An der Europäischen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Haft im Januar 2016 sind Experten aus Medizin, Wissenschaft und Praxis beteiligt. Wir sprachen mit dem langjährigen Pflegedienstleiter der Justizvollzugsanstalt Butzbach, Wilfried Weyl.

Vom 20. bis 22. Januar 2016 werden sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Europa in Basel über die gesundheitliche Versorgung Gefangener sowie über die Belastungen der Bediensteten auszutauschen. Darüber hinaus sollen wissenschaftliche Forschungsergebnisse, praktische Erfahrungen und europäische Standards diskutiert werden.

Organisiert wird die Veranstaltung gemeinsam von der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH), dem Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept e.V.) und dem Wissenschaftlichen Institut der Ärzte Deutschlands (WIAD). Die inzwischen achte Fachtagung dieser Art – die erste fand 2004 statt – wird voraussichtlich unter dem Motto „Gesundheit ist ein Menschenrecht – auch in Haft!“ stehen.

Auch Wilfried Weyl wird daran teilnehmen. Der Krankenpfleger war bis zu seiner Pensionierung in diesem Jahr fast vier Jahrzehnte in der Justizvollzugsanstalt im hessischen Butzbach für die Pflegedienstleitung zuständig.

Butzbach ware die erste Haftanstalt, in der substituiert wurde

Herr Weyl, Sie waren bei allen bisherigen Konferenzen zur Gesundheitsförderung in Haft mit dabei. Wie sind Sie seinerzeit auf die erste dieser Veranstaltungen aufmerksam geworden?

Wilfried Weyl: Das war mehr oder weniger ein Zufall. In den achtziger Jahren war Aids natürlich in Haft ein wichtiges Thema geworden und ich stand damals in engem Kontakt zur Aidshilfe in Gießen. Gemeinsam habeen wir den zuständigen Arzt in unserer Vollzugsanstalt dazu motiviert, sich in diesem Bereich mehr einzusetzen. Butzbach wurde so zur ersten Haftanstalt, in der substituiert und in der ein Substitutionsautomat aufgestellt wurde. Im Zuge dieser Arbeit habe ich dann von der Konferenz zur Gesundheitsförderung in Haft erfahren und unseren Anstaltsarzt ein wenig gedrängt, dass wir zusammen dorthin fahren. Allein wäre das für mich nicht möglich gewesen, ich war schließlich nur Pfleger und kein Arzt.

Wer hätte etwas dagegen gehabt? Die Konferenzorganisation?

Ganz im Gegenteil, die Konferenzleitung bemüht sich seit je, dass auch Leute aus der Praxis an der Veranstaltung teilnehmen. Problematisch war das für mich zuständige Ministerium. Zu nachfolgenden Konferenzen habe ich dann zwar arbeitsfrei bekommen, die Fahrtkosten musste ich jedoch selbst übernehmen.

Dieses persönliche Engagement lässt vermuten, dass Ihnen diese Veranstaltungen sehr wichtig waren. Was haben Sie für sich aus diesen Konferenzen mitgenommen?

Das Besondere und Entscheidende war für mich, mit Menschen zusammenzusitzen, die dieselben Interessen verfolgen. Alleine durchs Zuhören konnte ich viel für unsere Arbeit in der JVA Butzbach lernen. Vor allem darüber, wie andere den Weg gehen. Das geschah auch oft durch die kleinen Gespräche nebenbei. Es muss ja nicht jeder für sich das Rad neu erfinden.

Es muss ja nicht jeder für sich das Rad neu erfinden

Können Sie konkrete Beispiele nennen, welche Anregungen Sie auf den Konferenzen erhalten haben?

Anfangs waren das Dinge, die sich heute ganz banal und selbstverständlich anhören: etwa die Kondom- oder Spritzenvergabe. Wir haben damals in Butzbach versucht, als erste große Haftanstalt in Deutschland die Spritzenvergabe einzuführen. Dazu hatten wir auch bereits ein entsprechendes Programm ausgearbeitet. Die Chancen zur Umsetzung waren recht gut, denn damals stand das zuständige Ministerium unter grüner Führung. Gescheitert sind wir schließlich aber an den Bediensteten im Strafvollzug. Deren Angst vor der Nadel war doch größer als gedacht.

Auf einer der Konferenzen habe ich dann von einem Schweizer Kollegen Tipps bekommen, wie der Spritzenaustausch gewissermaßen unter der Hand organisiert werden kann. Man nimmt von diesen Konferenzen eigentlich immer irgendwelche Kleinigkeiten mit, die allerdings große Wirkung haben – auch für die Gefangenen. So haben wir etwa in Butzbach Gesprächskreise eingerichtet, um den Gefangenen einfach mal die Möglichkeit zu geben, frei zu reden. Dazu haben wir auch Psychologen und Mitarbeiter der Aidshilfe hinzugezogen. Auch dies war eine Anregung, die ich von einer der Konferenzen mitgenommen hatte.

Konnten Sie im Gegenzug auch eigene Erfahrungen einbringen?

Ich habe in der Tat immer wieder bestimmte Themen aus meiner pflegerischen Sicht erklärt und darüber berichtet, wie wir in unserer Strafvollzugsanstalt damit umgehen. Das betraf in den letzten Jahren vor allem die Situation von inhaftierten Menschen mit Migrationshintergrund und Fragen zur Gefängnismedizin. Diese Form des Austauschs findet oft in Gesprächen am Rande der Konferenz statt.

Wie haben Ihre JVA-Kollegen auf Ihr Engagement reagiert?

Es gibt natürlich immer welche, die solche Tagungen für vergeudete Zeit halten. Der überwiegende Teil aber fand das durchaus positiv. Ich habe im Anschluss an die Konferenzen meinen Kollegen stets darüber berichtet und auf diese Weise die neuen Erkenntnisse weitergegeben. Diese Anregungen, den eigenen begrenzten Horizont zu erweitern, wurden eigentlich immer dankbar angenommen. Ein ähnlich gutes Feedback höre ich auch von anderen Kollegen, die an den Konferenzen teilnehmen. Erfreulicherweise werden es ja auch immer mehr.

Den eigenen Horizont erweitern

Das heißt, es gibt zunehmend mehr Kollegen, die die bestehenden Verhältnisse verbessern möchten?

Auf jeden Fall. Vom „normalen“ Aufsichtsdienst werden Krankenpfleger im Vollzug ja meist etwas belächelt. Wir befinden uns in einer Art Zwitterposition. Einerseits sind wir ebenso Beamte, andererseits ist es unsere Aufgabe, uns um das Wohl der Gefangen zu kümmern. Dadurch haben wir in der Regel auch einen weitaus intensiveren persönlichen Kontakt zu den Inhaftierten.

Mir ist es aber über die Jahre durchaus gelungen, zumindest bei den jüngeren Kollegen des Vollzugsdienstes ein Umdenken zu bewirken, gerade auch was die Substitution angeht. Wurde diese anfangs von manchen noch als unnötiger Luxus für die Gefangenen gesehen, der für das Personal lediglich Mehrarbeit und zusätzliche Belastung mit sich bringt, so hat sich bei vielen Kollegen mittlerweile ein entspannteres Verhältnis dazu entwickelt. Wenn sich nun auch noch etwas in den Köpfen der – insbesondere älteren – Ärzte bewegte, wären wir einen deutlichen Schritt weiter.

Älterwerden und Sterben in Haft

Die kommende Konferenz zur Gesundheitsförderung in Haft stellt die Gesundheit als Menschenrecht ins Zentrum. Inwieweit beschäftigt Sie derzeit dieses Thema?

Die Themen, mit denen ich derzeit intensiv zu tun habe, berühren diesen Aspekt tatsächlich auf die eine oder andere Weise. So etwa das Älterwerden und Sterben in Haft. Damit wird sich in Basel auch eine Arbeitsgruppe auseinandersetzen. Wir haben beispielsweise immer mehr ältere Menschen in Haft, die bereits sehr lange HIV-infiziert sind und nun an den Spätfolgen der Medikamente leiden.

Ich habe auch bereits einige Male bei Gefangenen als Sterbebegleiter fungiert. Manchen habe ich geholfen, die Haftanstalt zu verlassen, um so menschenwürdig jenseits der Gefängnismauern sterben zu können. Für einige habe ich versucht, einen Hospizplatz zu besorgen, doch der dadurch entstehende Verwaltungsaufwand ist enorm. Es entbrennt automatisch der Kampf darum, wer als Kostenträger einspringen muss. Anstatt dass als Erstes das Sozialamt die Kosten übernimmt und diese dann mit der ehemaligen Krankenkasse des Gefangenen die Kostenfrage klärt, wird diese Aufgabe allein dem Vollzug überlassen. In einem besonderen Fall hat ein Häftling hingegen bewusst entschieden, dass er im Gefängnis sterben möchte. Er hatte draußen niemanden mehr; das Gefängnis war sein Heim, seine „Todeszelle“, wie er sagte.

Sie sind in diesem Jahr in den Ruhestand gegangen. Haben Sie mit dem Themenbereich „Menschen in Haft“ nun für sich abgeschlossen?

Nein, abgeschlossen ganz gewiss nicht, ich habe lediglich meinen Wirkungsbereich verlagert. Für die Diakonie beispielsweise erarbeite ich mit anderen derzeit ein Positionspapier zu Suchtproblemen bei Behinderten. Ich bin außerdem unter anderem in der Hospizarbeit und demnächst wohl auch in der Aidshilfe Gießen engagiert. Ganz weg bin ich also nicht!

Vielen Dank für das Gespräch!

Die 8. Europäische Konferenz zur Gesundheitsförderung in Haft
 mit dem Arbeitstitel „Gesundheit ist ein Menschenrecht – auch in Haft!“ findet vom 20. bis 22 Januar 2016 in der Universität Basel am Institut für Bio- und Medizinethik statt. Als Ko-Veranstalter fungieren unter anderem die Hôpitaux Universitaires de Genève/Schweizer Haus Hadersdorf, die Konferenz der Schweizerischen Gefängnisärzte (KSG) und das Forum der Gesundheitsdienste des Schweizerischen Justizvollzugs.

Nähere Informationen zum Programm und zur Anmeldung gibt es auf der Internetseite zur Konferenz.

 

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Über

Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

1 Kommentar

  1. „Es entbrennt automatisch der Kampf darum, wer als Kostenträger einspringen muss. Anstatt dass als Erstes das Sozialamt die Kosten übernimmt und diese dann mit der ehemaligen Krankenkasse des Gefangenen die Kostenfrage klärt, wird diese Aufgabe allein dem Vollzug überlassen.“

    Wenn man sich vor Augen hält das eine Haftanstalt für Häftlinge die im Strafvollzug für externe Arbeitgeber „arbeiten“ den vollen Lohn erhalten, während der Häftling gerade mal ein Taschengeld erhält von dem auch noch Rücklagen für seine Entlassunge einbehalten werden, so ist das schon ein dicker Hund. Hier wurde und wird der Gefangene der Arbeiten für externe Arbeitgeber verrichtet zweimal bestraft.

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