Dieser Text erschien zuerst im HIV-Magazin hello gorgeousHerzlichen Dank an Herausgeber Leo Schenk, Autor Raoul Fransen-dos Santos und Fotograf Henri Blommers für die Erlaubnis zur Veröffentlichung! Übersetzung: Alexandra Kleijn

Cédric Nininahazwe (28) ist Chef von RNJ+ (Réseau National des Jeunes Vivant avec le VIH), des Nationalen Netzwerks von Jugendlichen mit HIV in Burundi, das von Jugendlichen geleitet wird. In diesem Jahr wurde Cédric für das Y+-Fellowship ausgewählt, ein Praktikumsprogramm zum Auf- und Ausbau von Wissen und Führungskompetenzen für den Kampf gegen HIV.

Cédrics Mutter starb, als er vier Jahre alt war. Als sieben Jahre später auch sein Vater starb, wurde er von seinem Onkel aufgenommen, seine Schwester zog zu einer Tante. Cédrics Onkel war als Vormund eingesetzt und verwaltete das Geld der Erbschaft, doch Cédric fiel auf, dass für seine Erziehung und für die seiner Schwester nur wenig Geld ausgegeben wurde.

Cédric und seine Schwester sind mit HIV auf die Welt gekommen

Als er fünfzehn Jahre alt war, schlug seine Tante ihm einen HIV-Test vor. Sie hatte die Vermutung, dass die Mutter der beiden an den Folgen von Aids gestorben war.

Und in der Tat: Cédrics Test ergab, dass er HIV-positiv war. Nun wurde ihm klar, dass sein Onkel darüber wahrscheinlich Bescheid wusste – und deshalb so wenig Geld wie möglich für sie ausgab, damit nach ihrem Tod möglichst viel von der Erbschaft übrigblieb. Das führte zu vielen Auseinandersetzungen mit seinem Onkel, bis Cédric zu einem Notar ging und das Bankkonto sperren ließ. Cédrics Schwester ließ sich kurz nach ihm ebenfalls testen. Das Ergebnis: Beide Kinder waren mit HIV auf die Welt gekommen.

VERMÄCHTNIS

Cédric war überzeugt, dass er bald sterben würde und seinen Schulabschluss nicht mehr machen könnte. Schon seit Jahren war er immer wieder krank. Seit der Diagnose ging er jeden Monat in die Klinik. Die Untersuchungen und Behandlungen an sich waren kostenlos, Geld kostete aber die Fahrt dorthin – mit vier Dollar jedes Mal eine beträchtliche Summe. Inzwischen hatte Cédric etwas über die Kombinationstherapie gelesen und bat seinen Arzt um mehr Informationen. Zu dieser Zeit galt die Regel, dass eine Therapie bei weniger als 250 CD4-Zellen gestartet wird, doch Cédrics Werte waren sogar nach fünfzehn Jahren ohne Behandlung immer noch deutlich höher. Er bekam Antibiotika verschrieben, die dafür sorgten, dass er sich wieder fit fühlte. An einem Tag in der Woche bearbeitete er ein Stück Land, auf dem er Mais anbaute. Das sah er als sein Vermächtnis.

Der Krankenpfleger, der ihm das Ergebnis des HIV-Tests mitgeteilt hatte, machte ihm klar, dass er nicht der einzige mit HIV war und dass es Unterstützung für ihn gab. Cédric machte sich auf die Suche nach anderen Menschen, denen Ähnliches widerfahren war und die die gleichen Fragen hatten wie er – und vielleicht sogar ein paar Antworten. Einige Monate nach seiner Diagnose schloss er sich RNJ+ an.

Mythen rund um die HIV-Therapie führen dazu, dass viele Menschen eine Behandlung ablehnen

Cédric wurde aktiv. als ein Freund Juste Saint Rachel Izerimana im Alter von fünfzehn Jahren starb. Die Familie des Jungen hatte ihn jahrelang anders als die anderen Familienmitglieder behandelt, weil er HIV-positiv war; so hatte er beispielsweise einen eigenen Teller und Becher.

Nach einem Interview im nationalen Fernsehen, in dem Juste erzählte, wie er zu Hause behandelt wurde, setze ihn seine Familie auf die Straße. Ein paar Wochen streifte er auf der Suche nach einer neuen Bleibe umher. Hunger und das Leben auf der Straße setzen ihm schwer zu, und er kam ins Krankenhaus. Erst zwei Wochen später erfuhren seine Freunde davon. Wenige Tage später starb Juste. Die Familie weigerte sich, die Beerdigung zu bezahlen. Von diesem Ausmaß der Diskriminierung erschüttert, wurden Cédric und seine Freunde – alle noch im Teenager-Alter – aktiv und sammelten Geld für die Beerdigung.

BAUSTEIN

Die größte Herausforderung für RNJ+ ist laut Cédric das Testen und Beraten von Jugendlichen. „Die Art und Weise, wie du dein positives HIV-Test-Ergebnis bekommst, bestimmt deinen Umgang mit der Diagnose. Nur allzu oft stimmen die Infos vom medizinischen Personal nicht oder sie sind durch deren persönliche Meinung gefärbt. Jugendliche sollten angemessene Unterstützung erhalten, die zu ihrer Lebensphase passt: Informationen über den sich verändernden Körper, über Sexualität und sexuelle Gesundheit. Wenn es für Jugendliche zwar HIV-Tests gibt, aber keine Unterstützung oder Infos zu Behandlungsmöglichkeiten, dann fehlt ein wesentlicher Baustein.

Wir sollten Jugendliche nach ihren tatsächlichen Bedürfnissen fragen

Der Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten ist wichtig. Wenn es dazu jedoch Fehlinformationen gibt, werden viele Menschen eine Behandlung ablehnen.

Es gibt immer noch viele Mythen, dass HIV-Medikamente den Körper verändern würden. Jugendliche sind für solche Geschichten sehr empfänglich. Darum ist es so wichtig, dass man ihnen keine Angst macht, sondern sie gut über die Nebenwirkungen, Klinikbesuche und die Therapie an sich aufklärt. Warum sollte jemand mit einer lebenslänglichen Therapie anfangen, wenn er glaubt, dass diese sein Leben nur komplizierter machen wird?

Vielen Ärzt_innen und Mitarbeiter_innen des medizinischen Systems fehlt Erfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen. Es kommt immer wieder vor, dass ich mehr über die HIV-Behandlung weiß als mein Arzt. Als ich zum Beispiel merkte, dass sich bei mir eine Lipoatrophie (veränderte Fettverteilung im Körper) entwickelte, wusste ich, dass dies eine der möglichen Nebenwirkungen von d4T war, einem der HIV-Medikamente, die ich derzeit nahm. Doch als ich meinem Arzt die deutlich sichtbaren Adern in meinen Beinen zeigte, sagte er, ich solle mehr Sport treiben. In dem Augenblick wusste ich, dass ich mir einen anderen Arzt suchen musste. Aber nicht jeder ist so mündig und nicht jeder hat Zugang zu guten Informationen.“

PRAKTIKUM

Das Jungendzentrum von RNJ+ in Burundi hat im vergangenen Jahr mit Aufklärung und anderen Dienstleistungen rund um HIV, (Homo-)Sexualität und sexuelle Gesundheit mehr als 3.000 HIV-positive Jugendliche erreicht.

Cédric sieht hier eine wichtige Rolle für Menschen mit HIV und insbesondere für Jugendliche. „Jungen Menschen wird oft gesagt, was sie brauchen. Besser ist es, sich nach ihren tatsächlichen Bedürfnissen zu erkundigen. Sie sind selbst Experten und müssen deshalb aktiv in die Entwicklung von Maßnahmen, die sie selbst betreffen, mit einbezogen werden. Indem wir unsere Erfahrungen teilen, können wir Stigma und Diskriminierung eindämmen.“

Jugendliche sind Expert_innen in eigener Sache

Seit einigen Jahren engagiert sich Cédric auch in Y+, dem internationalen Netzwerk von Jugendlichen mit HIV. In diesem Jahr wurde er für das Y+-Fellowship ausgewählt, eine Art Praktikumsprogramm, das ihn in eine Reihe von anderen Ländern führt, um sich dort mit mit Aktivist_innen, Politiker_innen und anderen wichtigen Figuren der HIV-Bewegung auszutauschen. Er hat an verschiedenen Orten über die Belange, Bedürfnisse und Rechte von Jugendlichen mit HIV gesprochen, unter anderem während des letzten Gipfels der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, dem Nachfolger der Millenniums-Entwicklungsziele.

INVESTIEREN

„In den vergangenen Monaten habe ich viel gelernt. Manchmal befürchte ich, dass meine Kollegen bei Y+ zu viel erwarten. Viele Jugendliche mit HIV sehen Y+ als eine Art Utopia, weil die Vorstandsmitglieder reisen können und Zugang zu internationalen Organisationen und Diskussionen haben. Faktisch ist es aber so, dass der wirkliche Fortschritt von den Menschen kommt, die vor Ort in landeseigenen Communitys aktiv sind. Wir müssen mehr tun als Konferenzen besuchen. Was wir auf internationalen Foren erzählen, ist bedeutungslos, wenn es uns nicht gelingt, dabei eine Verbindung zur Realität der Jugendlichen im eigenen Land zu schaffen.

Das bedeutet, wir müssen Länder und Sponsor-Organisationen dazu bringen, dass sie mit ihren Geldern kleine, von jungen Menschen für junge Menschen geführte Initiativen fördern. Das ist nicht einfach, denn die meisten Sponsoren schrecken davor zurück. Das Risiko, junge, oft unerfahrene Gruppen zu unterstützen, ist ihnen zu groß. Zudem erwartet ihre Basis oft schnelle Ergebnisse: Wie viele Leben konnten pro gespendetem Euro „gerettet“ werden? Für Jugendorganisationen ist es auf der anderen Seite im Allgemeinen schwierig zu zeigen, dass ihre Initiativen und Bemühungen zu den von den Sponsoren gewünschten Ergebnissen beitragen. Gegenseitiges Vertrauen muss Schritt für Schritt aufgebaut werden. Das ist vielleicht nicht ohne Risiko – auf beiden Seiten wird es Fehler geben –, aber irgendwo muss man anfangen.“

 

KURZPROFIL

NAME

Cédric Nininahazwe

ALTER

28 Jahre alt

LEBT IN

Bujumbura

HAT

HIV seit seiner Geburt, weiß es seit 13 Jahren

HOBBYS

Filme schauen, singen

LEBENSMOTTO

Follow your dream and be sure you are fulfilling the best of you (sinngemäß etwa „Folge deinen Träumen und gib allzeit dein Bestes“)

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Gastbeitrag

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