Vor 10 Jahren, am 30. Oktober 1999, starb Detlev Meyer an den Folgen von Aids. Er ist immer noch Deutschlands bester offen schwuler Schriftsteller. Von Paul Schulz

„Er wäre ein König, wie Helmut Berger in ,Ludwig II‘. Champagner, riefe er vor der Krönung, und das klänge zugleich wie eine Regierungserklärung. Champagner!“

Deswegen fehlt er. Wegen solcher Sätze. Wegen ihrer scheinbaren Flüchtigkeit, die es doch gestattet, denjenigen über den sie geschrieben werden, in Sekundenbruchteilen ganz zu erfassen: eine kluge, ironische, lebensfrohe Tunte, die das alles gern ist. So wie der Autor selbst, Detlev Meyer.

„Die Todesfuge in einen Cancan verwandeln“

Er fehlt, weil sich bislang kein Nachfolger auf seinem zum Perlwein einladenden Thron gefunden hat. Weil er nicht in Sicht ist, der schöne Kopf mit dem schönen Hintern als Zugabe, der der deutschen Literatur die Leichtigkeit im Umgang mit der Schwere des Daseins wiedergeben könnte.

Detlev Meyer konnte das. „Die Todesfuge in einen Cancan verwandeln“, nannte es die FAZ, als sein Hauptwerk, die „Biografie der Bestürzung“ erschien. Und meinte seinen unbändigen, in Literatur übersetzten Lebenswillen, der sich nicht unterkriegen ließ im Angesicht der Katastrophe, die HIV und Aids in seinem Berliner Umfeld in den 80er und 90er Jahren hervorbrachten. Sollte der Sensenmann doch kommen: Die Bar war geöffnet, die Callas sang und es gab eine Unmenge schöner Worte, mit denen man ihn in eine Diskussion über den Sinn des Lebens verwickeln konnte.

Liest man das heute wieder, bleibt die erste Erkenntnis: wunderbar, großartig, hinreißend. Es ist gut, weil es nicht alt geworden ist: die Metaphern nicht welk, die Sprache taufrisch, nur die Buchseiten sind etwas vergilbt; der Text braucht nichts außer einem guten Glas Rotwein und Spaß am Lesen. Dann ist es so, als wäre es gestern gewesen, als Meyers Alter ego Dorn zum ersten Mal die Sub und Kultur des Landes abschritt und dabei jedem hübschen Soldaten in den Schritt griff.

„Auf vielfachen Wunsch alleinstehender Herren, hat die Duden-Redaktion beschlossen, das Wort STERBEN aus der deutschen Sprache zu verbannen.“

Meyer setzte dem Tod, der ihn umgab, Heiterkeit entgegen, Genuss und eine Prise Weisheit. Er hat in keinem Text je gehadert mit seinem Leben. Nicht mit seinem Schwulsein, nicht mit seiner Infektion, nicht mit der eigenen Endlichkeit. Der Empörung über den eigenen möglichen Tod, die viele Kollegen zu flammenden, etwas selbstverliebten Episteln trieb, begegnete er mit ironischer Gelassenheit.

„Auf vielfachen Wunsch alleinstehender Herren, hat die Duden-Redaktion beschlossen, das Wort STERBEN aus der deutschen Sprache zu verbannen.“ Was soll man da noch sagen. Vor dem Sterben kommt das Leben und wer das nicht macht, ist selber schuld vielleicht.

Deswegen ist es eine gute Idee, Meyer immer mal wieder zu lesen. „Die Biografie der Bestürzung“, seine Liebesgeschichte „In meiner Seele ist schon Herbst“ oder das posthum erschienene „Sonnenkind“, seine Kindheitserinnerungen an Berlin. Mal abgesehen von dem Spaß, den man dabei hat, es setzt sich dabei auch die Erkenntnis durch: Meyer war ein unfassbar guter Autor, einer für den es keinen Ersatz gibt.

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1 Kommentar

  1. danke …

    immer in erinnerung blieben wird mir auch sein kleiner, grossartiger text für die dah “Ich ließ dich los nach ein paar schönen Jahren” (1995)
    den wünscht‘ ich mir mal als nachdruck … so die rechte das hergeben …

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