Drogen gebrauchende Frauen leiden häufiger unter Traumata oder belastenden Lebenserfahrungen. Ein Gruppenprojekt der Beratungsstelle La Strada in Hannover unterstützt solche Frauen dabei, wieder Halt im Leben zu finden.

Ganz gleich, ob belastende Erfahrungen und Traumata in die Sucht geführt haben oder sie erst durch das Leben auf Droge aufgetreten sind – die Langzeitfolgen sind für die Betroffenen meist schwer zu bewältigen. Sie leiden unter schwer kontrollierbaren Gefühlszuständen wie Angst, Wut oder Verzweiflung; sie kämpfen mit selbstverletzendem Verhalten oder sie schaffen es nicht, gut mit sich umzugehen.

La Strada, die hannoversche Anlauf- und Beratungsstelle für Drogen gebrauchende Mädchen und Frauen, bietet deshalb seit 2012 eigens ein Therapieprogramm an, das Elemente der Sucht- und der Traumatherapie miteinander verbindet.

Dieses Angebot mit dem Namen „Sicherheit finden“ betitelt damit auch gleich das Kernziel dieser Gruppentherapie: nämlich den teilnehmenden Frauen, Drogengebraucherinnen wie auch Substituierten, zu neuer Stabilität im Leben zu verhelfen und Strategien zur Bewältigung ihrer Traumata zu vermitteln.

Barbara* ist Anfang 50 und hat an dem rund dreimonatigen Programm teilgenommen.

Barbara, wie bist du auf das Angebot aufmerksam geworden?

Ich kenne die Beratungsstelle schon seit gut zehn Jahren. Ich werde substituiert und habe dort einmal monatlich das begleitende Gespräch. Aber ich bin auch sonst häufig bei La Strada. Man kann dort jeden Tag sitzen, mit anderen reden und Kaffee trinken. Als mich eine Mitarbeiterin auf das Programm hingewiesen hat, habe ich gleich zugesagt.

„Ich habe durch meine Drogenbiografie so viel verloren im Leben“

Was hat dich so spontan davon überzeugt? Sich auf eine mehrmonatige Gruppentherapie einzulassen, ist ja immer auch ein Wagnis und eine Herausforderung.

Ich hatte gerade eine Traumatherapie hinter mir, für die ich eigens nach Göttingen fahren musste. Die hatte mir aber sehr gut getan, und das Programm im La Strada arbeitet auf einer ähnlichen Basis. Das hatte mich sehr überzeugt, und ich wollte daher unbedingt damit weitermachen, um so noch mehr für mich zu erreichen. Ich habe ja durch meine Drogenbiografie so viel verloren im Leben! Und ich will mein Leben einfach wieder lebenswert machen.

Wie lange hast du Drogen genommen?

Ich bin seit meinem 14. Lebensjahr auf Droge; erst waren es leichte, dann harte Drogen. Es gab dazwischen aber immer auch wieder Zeiten, in denen ich clean war. Ich war auch berufstätig und habe ein ganz normales Leben geführt – auch mit Drogen. Dann aber ist das alles völlig aus der Bahn geraten.

Hattest du konkrete Ziele, die du mit der Gruppentherapie erreichen wolltest?

Trotz der Therapie, die gerade hinter mir lag, hatte ich noch einige Probleme, und die hoffte ich besser in den Griff zu bekommen. Zum Beispiel mein mangelndes Selbstbewusstsein – im Grunde war das völlig weg –, auch mit Ängsten hatte ich zu kämpfen. Ich bin eigentlich gar nicht mit so großen Erwartungen da rangegangen. Ich bin schon sehr zufrieden, wenn ich für mich kleine Erfolge erzielen kann.

Was war für dich denn ein solcher Erfolgsschritt?

Wenn ich vor Menschen reden musste, bekam ich die totale Paranoia. Das ist sehr viel besser geworden. Eigentlich ist es sogar völlig verschwunden. Und das habe ich allein durch die Gruppe erreicht. Ich hatte früher schon andere Therapien versucht, aber die habe ich immer als ziemlich altbacken empfunden. Man saß da mit vierzig Leuten zusammen und wurde quasi gezwungen zu reden. Aber das genau war ja mein Problem! Ich saß da, sagte nichts und wurde vom Therapeuten deshalb vor allen niedergemacht. Da hab ich dann gedacht: „Gut, das war’s. Das kann ich nicht weitermachen.“

„In dieser Gruppe konnte ich darüber reden, was mir auf der Seele liegt“

Das Programm „Sicherheit finden“ hast du aber nicht abgebrochen?

Nein, ich habe, wenn ich mich richtig erinnere, während dieser Monate nur eine einzige Sitzung verpasst. Ich habe mich auch immer darauf gefreut. Denn mit diesen Frauen konnte ich darüber reden, was mich gerade beschäftigt, was mir auf der Seele liegt. Mit Leuten, die keine Drogenprobleme haben, geht das ja gar nicht. Da kann ich nicht sagen: „Oh, mir geht’s total schlecht, weil ich Suchtdruck habe.“

Fiel es dir schwer, in einem solchen Kreis über deine Probleme zu sprechen?

Über die ganz akuten Traumata redet man in solchen Gruppensitzungen nicht, das ist gewissermaßen tabu. Das könnte zum einen die anderen antriggern und ist zum anderen auch zu privat. Wäre von mir erwartet worden, dass ich alles, was ich an schlimmen Dingen erlebt habe, vor allen anderen ausspreche, hätte ich an dem Programm sicherlich nicht teilgenommen. Aber natürlich kann es passieren, dass man trotzdem darüber redet. Manchmal bricht in den Gesprächsrunden etwas auf und aus einem heraus. Es kam immer wieder vor, dass eine der Frauen zusätzliche Unterstützung von den Gruppenleiterinnen brauchte. Im Einzelgespräch konnte dann jede Frau über Probleme reden, die sie nicht in der Gruppe besprechen wollte.

„Es war ein gutes Gefühl, zu erleben, dass man nicht alleine ist.“

War es hilfreich für dich, sich in einer Gruppe von Menschen zu wissen, die allesamt schreckliche Erfahrungen gemacht haben?

Es hat mich keineswegs runtergezogen, wie man vielleicht meinen könnte. Im Gegenteil: Es war ein gutes Gefühl, zu erleben, dass man nicht alleine ist und dass man sich gegenseitig stützen kann. Es gab beispielsweise eine Frau in unserer Gruppe, bei der man einfach spürte, dass sie etwas sehr schwer belastet. Wir wussten aber nicht, was es ist. Bis sie in einer Sitzung sagte, dass sie an Aids erkrankt ist. Sie musste dann ganz schrecklich weinen, aber es haben sich alle anderen ganz lieb um sie gekümmert. Ich hatte den Eindruck, dass es ihr hinterher, nachdem sie es ausgesprochen und unsere Reaktion erlebt hatte, sehr viel besser ging. Das war ein sehr schönes Gefühl. Denn diese Form von Liebe und Verständnis braucht ein Mensch. Und letzten Endes unterschieden wir uns ja alle nicht so sehr voneinander, denn im Grunde hatten alle recht ähnliche Probleme. Deshalb konnten wir uns in der Runde sehr gut gegenseitig verstehen, ohne dass alles explizit ausgesprochen werden musste.

Das Programm widmet sich ja speziell Drogengebraucherinnen, die an einem Trauma leiden. Betrifft das viele Frauen mit Drogenerfahrung?

Ich glaube, dass unglaublich viele von uns ein Trauma mit sich herumschleppen. Das bleibt nicht aus, wenn man über lange Zeit Drogen nimmt. Eine schwere Sucht hinterlässt Schäden, auch an der Seele. Denn jede von uns hat während dieser Zeit Schlimmes erlebt, selbst, wenn man wie ich aus einer guten Familie stammt und nicht anschaffen gegangen ist. Aber ein Trauma ist nichts anderes als eine Wunde, das bedeutet deshalb auch: Man kann sie behandeln, sie wird besser, verheilt und verschwindet sogar wieder – wenn man etwas dagegen tut. Mir hat es sehr geholfen, dass ich in dieser Gruppe über alles reden konnte.

„Ich habe das Gefühl, ich bin nun auf dem richtigen Weg“

Wie war es für dich, als nach den vielen Monaten mit den wöchentlichen Gruppentreffen das Programm zu Ende war?

Ich fand es schon ein wenig schade, aber jetzt sind natürlich erst einmal andere dran. Es gibt ja sehr viele Frauen, die in einer ähnlichen Lage sind. Ich merke auch, dass ich die Gruppe nicht mehr für mich brauche, denn ich habe das Gefühl, ich bin nun auf dem richtigen Weg. Durch die Sitzungen hat sich einiges bei mir geändert. Konnte ich vorher gar nicht reden, rede ich jetzt manchmal wie ein Wasserfall. Vor allem aber habe ich gelernt, besser mit mir umzugehen und für mich zu sorgen. Das hat auch damit zu tun, dass ich gar nicht mehr an die Drogen denken muss. Es  macht einfach auch sehr viel aus, wenn man clean wird und deshalb wieder am Leben teilhaben kann. Und mir macht es so unheimlich viel Freude, am Leben teilzunehmen – auch wenn es manchmal ganz schön schwer ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

*Name  geändert

 

Interview: Axel Schock

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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