Ärzte, Patienten und Aidshilfevertreter diskutierten im „Salon Wilhelmstraße“ über Grenzen einer „Ärztlichen Prävention“

„Ich wünsche mir schon, dass mein Arzt mit mir mehr über sexuell übertragbare Infektionen sprechen würde“, bemerkte Stephan, Rollenmodell der Kampagne ICH WEISS WAS ICH TU beim letzten „Salon Wilhelmstraße“ der Deutschen AIDS-Hilfe. Auf dem Podium diskutierten diesmal Ärzte, Patienten und Aidshilfevertreter darüber, welche Rolle sie der ärztlichen Prävention zu HIVund sexuell übertragbaren Infektionen (STIs) geben möchten.

Was ist ärztliche Prävention?

Schnell wurde deutlich, dass es keine einheitliche Vorstellung darüber gibt, was „ärztliche Prävention“ beinhaltet, beziehungsweise ob Ärzte hier überhaupt tätig werden sollen. Während einige Gäste des Salon Wilhelmstraße ungebetene Ratschläge vom Arzt befürchten und vermuten, dass eine gute Beratung schon aus Zeitgründen nicht möglich sei, sehen andere darin eine Chance, Menschen zu erreichen, die bisher keinen Zugang zu den Präventionsbotschaften der Aidshilfen haben.

Doch welche Situationen gibt es, in denen Ärzte mehr Beratung anbieten sollten? Ist es tatsächlich nötig, beim Arzt über die eigene Sexualität zu sprechen? Holger Wicht, Moderator des Salons, zitierte zu dieser Frage eine Studie der Uni Bayreuth. Derzufolge führt ein Tabu, über Sexualität und sexuell übertragbare Erkrankungen zu sprechen, mitunter dazu, dass Ärzte keinen HIV-Test anbieten, wo er eigentlich nötig wäre, so dass zu spät mit einer antiretroviralen Therapie begonnen wird.

Stephan Jäkel, Mitarbeiter von Pluspunkt, betonte in diesem Zusammenhang, dass genau zwischen ärztlicher Prävention und der Verbesserung der Arzt-Patienten-Kommunikation unterschieden werden müsse. „Ich habe nichts dagegen, wenn Ärzte den HIV-Test anbieten, wenn er medizinisch nötig ist. Aber auch dann sollten sie erst mal auf die anonymen Testmöglichkeiten von Aidshilfe und Gesundheitsamt verweisen“, sagte Jäkel.

Ist die Arztpraxis der geeignete Ort?

Ein Engagement von Ärzten im Bereich der Prävention sieht er allerdings kritisch. Problematisch sind in diesem Zusammenhang aus seiner Sicht die Machtverhältnisse zwischen Arzt und Patient, die Art der Ausbildung von Ärzten, das Settings und der Zeitdruck in Arztpraxen und nicht zuletzt die Komplexität von individuellem Risikomanagements als Grundlage der Prävention.

„Die Arbeitsteilung zwischen Aidshilfe und Ärzte, in der die Prävention Aufgabe der Aidshilfe ist, hat sich in der Vergangenheit doch bewährt“, so Jäkel auf dem Podium. Er sieht Verbesserungsbedarf innerhalb der Aids-Hilfe und in der Erreichbarkeit von einigen Personengruppen. Darauf solle der Fokus liegen.

Dr. Christoph Mayr, Berliner Schwerpunktarzt und Vorstandsmitglied der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV- Infizierter (DAGNÄ), hat Patienten im Blick, die häufig mit sexuell übertragbaren Infektionen in die Praxis kommen und generell Probleme haben, sich zu schützen. Für diese würde er sich bessere Unterstützungsmöglichkeiten wünschen. Er warb dafür, Gräben zwischen Ärzten und Patientenorganisationen nicht zu vertiefen, sondern Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu suchen. „Viele dieser Gräben haben wir im HIV-Bereich in der Vergangenheit gemeinsam erfolgreich überbrückt, das sollten wir nicht wieder aufbrrechen.“, so Mayr. Ziel sei eine bessere Kooperation und Vernetzung von Aidshilfe und Ärzten.

Bessere Vernetzung zwischen Aidshilfen und Ärzten

Einig war sich das Podium, dass der Patient im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen solle. Er müsse steuern können, wie viel er von sich und seiner Sexualität preisgeben mag. Um dies zu erreichen, müsse die Arzt-Patienten-Kommunikation verbessert werden.

Mit der Frage, wie HIV- und STI- Prävention beim Arzt funktionieren kann, beschäftigt sich seit zweieinhalb Jahren eine von der Deutschen AIDS-Hilfe initiierte Projektgruppe. Darin arbeiten Ärzte, Patientenvertreter, Aidshilfemitarbeiter, Sexual- und Sozialwissenschaftler mit. Im Fokus steht die von HIV immer noch am meisten betroffene Gruppe der MSM.

Eine von der DAH in Auftrag gegebene Studie der Uni Bayreuth, veröffentlicht 2008, zeigt, dass sich die überwiegende Zahl der befragten Patienten keine ungefragten Belehrungen „mit erhobenen Zeigefinger“ wünschen. Akzeptiert werden auch keine Beratungen, die nichts mit dem Grund des Praxisbesuchs zu tun haben. Anders formuliert: Wer mit einer Gastritis zum Arzt geht, möchte normalerweise nicht über HIV und sexuell übertragbare Infektionen beraten werden.

Gleichzeitig wünschen sich jedoch viele Patienten, dass ihr Arzt sie über aktuelle Entwicklungen informiert, zum Beispiel hinsichtlich der Verbreitung und Übertragung von Hepatitis C. Auf Nachfragen soll er kompetent eingehen und sich in begründeten Fällen auch nicht scheuen, einen HIV-Test anzubieten.

Wie soll mit unterschiedlichen Bedürfnissen umgegangen werden?

Auf Basis der Befragung der Uni Bayreuth hat die Projektgruppe ein Team der Aids-Hilfe Nordrheinwestfalen beauftragt, eine spezifische Fortbildungsveranstaltung entwickeln zu lassen. In dieser soll Ärzten unter anderem die Möglichkeit gegeben werden, mehr über schwule Lebenswelten zu erfahren, eigene Unsicherheiten zu Übertragungswahrscheinlichkeiten zu überprüfen und einfache Beratungstechniken zu Risikoreduktionsstrategien zu üben.

In der Fortbildung sollen die Teilnehmer erlernen, das Spannungsfeld zwischen Beratungsinteresse und Autonomiebedürfnis genauer zu verstehen und zu erkennen, welches Bedürfnis ein Patient aktuell hat. Die Fortbildung richtet sich an HIV-behandelnde Ärztinnen und Ärzte, die bereits über Zugang zur Gruppe der Männer, die Sex mit Männern (MSM) verfügen. Ein Pretest der Fortbildung ist für Frühjahr 2010 mit Berliner Ärzten geplant.

Steffen Taubert

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1 Kommentar

  1. Prävention, bis der Arzt kommt? Nein, jetzt kommt der Arzt mit der Prävention. Wann soll er das denn machen? Wer soll das bezahlen? Wo doch Krankenkassen sich bisher für Prävention von HIV Hepatitiden und STIs nicht zuständig fühlen. Oder macht der Arzt das auch noch umsonst?
    Und wie sieht es eigentlich damit aus, dass hier Ebenen vermischt werden zwichen Mediziner und Therapeuten? Sonst doch eigentlich absolut tabu.
    Dieses Konzept ist von vorne bis hinten schräg. Nicht etwa, dass es nicht auch Ärzte gibt, die freiwillig gut und empathisch auf ihre Patienten eingehen. Aber verordnet? Prävention ist einfach nicht ihr Job. Das muss kein Arzt leisten und sollte es auch eigentlich nur dann, wenn es sich gerade ergibt.
    Ein Arzt kommt dann zum Einsatz, wenn etwas zu behandeln und zu heilen ist. Vorher sind andere gefragt.

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