Guido Vael, langjähriges Vorstands- und Ehrenmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe, feiert am 5. Februar wieder einen runden Geburtstag. Bernd Aretz würdigt den Jubilar.

Guido ist ein Kneipenkind: Er kann mit jedem Kontakt aufnehmen, für ihn sind erst mal alle gleich. Und er weiß Wirtshäuser und Kneipen wie auch Klappen und Parks als Orte der Begegnung unterschiedlichster Welten zu schätzen, wie es ihm ohnehin ein Anliegen war und ist, sie gegen die kleinbürgerliche Moral zu verteidigen. An einem dieser Orte lernte er auch seinen Mann kennen, der sich als die Liebe des Lebens herausstellen sollte und ohne dessen Unterstützung Guidos ehren- und hauptamtliches Engagement nicht möglich gewesen wäre.

Guido entstammt einer belgisch-flämischen Wirtsfamilie. Er arbeitete als Ingenieur in der Werkstoffprüfung für die bemannte Raumfahrt, bis sein Arbeitgeber diese Unternehmenssparte aufgab. Das eröffnete ihm ganz neue berufliche Welten als Streetworker in Münchens Schwulenszene. Seine erste Ehe mit einer Frau war geschieden und Willi Giess, der jetzt sein Ehemann ist, schon lange an seiner Seite.

Als er nach München kam, half ihm der Verein für sexuelle Gleichberechtigung, in der Stadt anzukommen. Das gab er durch jahrelanges Engagement zurück. Beratung, Coming-out-Gruppen, Diskussionen mit Rainer Schilling als dem Denker des Vereins, Mitherausgabe der Zeitschrift „Emanzipation“, später Streetwork für SUB, dem schwulen Kultur- und Kommunikationszentrum Münchens, Mitbegründer der Rosa Liste, die den Einzug ins Münchener Stadtparlament geschafft hat, Gründer der Präventionsgruppe „Sittenstrolche“: der vielfältige Einsatz für schwule Belange prägt sein Leben.

„Gleiche Augenhöhe ist ihm wichtig“

Sein Herz gehört den Schwachen. Gleiche Augenhöhe ist ihm wichtig. Als er die Auszeichnung „München leuchtet“ verliehen bekam, fand er das, so die Süddeutsche Zeitung, unpassend, weil er doch nur seine bezahlte Arbeit getan hat, während seine Sittenstrolche ehrenamtlich manchen Abend opfern.

Unser erstes Zusammentreffen 1987 im Beirat der Deutschen AIDS-Hilfe stand unter keinem glücklichen Stern. Der Vorstandsvorsitzende Dieter Runze hatte mich wegen Verstoßes gegen die Gepflogenheiten bereits gerügt. In einem Rundschreiben hatte ich den Mitgliedern des Gremiums nicht nur mitgeteilt, dass ich nun die Hessen vertrete, sondern auch schwul und infiziert bin. Und dann musste ich verteidigen, dass einzelne hessische Aidshilfen den HIV-Antikörpertest anboten. Gemütlich war das nicht, und es hatte einen Subtext: „Bist selbst schuld, infiziert zu sein, was lässt du dich auch testen. Wie kann man nur so blöd sein!“ Patientenautonomie war in dem Konzept nicht enthalten. Später ergab dann eine Studie des Soziologen Michael Bochow, dass in Aidshilfen Engagierte besonders häufig getestet waren.

Es mag durchaus sein, dass Guidos Sicht von den Münchener Verhältnissen geprägt war. In den Saunen wurden die Türen ausgehängt und in den Lokalen Razzien unter dem Vorwand des Jugendschutzes durchgeführt. Kondomverkauf versagte man unter Hinweis auf das Ladenschlussgesetz. Der Bayerische Maßnahmenkatalog, Gauweiler und seine Spezis wie der schwedische Arzt Michael Koch richteten in Allianz mit dem „Spiegel“ viel Unheil an, gegen die besonnene Stimmen wie die des Münchner Arztes Dr. Hans Jäger einsame Rufer in der Wüste waren. Freunde erkrankten und starben.

Das war eine Herausforderung für jemanden wie Guido, der selbstverständlich an der Gründung der Münchener Aids-Hilfe und maßgeblich an vielen Aktionen gegen die bayerische Politik beteiligt war. Wir beide rauften uns schnell zusammen, weil wir einander zuhören konnten und die Ernsthaftigkeit unserer Debattenbeiträge gegenseitig nicht infrage stellten. Bis zu seinem eigenen positiven Testergebnis fühlte er sich trotz aller schmerzhaften Erfahrungen nicht legitimiert, in den Diskurs über das Leben mit HIV einzugreifen. Tat er es doch einmal, dann mit der ebenso einfachen wie richtigen Feststellung, eigentlich wünsche er keine besonderen Regenbogenprojekte, sondern dass Infizierte und Kranke in ihren Communities ihren Platz behalten.

„Die Krachlederne fürs Oktoberfest und den Anzug fürs Offizielle“

Ich lernte Guido als einen kenntnisreichen Teil der Szenen kennen, in denen er auch lebte. Daneben gibt es die Krachlederne fürs Oktoberfest und den Anzug fürs Offizielle. Bei unserem Antrittsbesuch als neuer DAH-Vorstand 1990 in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung trugen wir, was zu uns passte: Hans-Peter Hauschild hautenges Leder, Guido fühlte sich nur in seinem Anzug wohl. Reinhard Heikamp und Helmut Ahrens trugen wahrscheinlich Jeans, ich hatte wohl mein übliches Bürozeug an.

Wir wollten die Bandbreite schwulen Lebens sinnlich erfahrbar machen. Da hatten wir die Phase des Beschnupperns und die Festlegung der Grundsätze unserer Arbeit schon hinter uns. Selbstverständlich unterhielten wir uns über alle Probleme rund um HIV, Drogengebrauch und schwules Leben sowie den Umgang mit illegalisierten Substanzen und vor allem mit Alkohol. Dazu gehörte natürlich auch, mit eigenen Erfahrungen Stellung zu beziehen.

Guido, dieses Urgestein der Schwulenbewegung, zog häufig abends durch die Läden. Er brauche die Stimmungen, die Gespräche, erzählte er in einem Interview, in dem es weiter hieß: „Dabei ist ein klarer Kopf hilfreich. Deswegen trinkt er bei seinen Touren Wasser. Erst in seinem Stammlokal oder auf der Wiesn im Festzelt dürfen es dann ein paar Biere sein. Schmecken tun sie ihm ja doch besser. Aber auch in seiner Stammkneipe legt er sich immer wieder längere Alkoholpausen auf. Das dauert dann immer so etwa zwei Wochen, bis die Tresen-Mannschaft es ernsthaft glaubt, dann ist es aber auch kein Problem mehr. Das bekommt seinem Körper und, was ihm wichtiger ist, auch der Seele. Er will die Fähigkeit, auch völlig nüchtern mit Menschen ins Gespräch zu kommen, auch an der Theke ernsthaft reden zu können, nicht verkümmern lassen.“

„Pflichtbewusst, pragmatisch und immer direkt heraus“

Guido habe ich während seiner Zeit im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe zweimal erleben dürfen, zu Beginn der 1990er und noch einmal kooptiert ein paar Jahre später. Er ist für mich der preussischste belgische Bajuware, den ich mir vorstellen kann. Pflichtbewusst, pragmatisch und immer direkt heraus. Das war angenehm verlässlich und der Grund, warum ich seinem Wunsch entsprach, den Vorstand zu ergänzen, nachdem Olaf Leser aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden war. Es gab Gebiete, wo er zweifelte und sich weiterbildete, wie den Gebrauch illegalisierter Drogen.

Sein Herz gehört der Schwulenszene, dennoch war seine Erleichterung deutlich, als er anlässlich einer Sitzung erwähnte, dass in München eine Kasse des Regenprojekts von einem schulen Mann und nicht einem Junkie gestohlen worden war. Seine Verdienste sind im magazin.hiv wie auch in der Münchener und Schwulenpresse schon oft beschrieben worden. Vieles kann man immer noch als aktuell nachlesen.

In den letzten Jahren haben gesundheitliche Probleme sein Leben deutlich erschwert. Aber auch hier erfüllt er völlig diszipliniert die Aufgaben, die er mit seinen Ärzten ausgehandelt hat. Das schafft dann die Freiräume, sich mit schwulen Freunden zu treffen, mit seinem Mann zu verreisen, sich des Lebens in Autonomie zu erfreuen. Möglichst lange, lieber Guido. Du hast es dir verdient!

Weitere Informationen:

Schwules Zentrum SUB

Zitat von Michael Bochow zum Testverhalten in der Aidshilfe (PDF, Seite 34)

Süddeutsche Zeitung: „Ein Leben für die Aufklärung“ vom 17. Mai 2010

Merkur: „Ich hab‘s mir selbst versaut“ vom 12.05.2009

HIV&More: „Ich verlange Respekt“, Sonderausgabe 2011“ vom

magazin.hiv: „Das Herz des schwulen Münchens“ vom 03. September 2016

magazin.hiv: „Die schwule Infrastruktur zerschlagen“ vom 24. Februar 2012

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Über

Bernd Aretz

langjähriger Mitstreiter und Wegbegleiter der Deutschen Aidshilfe, Enfant terrible und Hundeliebhaber (06.07.1948 – 23.10.2018)

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