Mit der Kampagne „Access All Areas“ will Transgender Europe die Hürden und erniedrigenden Prozeduren ins Bewusstsein rücken, denen TransMenschen auf dem Weg zur rechtlichen Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität ausgesetzt sind.

74 Mitgliedsorganisationen in 39 Ländern zählt Transgender Europe (TGEU) mittlerweile. 2005 aus dem European Transgender Council in Wien hervorgegangen, ist die in Berlin ansässige Organisation schnell zu einer der stärksten Stimmen für Trans-Rechte in Europa herangewachsen. Zu ihren Haupttätigkeitsfeldern gehört die politische Überzeugungsarbeit bei den Organen der Europäischen Union und dem Europarat. Sie unterstützt ihre Mitgliedsorganisationen beim Aufbau von Kapazitäten und der Entwicklung von Strategien, führt eigene Forschungsprojekte durch und beobachtet und dokumentiert Morde und Hassverbrechen an Trans-Personen weltweit.

Über die Lage von Trans-Menschen in Europa und die aktuelle Kampagne von Transgender Europe haben wir mit Noah Keuzenkamp gesprochen.

Thema der aktuellen Kampagne: Personenstandsänderung

Noah, wie muss man sich eure politische Arbeit ganz praktisch vorstellen? Mit welchen Mitteln und Methoden arbeitet ihr?

Das ist ganz verschieden. Wir schreiben Briefe an Regierungen und politische Gremien, wenn uns Menschenrechtsverletzungen bekannt werden. Wir unterstützen Aktivist_innen in verschiedenen Ländern, indem wir zum Beispiel mit ihnen zusammen Treffen mit nationalen Politiker_innen und Ministerien organisieren. Wir reichen auf europäischer Ebene Klagen ein oder unterstützen Trans-Menschen, die sich rechtlich gegen Diskriminierung wehren. Darüber hinaus arbeiten wir direkt mit Entscheidungsträgern in der EU oder im Europarat zusammen, helfen ihnen bei Berichten oder der Öffentlichkeitsarbeit und arbeiten an Entschließungen und Gesetzesentwürfen mit. Vor ein paar Wochen zum Beispiel hat die Parlamentarische Versammlung des Europarats eine Resolution zum Schutz der Rechte von Trans-Personen verabschiedet. Die Entwicklung dorthin haben wir über mehrere Jahre begleitet.

Und ihr macht Kampagnen. Eure aktuelle behandelt das Thema Personenstandsänderungen. Die Materialien dazu können ab sofort auch über den Versand der Deutschen AIDS-Hilfe bezogen werden. Um was geht es genau?

In der Kampagne „Access All Areas. Recognition Opens Doors“ (auf Deutsch: „Zugang zu allen Bereichen. Anerkennung öffnet Türen“, Anm. d. Red.) geht es um die rechtliche Anerkennung des Namens und des korrekten Geschlechts von Trans-Menschen. In fast allen Ländern Europas ist das immer noch nur sehr schwer, in vielen sogar gar nicht möglich. Zwei Motive unserer Kampagne machen deutlich, wie wichtig aber die Eintragung des korrekten Geschlechts in offizielle Papiere ist – zum Beispiel zur Vorbeugung von Diskriminierung bei der Jobsuche und von Mobbing in der Schule. Die drei anderen Motive greifen die Voraussetzungen auf, die es in vielen Ländern Europas noch gibt, um eine Personenstandsänderung vornehmen lassen zu können.

In 23 Ländern Europas ist die Sterilisation noch Voraussetzung

Welche sind das?

In den allermeisten Ländern müssen Trans-Personen für die Registrierung ihres Geschlechts in einem Gutachten als „psychisch krank“ bezeichnet werden, und das, obwohl Transsein natürlich keine Krankheit ist. Auch wird in vielen Ländern noch eine Scheidung und – oder – die Sterilisation verlangt.

In welchen Ländern ist das so?

Erst vor kurzem haben wir unsere aktuelle Trans Rights Europe Map veröffentlicht. Demnach müssen sich noch in 23 Ländern Europas Trans-Menschen für eine Personenstandsänderung sterilisieren lassen, was eine grobe Menschenrechtsverletzung ist. In Ländern Osteuropas ist das zum Beispiel noch der Fall – in der Ukraine, in Russland, Bulgarien oder Rumänien. Das betrifft aber genauso Westeuropa, zum Beispiel Frankreich, die Schweiz, Italien, Norwegen und Finnland, also auch Länder, die gemeinhin als progressiver gelten oder in denen es um die Rechte von Lesben und Schwulen eigentlich besser gestellt ist.

„Die letzten Monate haben viel Positives für die Rechte von Trans-Menschen gebracht“

Tut sich denn da was?

Im Moment tut sich sehr viel. Die letzten Monate haben sehr viel Positives für die Rechte von Trans-Menschen gebracht. Der Europarat hat eine Resolution verabschiedet, die ganz klar zum Ausdruck bringt, dass die Zwangssterilisation nicht menschenrechtskonform ist. Kurz zuvor wurde in Malta das weltweit fortschrittlichste Gesetz zu den Rechten von Trans- und Inter-Personen verabschiedet. Dieses regelt eine unbürokratische juristische Anerkennung  des Geschlechts ohne medizinische oder psychiatrische Gutachten. Zugleich schützt es auch Inter-Menschen vor unrechtmäßigen körperlichen Eingriffen. Und am 3. Juni hat auch Irland ein neues Gesetz zur Personenstandsänderung verabschiedet, in dem das Verfahren nur auf der Selbstbestimmung von Trans-Personen beruht.

Wie ist in Deutschland derzeit der Stand?

In Deutschland haben mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts Teile des Transsexuellengesetzes aus dem Jahr 1980 gekippt. Darunter zum Beispiel den Zwang zur Scheidung, zu geschlechtsangleichenden Operationen und zur Sterilisation. Außerdem gibt es kein Mindestalter mehr, und das Verfahren steht auch Ausländer_innen offen. Zwei medizinische Gutachten sind aber auch in Deutschland noch Voraussetzung.

Ähnlich läuft es derzeit übrigens in Frankreich, der Schweiz und Italien. Auch dort haben Gerichtsurteile einige der Bedingungen zur Personenstandsänderung unterhöhlt. In manchen Ländern werden also auf diesem Weg die bestehenden Gesetze ausgehebelt, in anderen Ländern wiederum werden eher auf politischer Ebene Vorstöße gemacht, indem zum Beispiel Anträge und Forderungen zur Reform der Gesetze vorbereitet und ins Parlament eingebracht werden.

Langwierige Verfahren, ärztliche Begutachtungen und „Alltagstests“

An wen richtet sich eure Kampagne?

Einerseits an Entscheidungsträger_innen in politischen Positionen oder Regierungen – auf europäischer Ebene und auch national, deshalb haben wir die Kampagne in 16 Sprachen übersetzt. Sie ist aber auch für eine breitere Öffentlichkeit gedacht. Und sie richtet sich an lesbische, schwule und bisexuelle Cis-Menschen, denn viele wissen nicht, wie es um die Rechte von Trans-Menschen steht. Die Kampagne soll ins Bewusstsein rücken, dass diese Formen der Diskriminierung und Menschenrechtsverletzung auch in Europa noch existieren.

Die Kampagne hat letztes Jahr begonnen. Welche Reaktionen gab es bisher?

Viele, die sich bisher noch nicht mit dem Thema auseinandergesetzt hatten, waren geschockt. Darunter sind auch viele junge Menschen, die im Bereich europäische Politik eigentlich recht fit sind, in diesem Feld auch arbeiten oder sich als Aktivist_innen verstehen, die aber von diesem Thema noch nichts gehört haben. Vor allem dass es in 23 Ländern noch Zwangssterilisationen gibt, finden viele empörend und unverständlich. Ähnliche Reaktionen gab es auch auf unsem Kampagnenvideo, das wir zu Anfang dieses Jahres veröffentlicht haben.

Plakat der Kampagne
Plakat der aktuellen TGEU-Kampagne zur Personenstandsänderung

Was sind weitere Hürden auf dem Weg zur Anerkennung der Geschlechtsidentität?

Eine Hürde ist die Prozedur selbst. Häufig dauert das Verfahren sehr lang. Oft ist nicht klar, wie das Ganze abläuft. Muss ich vor Gericht, oder an welche Stelle muss ich mich wenden? Welche Unterlagen werden benötigt? Wer hilft mir, besonders wenn der Antrag abgelehnt wird? Häufig sind Antragsteller_innen auch innerhalb des Verfahrens Diskriminierungen oder Demütigungen ausgesetzt.

Hinzu kommt, dass sich Trans-Menschen ärztlich begutachten lassen müssen – auch in Ländern, in denen es dazu kaum Expertise gibt. Oft müssen sie auch vor der Änderung ihrer Dokumente den sogenannten Alltagstest durchlaufen, das heißt, sie müssen für einen gewissen Zeitraum öffentlich erkennbar in dem Geschlecht leben, das sie registrieren lassen möchten. Das erhöht aber das Risiko, diskriminiert zu werden, denn die betreffende Person hat keine Dokumente, mit denen sie ihre Geschlechtsidentität bestätigen kann. So kommt es zu Anfeindungen oder zu der Unterstellung, man sei doch ein Betrüger oder eine Betrügerin.

„Der stete Tropfen höhlt den Stein“

In seiner Resolution vom April dieses Jahres fordert der Europarat von den Mitgliedstaaten schnelle und transparente Verfahren zur Personenstandsänderung, die allein auf der Selbstbestimmung der jeweiligen Person beruhen sollen. Die Forderungen sind aber nicht verbindlich. Kann so ein Beschluss denn überhaupt etwas bewirken?

Ja, denn der Europarat ist als das höchste Menschenrechtsorgan in Europa eine Autorität. Trans-Aktivist_innen und -Organisationen nutzen diese Resolution bereits, um Lobby-Arbeit in ihren Ländern zu machen. Auch Politiker_innen sind sehr interessiert, die Resolution in ihren Ländern umzusetzen, gerade, weil sie sehr umfassend ist und auch Themen wie Diskriminierungsschutz, Arbeitsmarkt, Gesundheitsversorgung und Schutz vor Gewalt enthält. Solch ein einheitlicher Menschenrechtsstandard hilft da schon – vor allem, weil es noch viele Länder gibt, in denen Gesetze noch nicht revidiert wurden und die Rechte von Trans-Menschen nicht geschützt werden. Der Europäische Gerichtshof beruft sich in seinen Urteilen ebenfalls auf solche Resolutionen, sie sind also auch relevant für die Rechtsprechung.

Und in Ländern, in denen die Menschenrechtslage ohnehin schlimm ist?

Die Lage für Trans-Menschen ist in den meisten Ländern Europas nicht gut, in vielen sogar sehr schlecht – von der Gesetzgebung her, aber auch was die gelebte Realität angeht. Wir sehen positive Veränderungen, aber die gehen noch viel zu langsam vonstatten. Hier muss man sagen: Der stete Tropfen höhlt den Stein.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Christina Laußmann

Plakate und Postkarten der „Access All Areas“-Kampagne von Transgender Europe in deutscher Übersetzung können kostenlos bei der Deutschen AIDS-Hilfe bestellt werden.

Weitere Informationen:

Website von Transgender Europe

„34 Countries in Europe make This Nightmare a Reality”– Kampagnenvideo von TGEU

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Über

Christina Laußmann

Christina Laußmann hat Kulturwissenschaft, Medienwissenschaft und Neuere deutsche Philologie an der Humboldt-Universität und Technischen Universität Berlin studiert. Seit 2013 arbeitet sie als Autorin und Lektorin bei der Deutschen Aidshilfe.

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