Chanda im Arm ihrer Mutter
Die junge Chanda hält zu ihrer aidskranken Mutter

In Oliver Schmitz’ Jugendbuch-Verfilmung „Geliebtes Leben“ nimmt ein südafrikanisches Mädchen angesichts von Aids den Kampf gegen das Schweigen und die Verdrängung auf. Der Film hatte am Dienstag in Berlin Premiere und ist ab heute im Kino zu sehen

Über 800.000 Aidswaisen soll es in Südafrika geben; Kinder und Jugendliche, die sich ohne Familie und soziale Unterstützung allein durchs Leben schlagen müssen. Auch wenn sie selbst nicht mit dem Virus infiziert sein mögen, so sind sie doch auch Opfer dieser Krankheit, vor allem aber der jahrelangen Tabuisierung, Leugnung und Verdrängung, wie dies unter der Regierung von Präsident Thabo Mbeki der Fall war.

Auch die zwölfjährige Chanda wird bald eine Waise sein. Mit ihren jüngeren Geschwistern, ihrer Mutter und dem Stiefvater lebt sie in einem christlich geprägten Dorf fernab der Hauptstadt. Ihre kaum ein Jahr alte Schwester ist gerade gestorben, angeblich an einer Grippe. Chanda wird losgeschickt, den Sarg zu besorgen. Ihre Mutter Lilian (Lerato Mvelase) fühlt sich zu schwach dazu, der Stiefvater Jonah (Aubrey Poolo) hat das Geld dafür gestohlen, um es mit einer Geliebten in der Kneipe zu versaufen.

Das große Schweigen brechen

Oliver Schmitz, bislang bedauerlicherweise weniger für sein Apartheid-Drama „Mapantsula“ denn für seine TV-Arbeiten wie „Doctory’s Diary“ und „Türkisch für Anfänger“  bekannt, katapultiert die Zuschauer in die Alltagwirklichkeit des ländlichen Townships Elandsdoorn.

Chanda und Esther
Chanda und ihre beste Freundin Esther, die auf den Strich geht

Chanda (eindrucksvoll gespielt von der 13-jährigen Khomotso Manyaka) ist ein starkes, selbstbewusstes Mädchen. In der Schule könnte sie es zu etwas bringen, die Lehrer sind ihr gewogen und erkennen ihr Potenzial. Doch viel zu sehr ist sie damit beschäftigt, sich um das Überleben ihrer Familie zu kümmern. Sie sorgt aber nicht nur für die jüngeren Geschwister und die zunehmend hinfällig werdende Mutter, sondern erkennt auch, dass sie eine viel größere Aufgabe vor sich hat: das große Schweigen zu brechen.

Alle sind infiziert, aber niemand würde es aussprechen

Es dauert sehr lange, bis Chanda in Gegenwart einer Ärztin die Diagnose „Aids“ auszusprechen wagt. Ihre verstorbene Schwester und ihre Mutter, ihr Stiefvater, der viele Wochen einfach verschwindet und ausgemergelt wieder auftaucht, ihre beste Freundin, die für sich sorgen muss und sich deshalb prostituiert: Sie alle sind mit dem Virus infiziert, niemand aber würde es aussprechen.

Niemand traut sich der Realität ins Auge zu blicken. Stattdessen wird Chandas Mutter unter einem Vorwand aus dem Dorf gebracht, um die Familie nicht weiter mit „der Schande“ zu konfrontieren. Denn Aids gilt als Fluch, als Strafe für ein sündiges Leben, nicht aber als eine Krankheit, die sich vermeiden und sogar behandeln lässt.

Chanda erlebt in ihrer eigenen Familie, welch schreckliche Folgen die Stigmatisierung der Kranken hat, aber auch, wie Scharlatane und mit Pharmafirmen verbandelte Ärzte das große Geschäft wittern. Bigotterie, Unwissen und Vorurteile sorgen dafür, dass selbst sich nahestehende Menschen das Mitgefühl und die Solidarität miteinander verlieren.

Ein behutsam in Szene gesetztes Coming-of Age-Melodram

Das Bild, das der in Kapstadt aufgewachsene und in Deutschland arbeitende Regisseur Oliver Schmitz dabei von Südafrika zeichnet, taugt wenig für touristische Hochglanzpostkarten. Gleichwohl aber ist sein Film, der auf dem Jugendbuch „Chanda’s Secret“ (deutscher Titel: „Worüber keiner spricht“) des Kanadiers Allan Stratton basiert, weit von einer betulichen TV-Dramaturgie entfernt. „Geliebtes Leben“ ist vielmehr ein behutsam in Szene gesetztes Coming-of Age-Melodram, das den schweren Kampf dieses mutigen Mädchens schildert, ohne in die Fahrwasser falschen Mitleids und simpel gestrickter Emotionalität zu geraten.

Nicht nur ein wichtiger, sondern auch bemerkenswert guter Film

Dass am Ende die herzergreifende Szene dann doch nicht fehlen darf, mag gewissen Publikumserwartungen geschuldet sein. Die aufrichtige Haltung des Gesamtswerkes wird dadurch aber keineswegs geschmälert. Die Kamera und Erzählhaltung bleiben stets auf Augenhöhe des Mädchens und machen sie zur Heldin – und eben nicht zum Opfer, auch nicht zum Opfer einer westlich-europäischen Sichtweise. Vor allem aber erhält diese Geschichte dadurch die entscheidende Authentizität, die den Zuschauer zu berühren und die Probleme im Kern zu erfassen vermag, ohne aufdringlich didaktisch zu werden oder in Stereotype zu verfallen.

Das macht „Geliebtes Leben“ nicht nur zu einem wichtigen, sondern auch einem bemerkenswert guten Film. Das hat auch der südafrikanische Filmverband so gesehen und ihn für die Auswahl zum Oscar als „bester fremdsprachiger Film“  des Landes nominiert.

(Axel Schock)

„Geliebtes Leben“ („Life, Above All“), Deutschland/Südafrika 2010. Regie: Oliver Schmitz, Drehbuch: Dennis Foon, Allan Stratton. Mit Khomotso Manyaka u.v.a., 106 Minuten, Kinostart: 12. Mai 2011

Allan Strattons Romanvorlage „Worüber keiner spricht“ (Aus dem Englischen von Heike Brandt), 270 Seiten, 7,50 Euro, ist im DTV-Taschenbuch-Verlag erschienen.

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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