Benjamin Melzer hat es als erster Trans*-Mann aufs Cover der Fitnesszeitschrift „Men’s Health“ geschafft – und ist damit auch zum Rollenmodell für Transgender geworden.

Mit seinen muskulösen Oberarmen, dem durchtrainierten Körper und Waschbrettbauch bietet Benjamin Melzer alle entscheidenden Attribute, über die man als Sportmodel verfügen sollte. Doch dass der 29-Jährige es im April nach einem Wettbewerb auf den Titel des Fitness-Magazins „Men’s Health“ schaffte, ist trotzdem etwas Besonderes: Benjamin ist als Yvonne aufgewachsen, in Oer-Erkenschwick am nördlichen Rand des Ruhrgebietes. Vor sechs Jahren entschied er sich zur Geschlechtsangleichung und unterzog sich einem langen medizinischen wie behördlichen Prozess, aber auch einem intensiven Fitnessprogramm.

Mitte Juli haben Sie in Berlin eine Ausstellung mit Fotos von Bernd Ott eröffnet, der für sein Projekt „All the people“ Menschen mit individuellem Geschlechterverständnis porträtiert hat. Wie wichtig sind solche Bilder insbesondere von Transgender?

Wenn ich einfach mal von mir ausgehe: Manche stolpern vielleicht eher zufällig über ein Foto von mir und sehen einen eigentlich ganz normalen jungen Mann. Sie erfahren dann oft erst im zweiten Schritt, dass ich früher mal ein Mädchen war. Ich finde es toll, wenn Leute aufgrund von Fotos einen solchen Erfahrungsprozess erleben können.

„Ich bin zwar Model, aber ich bin nicht nur ein Gesicht! Ich habe etwas zu sagen!“

Durch Ihr Fotoshooting für das Cover von „Men’s Health“ und noch mehr durch die Berichterstattung darüber haben sehr viele Menschen auch Ihre Geschichte erfahren. Inwieweit ist es Ihnen wichtig, Ihre Popularität zu nutzen, um über das Thema Transgender zu sprechen?

Den Traum, als Model oder vielleicht sogar auch als Schauspieler zu arbeiten, habe ich schon sehr lange verfolgt. Natürlich könnte ich es dabei belassen und einfach nur meinem Job nachgehen. Ich hab da schon meinen Spruch dazu: ‚Ich bin zwar Model, aber ich bin nicht nur ein Gesicht! Ich habe etwas zu sagen!‘. Wenn ich mit meiner Arbeit nebenbei auch noch aufklären, die Community unterstützen und dazu beitragen kann, dass Transgender wie ich gehört werden – warum es also nicht tun?

Wenn alle wollen, dass sich etwas ändert, aber niemand den Mund aufmacht, dann tut sich nichts. Warum, habe ich mir gedacht, soll ich nicht der sein, der den Mund aufmacht? Vielleicht bin ich dafür prädestiniert, weil mir so vieles einfach egal ist.

Es verletzt mich nicht, wenn Medien mal etwas Dämliches schreiben. Vielleicht habe ich einfach Glück, dass ich von Natur aus oder durch die Erziehung in dieser Hinsicht so stark bin. Mir ist nur wichtig, was meine engsten Mitmenschen über mich denken.

Auch Chaz Bono, ehemals Chastity Bono, ist vor vielen Jahren mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen – und hat Ihnen damals den notwendigen Impuls für den eigenen Weg gegeben.

Ich war 18 und wusste bis dahin gar nicht, was mit mir los ist. Dann sah ich den Bericht über Chastity Bono im Fernsehen.

„Mir ist nur wichtig, was meine engsten Mitmenschen über mich denken“

Das Coming-out der Tochter von Sängerin Cher als Trans*-Mann wurde zu einem großen Medienthema.

Ich wusste vorher gar nicht, was Transgender eigentlich ist. Ich wusste nur: Mit mir stimmt etwas nicht, ich bin anders.

Wer oder was hat Ihnen damals geholfen, diesen Weg zu gehen?

Für mich war dieser Bericht wie eine Erlösung. Die Entscheidung zur Geschlechtsangleichung habe ich erst fünf Jahre später gefällt. Ich wollte endlich ich selbst sein. In meiner Jugend war ich echt ätzend. Ich war nicht immer nett zu anderen Menschen, war laut und habe die Rolle des Klassenclowns übernommen. Im Nachhinein betrachtet, wollte ich damit vielleicht einfach nur von mir selbst ablenken.

Ich hatte aber keine Vorbilder, niemanden mit dem gleichen Schicksal, der mich durch diese Phase gebracht hätte. Aufgesehen habe ich zu ganz normalen Künstlern; Justin Timberlake fand ich immer großartig, James Dean ist mein größtes Idol.

Wichtig aber war natürlich die Unterstützung durch meine Freunde, meine Familie und vor allem durch meine Freundin, die den ganzen Weg mit mir gegangen ist.

„Ich habe jedem Einzelnen klargemacht: Das ist jetzt mein Leben“

Hatten Sie Angst, sich gegenüber diesen Menschen, die Ihnen am nächsten stehen, zu outen?

Ja, ich hatte sogar große Angst. Mir war zugleich aber auch klar, dass ich es machen muss. Ich habe meiner Familie und meinen Freunden gesagt: „Fragt mich alles, was ihr wissen wollt. Das ist mir lieber, als wenn ihr hinter meinem Rücken darüber redet.“ Ich habe jedem Einzelnen klargemacht: „Das ist jetzt mein Leben, ich kann nichts dafür. Das ist jetzt mein Weg. Entweder du gehst mit mir, oder du bleibst auf der Strecke.“

Waren für Sie Selbsthilfegruppen, Beratungsgruppen oder andere Angebote in der Trans*-Community wichtig?

Ich habe das alles ganz bewusst vermieden. Ich wollte da ganz alleine durch und nicht von anderen, die den gleichen Weg gehen, irgendwelche Ratschläge holen und mich beeinflussen lassen. Ich wollte mich selbst erkundigen, meine Entscheidungen treffen und dann durchziehen.

Für mich war aber auch klar, dass ich Selbsthilfegruppen und all dies nicht brauche, weil ich den Rückhalt durch meine Familie hatte. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass es für manche, die eben nicht auf die Unterstützung von Freunden und Angehörigen zurückgreifen können, sehr hilfreich sein kann, dort Gleichgesinnte zu treffen. Mich hätte es allerdings eher depressiv gemacht.

„Aufgeben ist keine Option für mich und war es auch nie“

Die Öffentlichkeit kennt sie nun als Model. Sie haben aber auch noch einen ganz gewöhnlichen bürgerlichen Beruf. Wie kam es zu diesem Wechsel vom Verkäufer zum Fotomodell?

Ich hatte viele Agenturen angeschrieben und gar keine Antworten oder Absagen bekommen. Aber auch Heidi Klum hat zum Beginn ihrer Karriere an viele Türen klopfen müssen. Aufgeben ist keine Option für mich und war es auch nie.

Ich bin sehr viel in den Sozialen Medien unterwegs, und dadurch entstand dann auch mein erster Kontakt mit der Branche. Bei Instagram schrieb mich jemand vom britischen Schwulenmagazin „Attitude“ an, das mich für eine Fotoserie zum Thema Transgender haben wollte.

Nun bin ich zwar stockhetero, die Redaktion wollte mich aber trotzdem dabei haben. Ich habe überlegt: „Mann, was hast du zu verlieren? In London war ich noch nie, und die Flüge sind nicht teuer.“

Ich war aber doch recht nervös, doch als ich dann vor der Kamera stand, habe ich gemerkt, wie viel Spaß mir das macht und was ich eigentlich kann. Ich bin jetzt bei einer Sportmodelagentur unter Vertrag und habe inzwischen zudem auch ein Management gefunden.

Wie waren denn die Reaktionen auf die vielen Presseberichte rund um den „Men’s-Health“-Titel oder auch jetzt zu Ihrer Mitwirkung an der RTL-Show „Ninja Warrior Germany“?

Die Reaktionen sind zu 98 Prozent positiv – sowohl innerhalb der Community wie auch von den Menschen außerhalb, die gehen ebenfalls ganz locker damit um. Ich sage immer: „Es gibt keine doofen Fragen. Wenn mir etwas unangenehm ist, lass ich das euch schon wissen.“

Natürlich gibt es Leute, die kommen tatsächlich mit Fragen wie: „Hey, was hast du eigentlich da zwischen den Beinen?“ Damit ist für mich eine Grenze überschritten, und auf so etwas muss ich auch nicht antworten. Ich kann natürlich nicht mit jedem, der mich anschreibt, chatten, aber ich versuche zu helfen und so viele Fragen zu beantworten, wie ich kann. Ich nutze zum Beispiel die App Snapchat, um regelmäßig Fragen-Antworten-Runden zu veranstalten.

„Das Verfahren bis zur Operation muss vereinfacht und beschleunigt werden“

Was sollte sich in der Community und in der Gesellschaft ändern, damit es für Transgender leichter wird?

Ich habe leider feststellen müssen, dass teilweise sehr viel Hass innerhalb der Community herrscht. Das finde ich sehr schade, denn man sollte sich ja besser gegenseitig helfen und den Rücken stärken.

Von der Gesellschaft wünsche ich mir, dass das Thema Transgender normalisiert wird und wir diesen Exotenstatus verlieren, den wir natürlich in manchen Teilen der Bevölkerung, aber auch in den Medien noch besitzen. Und es wäre dringend notwendig, das Verfahren bis zur Operation deutlich zu vereinfachen und zu beschleunigen. Dieser ganze Papierkram vorab ist einfach sehr kräfteraubend.

Webseite von Benjamin Melzer: http://egoshooters.com/

In der Neuen Galerie Berlin läuft noch bis Mitte August die Ausstellung ALL THE PEOPLE mit Fotos von Bernd Ott und Texten von Emily Besa, die die Vielfalt der Gender-Ausdrucksformen und -Identitäten zeigen und feiern. Ein Interview mit Bernd Ott findet sich auf gosee.de.

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Über

Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

2 Kommentare

  1. Danke für den Bericht.
    Es hat für mich auch sehr lange keinen Sinn ergeben warum ich war wie ich war.. erst als ich eine Dokumentation im Fernsehen gesehen hab wurde mir schlagartig alles bewusst.
    Ich hab geheult und mich tage lang verkrochen. Ich wusste zwar was nun mit mir los war aber leider steht mir der nächst größere Schritt noch bevor. Aber auch diese Hürde werde ich in Angriff nehmen. Kommt Zeit kommt Mut!

  2. Finde es befremdlich, dass ein Transmann der bewusst nicht mit der „Community“ in Verbindung steht, sich Urteile über diese erlaubt. Ja, wir müssen uns gegenseitig unterstützen, aber dazu müssen wir erstmal einander zuhören… z.B. „die Operation“ gibt es nicht, es gibt diverse mögliche Operationen die nicht von jedem tranisdenten Menschen gewünscht sind.
    Und das Selbsthilfe Gruppen deprimierend sind, kann ich absolut nicht bestätigen.
    Klar macht es traurig zu hören, dass sich die Eltern von Person X abgewand haben, es ist aber auch verdammt wichtig, dass wir uns gegenseitig stützen auch und grade wenn wir privilegierte Transmänner mit super Passing und tollen Familien sind…
    Und Bitte benutzt „Transgender“ nicht als Substantiv, das Wort ist ein Adjektiv, ich bin nicht „ein Transgender“.

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