Die Substitutionstherapie ist die erfolgreichste Behandlungsform für Drogenabhängige. Nur in vielen deutschen Gefängnissen ist diese Erkenntnis noch immer nicht angekommen, wie Philip Eicker in seinem Beitrag zeigt:

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Offiziell ist die Sache klar: In deutschen Gefängnissen gibt es keine Drogen. Deshalb verwehren sich die Justizbehörden der deutschen Bundesländer seit drei Jahrzehnten auch gegen Hilfsangebote für Drogenabhängige, die in Freiheit längst selbstverständlich sind.

Erfolgreichste Behandlungsform für Opiatabhängige ist die Substitutionstherapie. Nur im Strafvollzug fristet sie ein Schattendasein: Lediglich fünf bis neun Prozent der Opiatkonsumenten in Haft bekommen die Möglichkeit einer solchen Behandlung. Mit dieser restriktiven Haltung ignoriert der Justizvollzug sogar die entsprechenden Richtlinien der Bundesärtzekammer.

„Heroin war auch bei uns zu haben“

Der „drogenfreie Knast“ aber ist eine Illusion. Auch in den Gefängnissen gibt es einen Schwarzmarkt. Die eingeschmuggelten Stoffe werden unter skandalösen Bedingungen konsumiert: Spritzen werden vom einen zum anderen weitergereicht, was mit einem hohen Risiko einer HIV- oder Hepatitis-C-Infektion einhergeht. Gerät ein nicht therapierter Häftling an illegal eingeschmuggelte Rauschmittel, reicht schon eine geringe Menge für eine lebensgefährliche Überdosis.

Auch Lui (Name geändert) hat in Haft weiter Heroin genommen, als er wegen schweren Diebstahls von 2003 bis 2006 in einer oberbayerischen Haftanstalt einsaß. „Heroin stand zwar nicht auf der Tagesordnung, aber war auch bei uns zu haben“, berichtet der heute 40-Jährige. Einer seiner Mitgefangenen starb sogar an einer Überdosis. „Auch in Bayern sind sie mit ihrer harten Linie vom drogenfreien Knast weit entfernt“, sagt Lui, der in einem Gespräch mit aidshilfe.de ausführlich über seine Erfahrungen in der JVA berichtet.

Doch die Justizbehörden der Länder verweigern sich dieser Realität. „Substitution gilt vielen immer noch als Kapitulation vor der Kriminalität“, bedauert Bärbel Knorr, bei der DAH zuständig für Menschen in Haft. „Die größte Enttäuschung ist, dass diese strikte Haltung eine an sich sehr erfolgreiche Drogenpolitik kaputt macht“, kritisiert Knorr. „Gut therapierte Menschen, die eine aufwändige und kostspielige Therapie erfolgreich abgeschlossen haben, kommen für ein paar Wochen in Haft – und weil sie nicht substituiert werden, fangen sie wieder mit dem Drogenkonsum an.“

„Das ist kein rein medizinisches Problem“

Zusätzlich kompliziert wird die Sache, weil der Strafvollzug seit 2006 reine Ländersache ist – ein Ergebnis der Föderalismusreform. In den meisten Bundesländern gilt zwar noch das alte, bundeseinheitliche Strafvollzugsgesetz. Doch die Schere geht auseinander. „Bremen hat 600 bis 700 Inhaftierte, über 100 davon werden substituiert“, berichtet Bärbel Knorr. „In diesem Fall würde ich sagen: Das Land hat ein bedarfsgerechtes Substitutionsangebot.“ Ein anderes Extrem sei Bayern. Dort werde nur in seltenen Ausnahmefällen substituiert, zum Beispiel beim Vollbild Aids.

Nicht alle Gefangenen lassen sich das gefallen, einige beschreiten den Rechtsweg. Der Augsburger Rechtsanwalt Florian Haas (45) vertritt einen HIV-positiven Häftling aus Bayern, der auf seine Substitution besteht. „Das ist juristisch schwer zu packen, weil die Anstaltsleitungen auf die alleinige Zuständigkeit des Anstaltsarztes verweisen“, erklärt Haas. „Damit erklären sie die Fälle zu einem rein medizinischen Problem.“

„Diese Praxis stellen wir in Frage“

Dabei hatte schon 1994 das Landesgericht Dortmund entschieden, dass sich kein Strafgefangener der Diagnose seines Anstaltsarztes widerspruchslos beugen müsse. Dieser treffe zwar eine autonome medizinische Entscheidung, die juristisch nicht zu bewerten sei. Aber anders als in Freiheit könne ein Inhaftierter seinen Arzt nicht frei wählen. Der Konflikt müsse notfalls durch Verlegung in eine andere Haftanstalt gelöst werden.

Und so wird es meistens auch gemacht: Die wenigen Häftlinge, die auf eine zeitgemäße Gesundheitsversorgung pochen, werden in Bundesländer verlegt, wo die Justizbehörden, wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, weniger restriktiv sind. „Genau diese Praxis stellen wir in Frage“, betont Rechtsanwalt Florian Haas. Jeder Häftling habe das Recht auf eine heimatnahe Unterbringung. Zur Not will Haas die Beschwerde bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen. „Eine Entscheidung aus Straßburg können auch die Verantwortlichen in Bayern nicht mehr ohne Weiteres ignorieren.“

 

Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) sammelt derzeit Unterschriften für bessere Gesundheitsbedingungen in Haft. Mehr dazu unter www.drogenundmenschenrechte.de.

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