Drogenkonsumräume sind nicht nur Orte, wo man stressfrei drücken kann und steriles Spritzbesteck, Beratung und im Notfall auch Hilfe bekommt. Für viele sind sie auch so etwas wie ein Zuhause. Ein Gespräch mit den Berliner Junkies Patrick* und Falk*.

Zufällig vorbeischlendernde Passanten werden das Schild in der Tordurchfahrt des Berliner Wohnhauses in der Reichenberger Straße 131 kaum wahrnehmen. Hier geht es recht ruhig, beinahe diskret zu. Dabei hatte die Ankündigung, dass mitten im Kreuzberger Kiez ein Drogenkonsumraum eingerichtet werden soll, ziemlichen Aufruhr verursacht.

Wegen Umbaumaßnahmen hat Fixpunkt e.V. sein Angebot jetzt in einen Container im Innenhof verlegen müssen. An diesem Montagmittag herrscht besonders reges Treiben, denn heute ist ein Zahnarzt vor Ort, dessen Dienste die Klienten in Anspruch nehmen können. Patrick* und Falk* sind schon seit langem Stammgäste des Drogenkonsumraums.

Wann habt ihr zum ersten Mal einen Druckraum aufgesucht?

Patrick: Ich hatte durch einen Kumpel davon erfahren. Ich fand die Idee gut, dass man in Ruhe irgendwo drücken kann, ohne die Angst im Nacken, dass man gleich verjagt wird. Das ist nun schon sechs Jahre oder so her.

Drücken ohne Angst im Nacken

Falk: Man ist als Junkie ja geübt darin, dass man hinter einen Busch oder im Hausflur verschwindet, um sich dort einen Schuss zu setzten. Aber an solchen Orten hat man entweder Stress oder man macht ihn sich selbst. Man muss ständig auf der Hut sein, ob man nicht entdeckt und verjagt wird. Ich bin mal aus dem ersten Stock gesprungen, weil man mit Knüppeln auf mich losgegangen ist. Bevor ich da verkloppt werde oder jemand die Polizei holt, spring ich lieber raus. Im Druckraum aber weiß ich: Hier hab ich meine Ruhe.

Wie oft kommt ihr hier her?

Falk: Im Moment bin ich nicht richtig drauf – ich nehme auch Methadon. Aber alles, was ich sonst noch konsumiere, konsumiere ich hier. Ich bin meist ein- oder zweimal am Tag hier.

Patrick: Ich bin eigentlich fast jeden Tag hier, außer ich bin mal zu faul. Ich komm vor allem auch, um mir sterile Spritzen zu holen. Das ist ja nicht an so vielen Stellen in der Stadt möglich.

Falk: Der Spritzentausch ist natürlich wichtig. Aber auch zu wissen, dass da immer jemand in der Nähe ist. Ich hab die Macke, dass ich oft umfalle. Einmal war ich so schussgeil, aber ich hatte gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt, ich nicht ganz okay bin. Ich bin dann extra zum Moritzplatz gegangen, wo damals ein Bus, das Drogenkonsum-Mobil von Fixpunkt, stand. Und dann ist es auch genau so gekommen. Ich ging rein, hab mir erst mal die Hälfte gesetzt, dann aber auch noch den Rest nachgelegt. Ich hatte noch gar nicht ganz abgedrückt, da bin ich schon umgefallen. Ich kriegte dann das volle Programm inklusive Wiederbelebung.

„Ich kriegte das volle Programm inklusive Wiederbelebung“

Ich hab die Helfer später gefragt, wie es ausgegangen wäre, wenn mir das zu Hause passiert wäre. Die haben mir klipp und klar gesagt: „Du wärst gestorben“. Mit etwas Glück hätte ich vielleicht überlebt, aber dann womöglich mit ordentlichem Gehirnschaden. Insofern ist ein Druckraum überlebenswichtig.

Patrick: Eigentlich weiß ich sehr gut, was und wie viel ich konsumieren kann, um damit klarzukommen und nicht umzukippen. Als ich nach einem Entzug wieder draufgekommen bin, da war mir wichtig, dass ich jemanden um mich habe. Ich bin dann auch prompt umgekippt und der Kumpel, der bei mir war, hat den Krankenwagen gerufen. Da hatte ich Glück gehabt. Wäre der nicht da gewesen …

Habt ihr auch schon erlebt, dass Leute weniger Glück in solchen Situationen hatten?

Falk: Klar, ich hab viele in meiner Bekanntschaft, die draußen an einer Überdosis gestorben sind – bestimmt bald die Hälfte aller Leute, die ich im Lauf der Zeit kennengelernt habe. Ich hab aber auch erlebt, dass Leute auf Entzug gestorben sind.

Patrick: Genau, bei epileptischen Anfällen. Ich war nie selbst dabei, wenn jemand gestorben ist. Aber jeder von uns kennt Leute aus der Szene, die durch ihren Drogenkonsum ums Leben gekommen sind. Ein Kumpel von mir ist vor zwei Wochen gestorben. Der hatte sich die Spritzen in der Leistengegend gesetzt. Das hatte sich entzündet und schließlich zu einer Blutvergiftung geführt. Daher finde ich es gut, dass die Druckraum-Mitarbeiter uns auch beraten und entsprechende Hinweise geben. Wie etwa, sich nicht in der Leistengegend zu spritzen.

Nicht jeder lässt sich gern reinreden, selbst wenn die Ratschläge vielleicht sogar lebensrettend sind. Wie kann man erreichen, dass die Infos der Druckraum-Mitarbeiter auch tatsächlich angenommen werden?

Falk: Ich denke, jeder von uns hat schon erlebt, dass jemand eine Überdosis gerade noch mal so überlebt hat oder dass die Nadel dann doch zusammen mit anderen benutzt wurde und sich jemand auf diesem Weg womöglich eine Hepatitis C geholt hat. Es gibt immer Gründe, warum man sich wider besseres Wissen falsch verhält. Trotzdem muss immer wieder versucht werden, die entsprechenden Informationen an die Leute zu bringen. Ganz wichtig dabei ist, finde ich, dass die Angebote freiwillig sind. Ich denke da etwa an den Erste-Hilfe-Kurs von Fixpunkt, wo wir beispielsweise Wiederbelebungsmaßnahmen mit einer Puppe geübt haben. Ich hab da gern mitgemacht. Zum einen, weil’s mal eine Abwechslung im sonst eher stupiden Tagesablauf war, zum anderen, weil es eines Tages vielleicht doch hilfreich sein kann.

Warm essen, waschen und duschen, Bücher lesen und Leute treffen

Ist der Druckraum für euch eine Art Zuhause geworden?

Falk: Ich selbst hab das bislang noch nicht so stark empfunden, aber für andere ist das sicherlich der Fall. Vor allem für solche, die auch die Zusatzangebote häufig nutzen, also die Möglichkeit, Wäsche zu waschen oder zu duschen. Zweimal die Woche kann man hier für kleines Geld auch was Warmes zu essen bekommen. Damit man auch mal was Ordentliches zu sich nimmt und nicht immer nur Gummibärchen, wie ich das mache. Man kann hier Bücher lesen, man trifft Leute, die man kennt. Ja, für viele ist der Druckraum ganz bestimmt so etwas wie ein Zuhause. Vor allem für diejenigen, die obdachlos sind.

Welche Angebote nutzt du, Patrick?

Patrick: Ich wasche gelegentlich hier, wenn ich sonst keine andere Möglichkeit finde. Hauptsächlich aber nutze ich den Druckraum und natürlich das Angebot, meine Utensilien zu tauschen. Ich achte eigentlich immer drauf, dass ich sauberes Spritzbesteck habe. Trotzdem passiert‘s mir zwei-, dreimal im Jahr, dass es nicht klappt.

Ist der Druckraum für dich auch ein Ort, um Leute zu treffen?

Patrick: Freunde kann man hier keine finden, wobei man als Junkie eigentlich nie wirkliche Freunde haben kann. Das liegt in der Natur der Sache. Der Druckraum ist aber für mich immer auch ein Treffpunkt, wo man alte und neue Bekannte trifft, wo man sich austauscht, mal was zusammen unternimmt. Und man findet hier eben auch immer Menschen, die man ansprechen und um Rat und Hilfe bitten kann. Die Leute, die hier arbeiten, sind ja auch alle sehr nett.

Gibt es trotzdem manchmal auch Probleme im Miteinander?

Falk: Alle im Druckraum stehen auf je eigene Weise unter Stress, und ja, ich hatte auch schon Hausverbot bekommen. Das kommt über die lange Zeit schon mal vor.

Was war der Grund?

Falk: Einmal war ich betrunken und hab mich dann nicht gerade nett verhalten. Ein anderes Mal hatte ich Streit mit jemanden, und wir haben uns gegenseitig beschimpft: er mich als „Fotze“, ich ihn als „Kanake“. Ich würde mich nicht als Rassisten bezeichnen, aber im Stress rutscht einem so was raus.

„Die Regeln werden knallhart eingehalten“

Rassistische Beleidigungen werden im Druckraum allerdings nicht geduldet. Einmal wurde ich auch rausgeworfen, weil ich gedealt habe. Das ist ebenfalls untersagt. Wobei ich den Stoff nicht verkauft, sondern ihn mit jemandem geteilt habe. Da wird allerdings kein Unterschied gemacht, und die Regeln werden knallhart eingehalten. Das ist im Grunde aber auch ganz in Ordnung so.

Was macht ihr, wenn der Laden zu hat?

Falk: Bei mir war gerade gestern Abend so ein Fall. Ich bin im Moment zwar bei meiner Ex-Frau untergekommen, in ihrer Wohnung darf ich aber nicht drücken. Ich hatte mir eine Kugel besorgt, war aber schon derart am Zittern, dass ich die Nadel kaum in die Vene bekommen habe. Also musste ich in den Hausflur. Die Angst, dass dich hier jemand erwischt, womöglich die Polizei ruft, setzt dich zusätzlich unter Stress. Diese Nervosität hat man im Druckraum natürlich nicht.

Ich frage mich nur: Warum ist es in einer Stadt wie Berlin, in der so viele Süchtige leben, nicht möglich, einen Druckraum 24 Stunden am Tag und auch am Wochenende offen zu halten? In Hamburg oder Frankfurt klappt das doch auch.

Solche Angebote stoßen immer wieder auf  den Widerstand der Anwohner. 2009 hat man Fixpunkt die Räumlichkeiten des Druckraums am Kottbusser Tor in Kreuzberg gekündigt. Wie habt ihr das erlebt?

Falk: Ich fand die Diskussion damals teilweise ziemlich absurd, weil plötzlich genau die Leute gegen den Druckraum protestierten, die in den Jahren zuvor selbst mit Drogen gehandelt und mit uns Geld verdient haben. Noch witziger wird es, wenn man heute an dem ehemaligen Druckraum vorbeigeht: Da ist jetzt eine Spielhölle drin, rund um die Uhr geöffnet. Die produzieren also Süchtige am laufenden Band. Nur sind die eben nicht so sichtbar wie wir Junkies, die auch mal ein bisschen verlottert herumlaufen, sichtbare Narben und Wunden haben oder unangenehm riechen.

Der ehemalige Druckraum ist jetzt eine Spielhölle

Gibt es auch Drogenkonsumenten, die nie in einen Druckraum gehen?

Falk: Für mich sind solche Einrichtungen etwas Selbstverständliches, aber ich bekomme in Gesprächen immer wieder mit, dass viele noch gar nicht wissen, dass es so was gibt. Mir haben aber auch schon welche gesagt, dass sie da nicht hingehen wollen. Allerdings haben sie mir nie ihre Gründe dafür genannt.

Patrick: Manche gehen nicht hin, weil sie ihren Namen nicht angeben wollen.

Falk: Wobei diese Angst unbegründet ist. Du kannst ja irgendeinen Namen angeben, dich Karl May oder Karl Marx nennen. Das ist letztlich egal. Niemand schaut nach, was in diesem Ausweis steht.

Die Fragen stellten Axel Schock und Michael Mahler

*Namen von der Redaktion geändert

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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