Kongresshalle Glasgow
Kongresshalle Glasgow; Foto: A. Schafberger

Am Sonntag (7. November) wurde die zehnte internationale Konferenz zur medikamentösen HIV-Therapie eröffnet, die noch bis zum Donnerstag läuft. Sie findet seit 1992 alle zwei Jahre im verregneten November in Glasgow statt und wird von den ca. 3000 Teilnehmern nur „Glasgow-Konferenz“ genannt. Von der Kongresseröffnung berichtet DAH-Medizinreferent Armin Schafberger:

Einer der drei Redner bei der offiziellen Eröffnungsveranstaltung war James G. Hakim, Direktor der Universität in Harare, Zimbabwe. Er blickte auf die Entwicklung der HIV-Therapie in Afrika zurück:

Erst 2002 fiel auf der Welt-Aids-Konferenz in Barcelona der Startschuss für die weltweite Einführung der HIV-Therapie auf breiter Basis. Damals wurde die „3 by 5“-Initiative ins Leben gerufen: Drei Millionen Menschen in afrikanischen und anderen ärmeren Ländern sollten bis zum Jahr 2005 eine antiretrovirale Therapie (ART) erhalten. Das Ziel wurde verfehlt, aber trotzdem ist die Entwicklung erstaunlich rasant fortgeschritten: Heute erhalten 5,2 Millionen Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen eine ART. In Barcelona war noch bezweifelt worden, ob man Menschen in Ländern fast ohne Gesundheitsversorgung antiretroviral therapieren könne – ohne Viruslastmessung, ohne Bestimmung der Helferzellzahl, meist nur mittels HIV-Antikörper-Schnelltest und klinischem Befund. Es geht, wie sich zeigte: Die Überlebensraten liegen für afrikanische HIV-Patienten ohne ART fünf Jahre nach Diagnose bei nur 8 %, mit ART – selbst ohne entsprechende Laborkapazitäten –bei 87 % (mit besserem Laborstandard nur 3 Prozentpunkte  höher, bei 90 %). Also haben diejenigen Recht behalten, die 2002 in Barcelona behauptet haben: „Egal, ob es in den Dörfern eine medizinische Versorgung gibt oder nicht – wo man Coca Cola hinliefern kann, können wir auch die ART hinbringen.“

Wo man Cola hinliefern kann, können wir auch die ART hinbringen

Trotzdem, so Hakim, gibt es noch einen großen Unterschied zwischen den reicheren und den ärmeren Ländern. Wer in Afrika mit der ART beginnt, hat in den ersten sechs Monaten nach Therapiestart ein deutlich höheres Sterblichkeitsrisiko als die Therapieeinsteiger in reicheren Ländern. Das liegt vor allem am generell schlechteren Gesundheitszustand und den Begleitinfektionen, allen voran die Tuberkulose. In Afrika überschneiden sich beide Epidemien, HIV und Tuberkulose. Und die HIV-Infektion lässt die Tuberkulose aufgrund der Immunschwäche schneller und fataler verlaufen. Aber auch bei der Therapie beider Infektionen gibt es Probleme, denn einige HIV-Medikamente vertragen sich nicht mit Tuberkulosemedikamenten  oder müssen dann anders dosiert werden. Das in den ersten Monaten einer Tuberkulosetherapie eingesetzte Rifabutin verringert zum Beispiel die Blutspiegel von Nevirapin, einem kostengünstigen und in Afrika häufig eingesetzten HIV-Medikament. Die HIV-Therapie wird dann unwirksam. Ob man die Nevirapin-Dosis erhöhen kann, ist noch nicht ausreichend untersucht. Ersatzmedikamente wie zum Beispiel Protease-Inhibitoren sind teurer und oft nicht erhältlich. Hinzu kommt, dass z. B. auch der Protease-Inhibitor Lopinavir in Anwesenheit von Rifabutin höher dosiert werden muss – und damit noch teurer wird. In reicheren Ländern kann man statt Rifabutin Rifampicin einsetzen, das etwas weniger Probleme mit den HIV-Medikamenten macht, aber auch das ist teurer. Es sind aber nicht nur diese Wechselwirkungen: Wenn man mit der HIV-Therapie sehr spät beginnt und sich das Immunsystem dann erholt, „bemerkt“ der Körper erst dahnn, von welchen Infektionen er heimgesucht ist – und richtet sich dagegen. Diese Abwehrreaktion kann dann so stark sein, dass sie das Leben gefährdet.

Auch in Afrika muss früher mit der Therapie begonnen werden

Für Hakim ist es daher richtig, dass die WHO 2010 ihre Leitlinien für den Therapiebeginn geändert hat. Auch HIV-Positive in Afrika sollten früher therapiert werden, nämlich spätestens dann, wenn die Zahl der Helferzellen unter 350/Mikroliter Blutserum fällt – bislang lag die Grenze bei 200. Eine solche „Verschiebung“ nach oben bedeutet allerdings, dass mehr Menschen eine Therapie benötigen: Nach den alten Leitlinien bräuchten (statt der nun erreichten 5,2 Millionen) bereits 10,2 Millionen HIV-Positive in ärmeren Ländern eine ART. Nach den neuen Leitlinien wären es 15 Millionen.

Anfang Oktober 2010 wurde der Globale Funds für die Periode 2011 bis 2013 mit insgesamt 11,7 Milliarden Dollar ausgestattet. Die Vereinten Nationen hatten auf 13 Milliarden gehofft, Aktivisten hatten angesichts dieser Versorgungslücke 20 Milliarden gefordert.  Frühe Therapie kostet mehr Geld. Vielleicht aber, so Kevin De Cock, Direktor der CDC (Centers for Disease Control and Prevention) in Atlanta, muss man in Afrika sogar noch früher beginnen. Um den richtigen Zeitpunkt für den Therapiebeginn wird immer noch gerungen. Derzeit läuft vor allem in den Industrieländern eine große Studie, die den richtigen Zeitpunkt für den Therapiestart klären soll. Cock forderte aufgrund der anderen Bedingungen in Afrika – vor allem angesichts der Tuberkulose – eine spezifische afrikanische Studie. Wahrscheinlich, so Cock, müsste man genau dort am frühesten starten. Die Realität sieht natürlich anders aus. Hakim stellt ernüchtert fest, dass in afrikanischen Ländern oft erst bei Werten deutlich unter 200 Helferzellen mit der Therapie begonnen wird. Realität und Anspruch der Leitlinien klaffen dort am weitesten auseinander.

Kongress-Website: http://www.hiv10.com/

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Holger Sweers

Holger Sweers, seit 1999 als Lektor, Autor und Redakteur bei der Deutschen Aidshilfe, kümmert sich um die Redaktionsplanung des Magazins.

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