HIV-Aktivist Ulrich Würdemann lässt in seinem sehr persönlichen Beitrag markante Stationen seines Lebens mit HIV Revue passieren und schreibt damit zugleich Aidsgeschichte.

Ich erinnere mich sehr gut an meine erste Begegnung mit Aids. Und ich hoffe, irgendwann in diesem Leben sagen zu können: Ich erinnere mich voller Freude an meine letzte Begegnung mit Aids. Ich hoffe, es zu erleben, dass wir absehbar bei uns einen Schlussstrich ziehen können unter diese Krise, die so unsagbar viel Leid, Zerstörung, Verwüstung, Elend gebracht hat. Aber beginnen wir von vorne.

Vorweg geschickt sei, dass ich mein Schwulsein, schwulen Sex, schwules Leben und schwule Emanzipationsbewegungen in den 1970ern entdeckte, also noch in den Zeiten vor Aids.

1983: ungläubiges Staunen

Meine erste Begegnung mit Aids: Hamburg 1983. Mein Mann und ich kennen uns erst wenige Monate. Zuerst eine kurze Notiz in einem US-Magazin, dann der erste Bericht im SPIEGEL. Eine neue Seuche in den USA, die „nur Homosexuelle befällt“, so bewahrt meine Erinnerung den Eindruck des Gelesenen. „So ‘n Quatsch, Seuche nur bei Schwulen“, denke ich. „Bestimmt haben die sich was ausgedacht oder aufgebauscht.“ Auch bei den weiteren Meldungen überwiegt zunächst das Gefühl, „jetzt haben sie was Neues gefunden, um wieder die Schwulen zu verfolgen“.

Mitte der 80er: Befremden

Kurze Zeit später, Mitte der 80er-Jahre, Köln. Inzwischen hat sich die Situation wie auch ihre Wahrnehmung durch uns geändert. Eine weitere, sehr konkrete Begegnung mit HIV: Ich werde HIV-positiv getestet – nicht nur ohne meine Zustimmung, sondern sogar gegen meine ausdrückliche Ablehnung. Mein Arzt ist in Tränen aufgelöst und schockiert. Ich nicht, ich kenne mein Leben…

„Die Stutenmilch ist mir besonders in Erinnerung geblieben“

Kurze Zeit später gehe ich zur ersten, damals gerade entstandenen Kölner Positivengruppe – und bleibe nicht lange angesichts des Kreisens um ständig neue Heilsbringer-Rezepte (die Stutenmilch ist mir besonders in Erinnerung geblieben) und des nahezu masochistischen Starrens auf sinkende Helferzellzahlen. „Ich bin ja nur positiv“, sage ich mir, „da machst du dich nur selbst krank – lass das.“ Mein kurzes Gastspiel des Befremdens führt für die nächste Zeit zu großer Distanz zu Positivengruppen und Aidshilfen.

Mitte/Ende der 80er: Verdrängung und Verzweiflung

Es folgt eine Phase, in der ich mich um (mein) HIV nur soweit unbedingt nötig kümmere. Regelmäßige Arztbesuche, Vorkehrungen wie Testament, Patientenvollmacht, Absicherung meines Mannes. Ansonsten konzentriere ich mich auf meine berufliche Karriere, engagiere mich weiterhin in der Schwulenbewegung.

In diese Phase der Verdrängung fällt parallel auch eine Zeit tiefer Verzweiflung. Die Zahl der schwarz umrandeten Umschläge, die ich abends nach der Arbeit in unserem Briefkasten finde, steigt an. Ebenso das Gefühl, hilflos zu sein in einem beständig größer werdenden Inferno aus Hoffnungslosigkeit, elendem Krepieren und erneuter Hetze gegen Schwule.

1989–1995: Wut und Tatendrang

Ende der 1980er Jahre. Peter Gauweiler ist zu Besuch in einer Kleinstadt nahe Köln, auf Einladung der örtlichen CDU. Mehrere hundert Schwule und Lesben protestieren, hindern ihn zwar nicht am Reden, doch am Abfahren. Meine erste Festnahme.

„Endlich selbst aktiv werden, aus Lähmung und Hilflosigkeit ausbrechen“

1989/1990 gründe ich mit Freunden und Bekannten aus der Kölner Schwulenszene ACT UP Köln. Endlich selbst aktiv werden, aus Lähmung und Hilflosigkeit ausbrechen. Schweigen = Tod, Wut = Aktion. Aus dem ACT-UP-Aktivismus heraus erwächst später meine Mitarbeit bei der bundesweiten Positivenzeitung „Virulent“ und im gerade entstehenden Therapie-Aktivismus der European AIDS Treatment Group (EATG). Jahrelang arbeite ich, zeitweise als Chairman, im ersten europäischen Community-Board einer klinischen Studie (Immuno CAB) mit. Dieses Board erarbeitet erstmals in Europa Grundlagen der Community-Beteiligung in der klinischen Aidsforschung.

Zugleich ist 1989/90 die Zeit der „Wende“. Eine Wende auch für mich persönlich, wenn auch eine ganz andere. Ich erinnere mich, wie Arbeitskollegen immer wieder stolz von ihren großartigen Erlebnissen in Berlin berichten und wie ich darauf nur abwesend nicke und denke, „wenn ihr wüsstet“. Im Sommer 89 habe ich mich in einen jungen Mann in Paris verliebt. Jean-Philippe ist ebenfalls positiv. Ab Herbst 89 erkrankt er immer wieder, immer schwerer. Candidiasis, AZT-Anämie, PCP, Toxoplasmose, alles was man damals als Aidskranker bekommt.

Immer wieder bin ich in Paris, pflege ihn im Wechsel mit seinem Lover. Einen Geliebten hilflos krepieren sehen –ich komme an die Grenzen dessen, was ich auszuhalten vermag. Irgendwann wird mir bewusst, dass ich hier auch mein eigenes Schicksal vor mir sehe. Am 2. Oktober 1990 stirbt Jean-Philippe in Paris.

1995/96: Absturz

Im Spätsommer 95 verschleppe ich eine Erkältung. Einige Tage Antibiotika, um die Lungenentzündung zu bekämpfen. Doch nach kurzer Zeit ist sie zurück, hartnäckiger als zuvor. Im Bettenturm der Uniklinik fühle ich mich wie eine Nummer, an der Prozeduren vollzogen werden, die ansonsten aber Störfaktor ist in einer auf Funktion und Ökonomie hin optimierten Maschine.

November 95. Zwei Wochen Mallorca, Sonne tanken, bevor der Winter kommt. Der leichte Husten, mit dem ich ins Flugzeug steige, wird eher schlimmer. Ständig dieser Reizhusten. An Ausflüge ist bald nicht mehr zu denken, und ich bin froh, als es zurückgeht. Einen Tag später liege ich im Klösterchen unter Sauerstoff. Die Bronchoskopie am nächsten Tag bestätigt den Verdacht auf PCP. PCP, das heißt auch: Aids. Den ganzen Dezember liege ich auf Station „Rita“, benannt nach der „Heiligen für aussichtslose Fälle“– katholischer Humor? Weihnachten darf ich einige Stunden nach Hause; mein Mann muss mich die wenigen Stufen zur Wohnung hinauf tragen. Mitte Januar haben sie mich wieder soweit aufgepäppelt, dass ich entlassen werde.

„Mein Körper spielt verrückt“

Ende März ist der Husten wieder da. Die Angst verfliegt zunächst bei der Diagnose einer „normalen“ Lungenentzündung, immerhin nicht wieder PCP. Erneut im Klösterchen, wieder auf Station „Rita“. Antibiotika, „das bekommen wir schnell wieder hin“. Denkste. Mein Körper, der sich inzwischen mit einer (neuerdings messbaren) Viruslast von über zwei Millionen Kopien herumschlägt, spielt verrückt. Die ganze Haut juckt, rote Pusteln überall. Bald schwellen Finger und Zehen bedenklich an. Dicke Blasen bilden sich an den Füßen, die Haut löst sich. Aus einem Arzt bei der Visite ist inzwischen ein ganzer Chor geworden. „Lyell-Syndrom“, höre ich sie seufzen.

Mit viel Zeit, noch mehr Kortison und dem Absetzen aller Medikamente bekommen sie die schwere Antibiotika-Allergie langsam zum Abklingen. Kraft habe ich keine mehr, Hoffnung noch weniger. Helferzellen eh nicht mehr. Habe ich mich damals aufgegeben? Die Erinnerung sagt ja.

Im Mai 1996 erklärt der Assistenzarzt meinem Mann und mir, er könne nun wirklich nichts mehr für mich tun. Kortison-Spritzen, um für kurze Zeit noch mal fit zu sein, eine Telefonnummer für den Notfall und der dringende Rat, möglichst bald noch „etwas Schönes“ gemeinsam zu unternehmen.

Ende der 90er bis Anfang der 2000er: schwierige Wiedergeburt

Dank zweier wunderbarer Ärzte und einem neuen Medikament gibt es plötzlich wieder Hoffnung. Hoffnung auf ein Leben mit HIV. Ich bin unerwartet wieder da. Bald beginne ich, wieder aktiv zu werden; zunächst die „HIV-Nachrichten“ und die Veranstaltungsreihe „MedInfo“, später HIVlife.de, in den 2000ern dann ondamaris.de.

Aber der Neubeginn ist schwierig und heißt vor allem: Leben mit Pillen, und das sieht in jenen Tagen noch ganz anders aus als heute. Zeitweise nehme ich an die 30 Pillen pro Tag, gegen HIV, gegen PCP, Antibiotika. Essen ist nur zu ganz bestimmten Zeiten möglich, sodass wir kaum noch mit Freunden essen gehen können: Ich habe schlicht nur wenige, genau einzuhaltende Stunden am Tag, in denen die Pillen mir Zeit zum Essen lassen.

„Meine ‚Therapietreue‘ wird geradezu stalinistisch“

Problematischer ist, dass die Kombi, die ich einnehme, jahrelang jeweils die letzte und einzige ist, die wegen umfassender Resistenzen noch wirkt. Es darf einfach nichts schiefgehen, bloß nicht neue Resistenzen, bloß nicht zurück zum Frühjahr 1996. Meine „Therapietreue“ wird geradezu stalinistisch. Und nachdem zunächst ein einfacher Pillenwecker reicht, folgen bald Armbanduhren, die drei, später fünf Alarme pro Tag beherrschen.

Diverse Nebenwirkungen. Nicht „nur mal“ Schwindel oder Übelkeit, sondern oft nahezu unkontrollierbare Durchfälle, die ein soziales, geschweige denn sexuelles Leben nahezu unmöglich machen. Am schlimmsten sind aber die Fettverteilungsstörungen, was Fettverlust an Armen und Beinen, Fettansammlungen an Bauch und Nacken bis hin zum höchst stigmatisierenden „Totenkopfäffchen-Gesicht“ meint.

Alles andere als einfach erweist es sich, mir selbst wieder Zukunft zu geben. Nach der intensiven Zeit, in der mein Horizont, von Aids erzwungen, auf Monate, dann auf Wochen, schließlich auf Tage geschrumpft ist – da soll ich mir ganz plötzlich wieder über eine Zukunft Gedanken machen?

2010er-Jahre: Entspannung

Seit einigen Jahren haben wir im Leben mit HIV eine Phase der Entspannung. Positive können zwischen leicht einzunehmenden und nebenwirkungsarmen Medikamenten-Kombinationen wählen, die zudem, wenn erfolgreich, zu sexueller Nichtinfektiosiät führen. HIV gilt eher als chronische und behandelbare Infektionskrankheit.

„HIV nimmt einen immer kleiner werdenden Teil meines Daseins ein“

In den vergangenen Jahren hat HIV im Leben vieler Positiver an Bedeutung verloren. HIV dominiert oft nicht mehr den Alltag wie in der ersten Hälfte der 90er und ist auch nicht mehr wichtiger Teil des Alltags wie noch zu Beginn der 2000er-Jahre, sondern nimmt einen immer kleiner werdenden Teil des Daseins ein.

Verglichen mit „damals“ könnte man fast meinen, HIV sei in der „Normalität“ angekommen. Gäbe es da nicht die Kriminalisierung, Diskriminierung und Stigmatisierung HIV-Positiver – der gesellschaftliche Fortschritt scheint viel zaghafter zu sein als der pharmazeutische.

2015: Gelassenheit?!

Fast scheint es, als sei nun eine neue Phase möglich. Man kann sich auf vielfältige, praktikable und wirksame Weise vor einer HIV-Infektion schützen. Und sollte man sich doch infizieren: Es gibt wirksame und gut verträgliche Therapien, bei Wirksamkeit ist man sexuell nicht mehr infektiös, man hat eine normale Lebenserwartung. Wäre es da nicht an der Zeit für mehr Gelassenheit im Umgang mit HIV – in der Gesellschaft, in Aidshilfen, bei Positiven? Ist die HIV-Infektion – und hier ist eine mögliche „Heilung“ noch gar nicht mitgedacht – auf dem besten Weg, ein „hinnehmbares Risiko“ zu werden?

Und in naher Zukunft?

Schöne neue Welt? Wird es bei uns – bis auf wenige Sonderfälle – überhaupt noch Aids geben? Ist die HIV-Infektion dann noch in irgendeiner Weise etwas Besonderes? Oder wird sie, zumindest in den „reichen Industriestaaten“, mit der Heilung gar verschwunden sein?

Wird es dann das „Positiv-Sein“ als medizinische Konstitution oder als persönliche Identität noch geben – oder nur noch schnell zu bedienende Partikularinteressen und Einzelfall-Betreuung für komplexe Problemfälle? Werden wir die HIV-Selbsthilfe noch brauchen – vielleicht nur noch als Veteranenvereinigung für Ex-Positive? Brauchen wir dann noch die Aidshilfe? Brauchen wir noch die Aidshilfe von heute oder vielleicht eine andere? Oder wird so etwas wie eine „Nationale Präventionsstelle“ ausreichen?

Und falls der Zustand erreicht sein sollte, dass eine HIV-Infektion in Deutschland weder medizinisch, politisch noch gesellschaftlich wesentliche Probleme mit sich bringt: Erinnern wir uns dann daran, warum Aidshilfe einst gegründet wurde? Und wird die Aidshilfe dann mutig sagen: Ziel erreicht, belassen wir es stolz dabei, lösen wir uns auf? Oder wird sie nach neuen Existenzberechtigungen suchen?

„Seien wir uns unserer Luxussituation hierzulande bewusst“

Noch ist all das nicht erreicht. Und die Vergangenheit hat gezeigt: Das Leben mit HIV ist wesentlich komplexer, als die seit einigen Jahren gerne verwendeten, jedoch vereinfachenden Metaphern „altes Aids – neues Aids“ dies suggerieren. Hüten wir uns vor zu großen Vereinfachungen ebenso wie vor überschäumendem Optimismus. Und seien wir uns unserer Luxussituation hierzulande bewusst. Unsere Verantwortung bleibt, auch dort zu handeln, wo die HIV-Infektion und Aids weiterhin ein Desaster sind, eine menschliche, gesellschaftliche und politische Katastrophe.

Aber haben wir auch den Mut, Aids zu beenden. Wir können es. Die Aidskrise ist noch nicht vorbei. Aber, wie eingangs gesagt, hoffe ich, ihr Ende noch zu erleben. Und: bald.

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HIV-Test in der Einstellungsuntersuchung unzulässig

Über

Ulrich Würdemann

Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber von www.ondamaris.de. Ulli ist Frankreich-Liebhaber und Bordeaux-/Lacanau-Fan. Mehr unter 2mecs.de -> Ulli -> Biographisches

6 Kommentare

  1. Lieber Uli,

    danke für diesen Text. Sehr schön geschrieben.

    Ich erinnere, 1980 von einem Bekannten aus Amsterdam das erste Mal von einem „Schwulenkrebs“ in San Francisco gehört zu haben.

    Dann eine beeindruckende Erstmanifestation 1981, eine Sommergrippe, die außer mir keiner hatte und die über 3 Monate dauerte.

    1984 war der erste Test möglich. Es hieß jedoch damals nicht HIV, sondern HTLV-III.

    Anfänglich wurde behauptet, dass ca. 5% aller HTLV-III – Positiven erkranken werden, dann wurde von 15% – 40%, später von 60% gesprochen und je länger man sich mit HTLV-III beschäftigte, desto geringer wurden die Chancen benannt, „mit heiler Haut“ davonzukommen.

    Ich erinnere an die hilflosen Ärzte, dei mir eine Verlaufskontrolle anboten, eine Dokumentation des Zerfalls meines Immunsystems schwarz auf weiß. Ich verzichtete dankend!
    Die Heilpraktiker sagten: „Alles wird gut. 80 Mark“.
    Das konnte man 1-2 mal glauben, dann war dieser Trost auch belanglos geworden.
    Getrunken habe ich den Nink-Saft (600 DM) und ich besorgte das stinkende AL-723 aus Israel, gewonnen aus Eigelb.

    Ich würde sagen, die Community hat ALLES von Ayur Veda bis Zen Meditation ausprobiert. Bestenfalls hatte man das Gefühl, aktiv etwas gegen seine Infektion zu unternehmen.

    1987 wurde Retrovir auf den Markt geschmissen, HTLV-II in HIV umgetauft. Inder Community stritten wir: Retrovir ja oder nein und wenn ja, wann? Sollte man noch „den letzten Pfeil im Köcher“ behalten, welcher das Leben um bis zu 6 Monate verlängern konnte?

    Für manche sollten diese 6 Monate später noch einmal sehr wichtig werden…

    1990 war dann auch meine Hoffnung, eine statistische Ausnahmeerscheinung zu sein, verflogen. Ich nahm bis auf 38 kg ab und hatte Lymphome und über 60 Durchfälle am Tag.

    Ich erinnere auch, mit einem Infusionsbeutel am Rückspiegel nach Göttingen gefahren zu sein. Der Subkutanport hatte es möglich gemacht, sich die notwendigen Infusionen selber zu geben.

    Auf den Positiventreffen bildeten wir zum Schluss immer einen Kreis, wohlwissend, dass wir einander niemals so wiedersehen werden.

    1996 waren über 120 Freunde und 3 Lebenspartner und 2 meiner Ärzte beerdigt.

    1997 begann die neue ART zu wirken. Über 30 Tabletten täglich, mit Grapefruitsaft (Invirase) einzunehmen, teils mit Nahrung, teils unbedingt ohne Nahrung (Crixivan) . Die Lebenskraft kehrte wieder ein. Die Einnahme war eine Wissenschaft für sich und Vollzeitbeschäftigung, zumal ja auch noch eine Menge Sekundärprophylaxe notwendig war (Bactrim, Ganciclovir, Aciclovir, Diflucan).

    Mit meiner Hausapotheke hätte ich derzeit ein ganzes Dorf hinlänglich behandeln können.

    Ab 2006 trat eine gewisse Beruhigung ein. Die Pillen wurden besser, schon lange ist keiner mehr an AIDS gestorben.

    2012: Das Gewicht von 1996 fast verdreifacht, Lipodystrophiesyndrom, Muskelschwäche und Neuropathien durch die ersten ART´s geerbt, durch ein Minenfeld gegangen, schwer an Körper und Seele verletzt, aber am Leben.

    2014: Außer im Beruf, ist AIDS persönlich kein Thema mehr. Danke an meinen verstorbenen Doc, Freund und Heiler Jürgen Poppinger, an meinen alten Hausarzt, der mich 1981 mit Plattitüden über die ersten Krisenmonate trug (ernst gemeint) und einen gaaanz dicken Dank an meinen Astrologen der mir geholfen hat, in der Erkrankung nicht nur Schicksal, sondern auch einen Sinn zu erkennen. Schade Klaus Sörensen, dass ich Dir nicht vollständig glauben konnten, Du hattest in ALLEN Voraussagen Recht. Wenn ich Dir mehr geglaubt hätte, wäre mir manche Panik erspart geblieben.

    Dann Danke an den Dalai Lama für seinen Spruch: „Manchmal erweist es sich als der größere Vorteil, nicht das bekommen zu haben, was man sich gewünscht hat“. Wer weiß, vielleicht wäre ich ohne AIDS schon längst an Krebs gestorben???

    Dann noch mal Danke an den Dalai Lama für den anderen Spruch:

    Teile Deine Erfahrung, denn dies ist eine Möglichkeit, Unsterblichkeit zu erlangen.

  2. Lieber Thomas,

    danke, für deine Worte, die schönen Zitate, und deine Geschichte deines Lebens mit HIV.

    Mir wird immer wieder klar, wir brauchen mehr Wege und Möglichkeiten, unsere Geschichten – generationenübergreifend – zu erzählen …

    Liebe Grüße,
    Ulli

  3. Hallo Ulli!
    Sehr ergreifend und toll geschrieben!!
    Ich kann mich in einigen Dingen selbst wieder finden und hat bei mir ähnliche Erinnerungen und Erlebnisse wieder erweckt.
    Ich bin so froh für Dich, dass Du “ die Kurve nochmal gekratzt hast“!!
    Ich selbst kann ebenfalls auf fast 30 Jahre Leben mit dem Virus zurück blicken. War damals gerade 20, gerade die Ausbildung beendet, umgezogen in eine neue Stadt, neuer Job, erste eigene Wohnung und dann kam das „Todesurteil“ am 4.10.1985 um 9:30 per Telefon!
    Ich konnte es kaum fassen, mein Leben hatte doch erst begonnen und sollte bald schon wieder vorbei sein?
    Nicht für mich….nach dem ersten Schock ging es an die Arbeit, aktiv dagegen vor zu gehen. Grosses Glück hatte ich mit meinem Arzt, welcher immer noch mein Hauptbehandler und über die Jahre auch zu einem guten Freund geworden ist.
    Ich habe dann schnell Anschluss gefunden an eine Arbeitsgruppe im Schwulenprojekt der hiesigen Uni aus der dann im Februar 1986 die lokale Aids Hilfe entstanden ist, in der ich immer noch, mit ca 5 Jahren Unterbrechung durch einen Auslandsaufenthalt,aktiv als Vorstandsmitglied bin.
    Zurückblickend habe ich grosses Glück gehabt, die ersten 5 Jahre nach der Feststellung meiner Infektion keine Medikamente nehmen zu müssen, dann einige Jahre hoch dosiert AZT, dann 1998-2003 Therapiepause wg.Resistenzen und seit dem ART und bis heute immer noch die gleiche Kombi! Ich hatte zum Glück nie mit opportunistischen Infektionen zu kämpfen, auch keine grösseren Nebenwirkungen, ausser gelegentlichen Durchfällen. Vor einigen Jahren wurde eine Therapieumstellung von meinem Arzt erwogen, welches ich abgelehnt habe- never change a winning Team!- und ich habe Recht behalten und mein Arzt ist mittlerweile derselben Meinung.
    Im grossen und Ganzen habe ich all die Jahre ein fast normales Leben führen können, wofür ich unendlich dankbar bin! Damals dachte ich, die Jahrtausendwende erlebst Du sowieso nicht und nun sind seit dem schon wieder 14 Jahre vergangen!
    Ich wünsche Dir für die Zukunft alles erdenklich Gute und bleib gesund!!
    Herzliche Grüsse
    Frank

  4. Hallo Frank,

    vielen Dank für deinen Kommentar und eine Geschichte!

    „ein fast normales Leben führen“ … wie schön, dass du das von dir und deinem Leben sagen kannst!

    Auch dir alles Gute,

    Liebe Grüsse,
    Ulli

    ps – never change a winning team, das kenn ich auch …

  5. Lieber Ulli, erst seit sehr kurzer Zeit, weiss ich, dass ich HIV+ bin. Dabei ist meine Infektion schon so alt und ich bin so unglaublich dumm gewesen, mich so viele Jahre nicht testen zu lassen. Bis dann die ersten „Wehwehchen“ auftraten. Vor ungefähr 2,5 Jahren war das. Ständiges Schlappsein, keine Lust auf nix mehr, immerwährende Entzündungen in Mund und Rachen, wackelnde Zähne, Aphthen im Mund, mal Durchfall, mal Verstopfung….alles was so geht. Aber dass ich + bin, darauf wär ich nicht gekommen. Ich doch nicht, das passiert doch nur den anderen. Vor einem knappen Jahr wurds dann schlimmer. Jeden Tag nur noch Depressionen, nur noch Schwäche. Dann gings los mit einer wie zubetonierten, verstopften Nase, steinharter Stuhlgang. Oft lag ich schon um 19 Uhr im Bett. Und jetzt, kurz vor Ostern, da zeigte sich dann der Auslöser für all das: Candida Albicans. Ganz massiv hatte ich ihn in Mund, Rachen, dann Speiseröhre, auch schon Luftröhre, auf der Eichel und und und… womit dann auch für meine Ärztin klar wurde, mich testen zu lassen. Das Ergebnis war so klar, wie sonst nichts und gleichsam erlösend: Endlich wusste ich, was mit mir war. Heute, nach gerademal drei Wochen HAART geht’s mir schon so gut,wie seit Jahren nicht mehr. Regelrecht glückstrunken laufe ich oft durch die Gegend, weil ich mich wieder so kräftig und wohl fühle und doch sind da so viele Fragen offen, so viel Alleinsein mit all dem. Deine Seiten haben mir viel geholfen. Du schreibst so ausführlich,so gezielt, so direkt und doch so menschlich und fürsorglich. Du hast mir sehr geholfen in den letzten Wochen, dafür möchte ich mich bei Dir bedanken und Dir das beste für Deine Zukunft wünschen.
    Alles Liebe
    Tobias aus München

  6. Lieber Tobias Reimann,
    vielen Dank für den Kommentar und die bewegende Geschichte!
    Schön zu lesen, dass die ART dir dann doch so gut helfen konnte.
    Dein Lob freut mich 🙂
    Auch dir alles Gute,
    Ulli

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