"Ken Moody" (1983). © Robert Mapplethorpe Foundation

Der US-Fotograf Robert Mapplethorpe wird in Berlin mit einer Retrospektive geehrt. Ein Bericht von Axel Schock.

„Mein Leben begann im Sommer 1969. Davor existierte ich gar nicht“, erzählte Robert Mapplethorpe einmal in einem Interview. In der 42. Straße in Manhattan hatte der Kunststudent schwule Pornohefte entdeckt. Mit einem Mal veränderten sich auch seine Arbeiten. In seinen zwei- und dreidimensionalen Collagen tauchten mehr und mehr Fotos aus Pin-Up-Heften auf, und seine Kunst wurde nunmehr von schwuler Sexualität dominiert. Ihm schwebte vor, die Pornografie im Reich der Kunst zu installieren. „Ich hatte dieses Gefühl im Bauch, es ist nicht direkt sexuell, es ist was viel Stärkeres. Ich dachte, wenn ich dieses Element irgendwie in die Kunst einbringen, mir dieses Gefühl erhalten könnte, würde ich etwas Einzigartiges und Unverwechselbares tun.“

Mapplethorpe selbst hatte jedoch noch wenig Erfahrung im Sex mit Männern. Der Mittzwanziger lebte mit der Rocksängerin Patti Smith in einer glücklichen Beziehung; seine diversen Versuche mit Männern irritierten ihn. Mapplethorpe wollte es schließlich wissen. Er fuhr nach San Francisco, war binnen weniger Tage zum S/M-Ledermann mutiert, der im nietenbesetzten Lederslip den Strand entlangspazierte und, um auch nichts auszulassen, sich als Callboy versuchte.

Er rief immer wieder die Sittenwächter auf den Plan

Die Lebensgeschichte des Fotografen Robert Mapplethorpe (1946–1989) ist in gewisser Weise auch eine prototypische Geschichte der sexuell befreiten Schwulen in den USA der 70er und 80er Jahre, der Jahre des „Anything Goes“ – und deren Ende durch das Auftreten von Aids.

Seine radikale Darstellung von Sex und Nacktheit haben gerade in den USA auch über Mapplethorpes Tod hinaus immer wieder die Sittenwächter auf den Plan gerufen und für entrüstete Rufe nach Verbot gesorgt, so etwa sein Selbstbildnis mit Peitsche im Hintern oder die Fotos von Männern mit Ledermasken oder erigierten Penissen. Wegen seiner Aktaufnahmen von muskulösen schwarzen Männern und ihrer prächtigen Genitalien musste sich Mapplethorpe allerdings zu Lebezeiten auch den Vorwurf des Sexismus und Rassismus gefallen lassen.

Selten war nacktes Fleisch so wenig pornografisch

Zwar hat Mapplethorpe wie kaum ein zweiter Fotograf seiner Generation durch perfektionistische, stets an klassische Bildhauerei erinnernde Arbeiten die Männeraktfotografie beeinflusst und erweitert. Auch haben sein Körperkult und

"Alistair Butler" (1980), © Robert Mapplethorpe Foundation
„Alistair Butler“ (1980), © Robert Mapplethorpe Foundation

sein unverstellter homosexueller Blick in der Darstellung schwuler Ästhetik entscheidende Impulse gesetzt. Doch so sehr die Sexualität auch in Mapplethorpes Werk im Mittelpunkt steht: seine Bilder zielen nie vordergründig auf eine erotische oder gar sexuell erregende Wirkung. Sie erscheinen vielmehr kalt, statisch und distanziert; die aus ihrer Umwelt herausgelösten Modelle geraten zur reinen Form. „Ich will nicht die Schönheit. Ich will die Perfektion, und dies ist nicht immer identisch“, konstatierte Mapplethorpe. Geradezu zwangsläufig interessierten ihn nach seinen skulpturenhaften Idealkörpern zuletzt tatsächliche Skulpturen aus Marmor. Auch in Blumen, insbesondere weißen Calla-Lilien, fand er jene vollkommenen Formen, die seinem Sinn für Ästhetik entsprachen.

Bilder aus allen Schaffensperioden

Mit 187 ausgewählten Arbeiten würdigt die Galerie C/O Berlin im ehemaligen Postfuhramt nun den längst zum Klassiker avancierten Fotografen. Die in Zusammenarbeit mit dem Düsseldorfer NRW-Forum realisierte Retrospektive zeigt Bilder aus allen Schaffensperioden, darunter Bekanntes wie auch bislang selten oder noch nie Gezeigtes aus der New Yorker Robert Mapplethorpe Foundation. Frühe Polaroid-Aufnahmen von 1971, Blumenstillleben und Aktfotografien sind ebenso zu sehen wie Porträts von Prominenten und Künstlern, so etwa von Andy Warhol, Cindy Sherman, Robert Rauschenberg und Louise Bourgeois oder Sängerinnen wie Debbie Harry, Grace Jones – und natürlich seiner Freundin Patti Smith.

Rachefeldzug nach Aids-Diagnose

Selbstportrait (1985), © Robert Mapplethorpe Foundation
Selbstportrait (1985), © Robert Mapplethorpe Foundation

Auf seine Aids-Diagnose reagierte Mapplethorpe zunächst mit Wut und Aggression. Obgleich er bis dahin nach eigenen Angaben mit weit über tausend Männern Sex gehabt hatte, gab er einem Schwarzen die Schuld an seiner Infektion. Voll Hass, so seine Biografin Patricia Morrisroe, habe er sich auf einen privaten Rachefeldzug begeben und sei durch die von Schwarzen besuchten Schwulenlokale gezogen, um mit möglichst vielen ungeschützten Sex zu haben. Es folgte eine letzte künstlerisch kreative Phase, in der er den hungrigen Kunstmarkt zugleich mit geschmäcklerischen Stillleben bediente. Bemerkenswert sind allerdings seine Selbstporträts. Eines seiner letzten und intensivsten zeigt auch die Berliner Retrospektive: Mit starrem Blick inszeniert sich Mapplethorpe vor völlig schwarzem Hintergrund. Sein Gesicht ist bereits von der Krankheit gezeichnet, die Hand umgreift entschlossen einen Stab mit Totenkopf-Knauf. Er starb 1989 im Alter von 42 Jahren.

Die am 21. Januar eröffnete Retrospektive ist noch bis zum 27. März 2011 bei C/O Berlin (ehemaliges Postfuhramt, Oranienburger Straße 35/36, 10117 Berlin) zu sehen. Öffnungszeiten täglich 11–20 Uhr.

 

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Über

Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

2 Kommentare

  1. Eine gelungene Symbiose von Kunst und Sexualität ist auch Peter Redvoort in seinem neuen Roman „Pornos machen traurig“ gelungen …

    George

  2. New York in den 70er Jahren war ein Biotop fr Knstler fr Auenseiter fr die gesamte Boheme und der Fotograf Robert Mapplethorpe und seine Freundin die Poetin und Sngerin Patti Smith gehrten dazu. Nur hier konnte Mapplethorpe das kleinbrgerliche katholische Milieu aus dem er kam weit hinter sich lassen und sich exzessiv ausleben. Hier gelang ihm der Aufstieg auch der soziale Mapplethorpe war Provokateur aber auch Liebling der Szene.

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