Auch Afrikanerinnen und Afrikaner, die in Deutschland leben, nehmen Drogen. Von den Angeboten der Suchthilfe werden sie allerdings kaum erreicht. Ein partizipatives Projekt in Berlin will das ändern. Ein Interview mit den Initiatorinnen Rosaline M’bayo und Petra Narimani

Frau M’bayo und Frau Narimani, durch die Debatte um den Görlitzer Park ist das Thema Drogen und Afrikaner in die Medien gekommen. Hat Drogenkonsum in der afrikanischen Community denn zugenommen?

R. M’bayo (R.M.): Es ist zumindest ein Thema, besonders Alkoholkonsum in den Familien. Aber es gibt keine Statistik dazu.

P. Narimani (P.N.).: Die offizielle Drogenberichterstattung nennt zwar ein paar Zahlen zu sogenannten Menschen mit Migrationshintergrund, aus denen man aber nicht viel ersehen kann. Jedenfalls nehmen viele Menschen in unserer Gesellschaft Drogen, und deshalb geht man davon aus, dass auch Leute mit afrikanischem Hintergrund das tun – und es ist ja auch sichtbar.

Wie ist die Idee zu Ihrem Projekt entstanden?

„Genauso wie andere betrifft Drogenkonsum auch Afrikaner“

R.M.: 2007 haben Petra und ich an der Katholischen Fachhochschule für Sozialwesen eine Weiterbildung zur partizipativen Forschung besucht, aus der dann unser Projekt hervorgegangen ist. Petra hat viele Jahre in Therapieeinrichtungen mit Migranten gearbeitet, ich selbst arbeite schon fast 16 Jahre mit afrikanischen Migranten. Wir haben uns gefragt, warum Afrikanerinnen und Afrikaner die Angebote der Sucht- und Drogenhilfe nicht nutzen und wie es gelingen kann, dass die Suchthilfe mit ihnen zusammenarbeitet.

Woran hapert es bisher?

P.N.: Vor allem Ängste verhindern, dass beide Seiten aufeinander zugehen. Seitens der deutschen Suchthilfe-Akteure gibt es zum Beispiel die Angst, dass man auf Afrikaner nicht gut genug vorbereitet ist und man möglicherweise keine passenden Angebote hat. Eine weitere Angst ist auch, dass man in die merkwürdigen politischen Ansätze um den Görlitzer Park verwickelt wird und dazu Stellung beziehen muss, was man im Augenblick aber nicht kann, weil man einfach viel zu wenig weiß.

Und aufseiten der Afrikaner?

R.M.: Sie sind eine Minderheit in der Minderheit und wollen nicht gern mit Themen in Verbindung gebracht werden, die dazu beitragen könnten, dass sie noch mehr stigmatisiert und diskriminiert werden. Genauso wie andere betrifft Drogenkonsum aber auch Afrikaner, und deshalb ist es wichtig, dass auch wir in unserer Community die Probleme erkennen und Lösungen dafür finden.

Festgefahrene Strukturen verändern

Ähnlich war es anfangs auch beim Thema HIV/Aids.

R.M.: Genau, auch da wollte man erst keine Lawine auslösen und das Stigma vergrößern. Man hat dann aber langsam erkannt, dass es wichtig ist, auch dieses Thema an die Community zu adressieren. Und heute gibt es in ganz Deutschland viele Projekte und Initiativen von und mit Afrikanerinnen und Afrikanern, die sich in dem Feld engagieren. Beim Thema Drogen stehen wir aber noch ganz am Anfang.

Welche Barrieren gibt es, die Afrikanern den Zugang zum Suchthilfesystem erschweren?

R.M.: Eine ist zum Beispiel, dass sie die Angebote nicht kennen, nicht wissen, wohin sie sich mit ihrem Problem wenden können. Und was für Deutsche vielleicht selbstverständlich ist, kann für Afrikaner eher ungewohnt sein, zum Beispiel, dass man sich Hilfe bei anderen sucht. Stattdessen versucht man lieber, hinter verschlossener Tür allein damit umzugehen.

P.N.: Was leicht aus dem Blick gerät, sind die Barrieren bei den deutschen Akteuren. Etwa die diffusen Ängste der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Suchthilfesystem und die Strukturen, die man über Jahrzehnte geschaffen hat, die aber nicht geeignet sind, andere Gruppen zu empfangen. Und natürlich spielen auch finanzielle Hürden eine Rolle. Es muss aber auch der Wille da sein, diese festgefahrenen Strukturen mit anderen gemeinsam zu verändern.

„Die Kultur sollte kein Hindernis sein, das ist oft nur eine Ausrede“

Was wären ganz praktische Veränderungen?

P.N.: Eigentlich nur, diese Haltung, diese Ängste abzulegen. Ich habe nie verstanden, warum man sich selbst solche Hürden baut, indem man sagt, ich muss erst mal alle afrikanischen Kulturen kennen, bevor ich etwas machen kann. Auf jeden Menschen, der in die Suchthilfe kommt, muss ich mich ganz neu einstellen. Jede Person geht mit Sucht anders um, und das muss ich als Beraterin oder Berater erfassen.

R.M.: Natürlich können sich in der Arbeit mit Migranten noch andere Dinge in den Weg stellen: aufenthaltsrechtliche Fragen, der Krankenversicherungsstatus und so weiter. Die Kultur sollte aber kein Hindernis sein, das ist oft nur eine Ausrede.

Wie gehen Sie nun mit Ihrem Projekt vor?

R.M.: Uns geht es um die Frage, wie Menschen mit afrikanischem Hintergrund an der Suchthilfe beteiligt werden können. Und darum war auch unser Projekt von Anfang an partizipativ angelegt. Unsere Steuerungsgruppe besteht aus Menschen verschiedener afrikanischer Nationalitäten, mit verschiedenen Berufen und verschiedenen Alters. Im Moment sind wir ungefähr 13, 14 Leute. Sieben von ihnen arbeiten auch in einer Public-Health-Gruppe mit, die sich mit Gesundheitsthemen beschäftigt, zum Beispiel Ebola, HIV, Hepatitis, Diabetes. Viele studieren in dem Bereich und wollen das Gelernte praktisch umsetzen und weiterforschen.

P.N.: Wir beide haben relativ früh entschieden, dass zu Anfang nur die Afrikaner diskutieren sollen. Die deutschen Einrichtungen haben wir erst mal außen vor gelassen, damit die Afrikaner die Schritte vorgeben können.

Eine Fachtag brachte beide Seiten zusammen

Mittlerweile gab es aber auch schon Gespräche mit den deutschen Akteuren.

R.M: Ja, im Januar dieses Jahres fand ein erster großer Fachtag statt, ein sogenannter Big Discussion Day, bei dem Afrikanerinnen und Afrikaner mit deutschen Suchthilfe-Akteuren zusammenkamen.

P.N.: Rund 60 Leute nahmen daran teil, das ergab ein unglaubliches Spektrum an deutschen und afrikanischen Organisationen, die gemeinsam diskutiert haben.

Mit welchen Ergebnissen?

P.N.: Die Ergebnisse des Fachtags sind in meinen Augen bombastisch. Ich mache die Arbeit ja schon sehr lange, und bisher war es üblich, die Zugangsbarrieren den Migranten zuzuschieben. Endlich haben aber die deutschen Akteure erkannt, dass es nicht nur darum geht, dass die Afrikaner lernen, wie das Suchthilfesystem aufgebaut ist, sondern dass auch sie lernen müssen, welche Angebote für die Afrikaner gebraucht werden – und diese können sie nur mit ihnen zusammen konzipieren. Zum ersten Mal wurde ganz ausdrücklich die Bereitschaft ausgesprochen, von Anfang an gemeinsame Projekte zu entwickeln.

Zu welchem Fazit kommt die afrikanische Seite?

R.M.: Die Veranstaltung hat es den Afrikanern ermöglicht, sich überhaupt einmal präsentieren zu können. Sie haben selten die Chance, ihre Ressourcen zu zeigen und einzusetzen und für die Community zu sprechen. Ein Fazit ist: Die Annäherung hat begonnen, aber es gibt noch viel zu tun.

„Wir wollen ernsthaft was machen“

P.N.: Nach dem Big Discussion Day wurde unsere Steuerungsgruppe gefragt, ob wir weitermachen. Alle haben gesagt, die Arbeit lohnt sich, weil sie die Ernsthaftigkeit gesehen haben. Zum ersten Mal haben mich nach so einer Veranstaltung auch die deutschen Akteure gefragt, wie sie denn rüberkamen. Auch das ist neu, dass sie angemessen sichtbar sein und das Signal „Wir wollen ernsthaft was machen“ aussenden wollen.

Was sind die nächsten Schritte und Ziele?

P.N.: Wir alle arbeiten ehrenamtlich, machen das also neben unserem Beruf, und wir verfügen kaum über finanzielle Ressourcen. Leider wird es immer als selbstverständlich erachtet, dass Migranten sich ehrenamtlich engagieren. Ich finde, diese Zeiten sollten vorbei sein. Wenn es uns jetzt nach dem Fachtag gelingt, die eine oder andere Stelle mit Afrikanern zu besetzen, dann ist das schon ein Erfolg.

R.M.: Deshalb sollen nun für die Angebote, die auf dem Fachtag von den Akteuren der Suchthilfe vorgebracht wurden, konkrete Konzepte entstehen. Dann wird auch diskutiert, wer aus der Gruppe diese Projekte leiten kann.

P.N.: Unser Wunsch ist außerdem, unser Projekt als Ganzes wissenschaftlich zu begleiten und die stattgefundenen Entwicklungen und Prozesse zu beschreiben. Und in einigen Bereichen wollen wir noch genauer hingucken: Wie viele sind tatsächlich betroffen? Wer sind diese Leute in den Parks? Wer sind Schlüsselpersonen, über die man Kontakt zu den Betroffenen findet? Deshalb freuen wir uns über Interessenten, die zum Beispiel ihre Master- oder Doktorarbeit zu einzelnen Themen schreiben wollen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Christina Laußmann

Wer mehr über das Projekt erfahren oder sich darin engagieren möchte, kann Rosaline M`bayo oder Petra Narimani über E-Mail kontaktieren: srosaline@gmx.de oder petranarimani@aol.com

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Über

Christina Laußmann

Christina Laußmann hat Kulturwissenschaft, Medienwissenschaft und Neuere deutsche Philologie an der Humboldt-Universität und Technischen Universität Berlin studiert. Seit 2013 arbeitet sie als Autorin und Lektorin bei der Deutschen Aidshilfe.

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