwules Museum* Berlin, Lützowstraße 73, 10785 Berlin.

19. August, 19 Uhr: ein Gespräch zwischen dem Künstler und der Kunsttheoretikerin Kerstin Stakemeier

Finissage am 3. September von 19 bis 22 Uhr mit DJ Problemi und Lisa Schairer

Das Buch zur Ausstellung ist für 14 Euro im Schwulen Museum* und direkt beim Verlag Hammann & Von Mier erhältlich.

Weitere Informationen auf der Webseite von Philipp Gufler und dem Schwulen* Museum.

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Beinah schwerelos

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„Ich habe HIV – und was hast du?“

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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