Lella Cosmaro aus Italien ist Mitglied des Steuerungsgremiums von AIDS Action Europe und Co-Vorsitzende des europäischen HIV/AIDS Civil Society Forum. Ljuba Böttger hat sie zu ihrer Arbeit befragt.

AIDS Action Europe (AAE) wurde 2002 gegründet, um den Entscheidungsträgern der europäischen Politik die Stimme der Zivilgesellschaft im Arbeitsfeld HIV/Aids zu Gehör zu bringen. Das Netzwerk vertritt inzwischen über 400 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Zusammenschlüsse aus 47 Ländern Europas und Zentralasiens und wird seit Juli 2014 durch ein bei der Deutschen AIDS-Hilfe angesiedeltes Büro koordiniert und betreut. AAE hat zugleich einen Co-Vorsitz im HIV/AIDS Civil Society Forum, das die EU-Kommission 2005 eingerichtet hat, um europäische NGOs und Netzwerke an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen.

Frau Cosmaro, meine erste Frage betrifft ihren Arbeitsplatz bei der Nichtregierungsorganisation LILA: Was bedeutet „LILA“ eigentlich und was macht diese NGO?

LILA steht für Lega Italiana per la Lotta contro l’AIDS, zu Deutsch „Italienische Liga im Kampf gegen Aids“. Es handelt sich also um eine nationale Vereinigung mit derzeit 14 Organisationen in den wichtigsten Städten Italiens. LILA vertritt auf nationaler Ebene Interessen der Zivilgesellschaft und setzt sich für die Menschen- und Bürgerrechte ein. Außerdem leisten wir Präventionsarbeit in allen von HIV betroffenen Gruppen und unterstützen HIV-Positive. LILA ist in der „Kommission für Aidsfragen“ des Gesundheitsministeriums vertreten, ebenso in den relevanten nationalen und regionalen Aidsgremien.

Und in welchen Feldern arbeiten Sie selbst?

Ich bin seit 1993 Mitarbeiterin von LILA Mailand und vertrete LILA auf europäischer Ebene: als Mitglied des italienischen HIV/AIDS Civil Society Forum und des Steuerungsgremiums von AIDS Action Europe, ebenso durch Mitarbeit in weiteren europäischen Projekten und Gremien. In diese Funktion investiere ich viel Zeit und Energie. Aber mir macht auch die alltägliche Arbeit bei LILA Mailand viel Spaß. Auf den direkten persönlichen Kontakt mit den Menschen vor Ort, zum Beispiel in der HIV-Prävention, könnte ich nicht verzichten.

Seit Januar 2011 sind Sie Mitglied des Steuerungsgremiums von AIDS Action Europe. Was macht dieses Gremium und wie setzt es sich zusammen?

Unser achtköpfiges Team kommt zweimal pro Jahr zu einem zweitägigen Meeting zusammen, um an den Zielen von AIDS Action Europe, den Maßnahmen zur Zielerreichung und der Ausrichtung des Netzwerks zu arbeiten – ein Beispiel dafür ist unser neuer Strategieplan 2015 bis 2017. Wir besprechen aber auch Aktuelles und berichten über den Stand der Dinge in den Ländern und Regionen, die wir jeweils vertreten. Pro Jahr führen wir außerdem etwa sechs bis sieben Telefonkonferenzen durch.

„Die Einbeziehung aller Schlüsselgruppen sicherstellen“

Wichtig in unserem Gremium ist eine ausgewogene Verteilung, was das Geschlecht und den HIV-Status der Mitglieder angeht. Und wir müssen verschiedene Länder aus verschiedenen europäischen Regionen repräsentieren, um sicherstellen zu können, dass alle Schlüsselgruppen in die Arbeit der im Netzwerk vertretenen Organisationen einbezogen werden. Unser Gremium muss bei der Strategieentwicklung mit allen AAE-Mitgliedern zusammenarbeiten, was aber nur dann funktioniert, wenn wir als Team über entsprechende Kompetenzen in Sachen HIV/Aids und andere Infektionen verfügen. Als eine der „Älteren“ im Team fungiere ich derzeit als Mentorin für die neuen Mitglieder im AAE-Netzwerk.

Lella Cosmaro (Foto: privat)
Lella Cosmaro (Foto: privat)

Unterstützt wird das Steuerungsgremium von den Kollegen im AAE-Büro bei der Deutschen AIDS-Hilfe in Berlin, die auch für die Kommunikation innerhalb des Netzwerks zuständig sind.

Mit welchen Herausforderungen beschäftigen Sie sich zurzeit besonders?

Leider gibt es in Europa immer noch sehr viele Probleme, denen wir uns zuwenden müssen. Eines davon ist der schwierige Zugang zu Prävention, Diagnostik, Behandlung und Versorgung für Menschen ohne Papiere. Bei schwulen und anderen Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), und weiteren Gruppen ist die HIV-Infektion nach wie vor nicht unter Kontrolle. Aber auch, was Hepatitis, Tuberkulose und andere sexuell übertragbare Infektionen angehet, müssen wir uns für einen besseren Zugang zur Behandlung und für erschwingliche Medikamenten einsetzen. Außerdem sind wir gefordert, die Diskussion zum Schutz durch Therapie und zur Prä-Expositions-Prophylaxe europaweit voranzubringen.

„Weiterhin auf Stigmatisierung und Diskriminierung fokussieren“

Große Herausforderungen in der WHO-Region Europa sind die sich ausbreitende HIV-Epidemie bei injizierenden Drogengebrauchern und die Diskriminierung von Betroffenengruppen, beispielsweise Schwule und andere MSM, Drogenkonsumenten, Migranten oder Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter. Bisher haben wir nur wenig gegen Stigmatisierung und Diskriminierung ausrichten können – ein Problem, auf das wir weiterhin fokussieren müssen.

Das AAE-Steuerungsgremium hat sich in diesem Jahr bereits einmal getroffen. Was hat sie dabei besonders beeindruckt?

Das Highlight dieses ersten Jahrestreffens vom 20. bis 21. April in Riga war ein Runder Tisch mit Vertretern von staatlichen Behörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen Lettlands im Haus der Europäischen Union in Riga, wo wir über die Dublin-Erklärung zur Partnerschaft in der Bekämpfung von HIV/AIDS in Europa und Zentralasien und Lettlands Verantwortung in dieser Sache diskutiert haben.

Die Teilnehmer waren sich einig, dass die bisherigen Strategien der lettischen Regierung nicht der Dublin-Erklärung verpflichtet waren, sondern vielmehr dazu beigetragen hätten, dass Lettland zu den Ländern mit den höchsten HIV-Infektions- und Aids-Erkrankungsraten gehört. Sie äußerten zugleich die Hoffnung, dass die aktuelle Verwaltung angemessene Antworten auf HIV und Aids finden wird, die den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation zu HIV und Aids entsprechen. Außerdem baten sie AIDS Action Europe, die vor Ort tätigen NGOs und andere Akteure dabei zu unterstützen, die Situation in Lettland zu verbessern. In dieser Hinsicht war das ein sehr wichtiges Treffen, nicht zuletzt deshalb, weil es in der Zeit der lettischen EU-Ratspräsidentschaft stattgefunden hat.

Frau Cosmaro, Sie vertreten AIDS Action Europe außerdem als Co-Vorsitzende im HIV/AIDS Civil Society Forum. Was heißt das?

In dieser Funktion muss ich mich zwangsläufig mit europäischer Politik und der Lage in den einzelnen Ländern beschäftigen: Wer die Zivilgesellschaft bei schwierigen Angelegenheiten vertritt, hat schließlich eine große Verantwortung. Ich versuche, die Stimme all der Gruppen und Organisationen zu sein, die so engagiert gegen HIV-bezogene Probleme angehen.

„Ich versuche, die Stimme aller Engagierten zu sein“

Können Sie Beispiele für die politische Arbeit des Civil Society Forum nennen?

Letztes Jahr in Rom haben wir die Gelegenheit genutzt, um Vytenis Andriukaitis, dem neuen EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, darzulegen, wo unserer Meinung nach die Prioritäten in der Politik der nächsten drei Jahre gesetzt werden sollten. Wir legten ihm dringend nahe, 2015 die Untersuchungen anzustoßen, die für die Einschätzung der Wirkung und Machbarkeit eines neuen Rahmen- und Aktionsplans zu HIV, Virushepatitis und Tuberkulose erforderlich sind. Jetzt müssen wir diesen Dialog fortführen, für unsere Ziele werben und uns dafür einsetzen, dass HIV und andere Infektionskrankheiten auch in der nächsten Dekade auf der Agenda der europäischen Regierungen bleiben, denn der aktuelle Aktionsplan läuft 2016 aus.

Ein anderes Beispiel ist ein Protestbrief, den Tamás Bereczky, Co-Vorsitzender für die European AIDS Treatment Group, und ich im April 2015 an den tschechischen Gesundheitsminister geschrieben haben. Der Anlass war, dass die Regierung Tschechiens überlegt, für bestimmte Personen und Gruppen mit hohem HIV-Risiko Zwangstests einzuführen. Und um ein letztes Beispiel zu nennen: In den kommenden Monaten werden wir uns in der EU-Kommission für eine neue, an die Dublin-Deklaration anknüpfende Erklärung einsetzen. Herausgeber dieses Dokuments sind die europäischen Gesundheitsminister.

Gibt es Länder oder Regionen, die in Ihrer Arbeit bei AIDS Action Europe oder im Civil Society Forum eine ganz besondere Rolle spielen?

Nein. Wie ich es sehe, hat jedes Land seine Eigenheiten, ob in politischer, kultureller, sozialer oder wirtschaftlicher Hinsicht. Wir müssen all die unterschiedlichen Perspektiven, Probleme und Chancen der einzelnen Länder berücksichtigen und versuchen, gemeinsame Lösungen für die Erreichung unserer Ziele zu finden. Jeder Mensch, jede Gruppe, jedes Land, jede Region ist wichtig und verdient Aufmerksamkeit und Respekt. Wir sollten sie alle vertreten und für ihre Rechte streiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Website AIDS Action Europe und HIV/Aids Civil Society Forum

 

 

 

 

 

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