Das Job-Seminar „Step by Step“ der Berliner Aids-Hilfe hilft erwerbssuchenden HIV-Positiven bei der Orientierung auf dem Arbeitsmarkt. Von Axel Schock

Dank wirksamer Therapien können heute HIV-Positive in immer größerem Maße am Arbeitsleben teilnehmen – zumindest theoretisch. Gesundheitliche Einschränkungen, eigene Ängste und Unsicherheiten, manchmal aber auch schlicht die fehlende oder falsche Ausbildung erschweren häufig den Weg zurück ins Erwerbsleben. Mit dem Seminar „Stey by Step“ bietet die Berliner Aids-Hilfe seit September Menschen mit HIV Orientierungshilfe und Unterstützung auf dem Weg zum neuen Job. Wir befragten dazu Claus Eschemann, der das das dreimonatige Pilotprojekt leitet.

„Step by Step“ ist ein in dieser Form bislang einmaliges Angebot. Wie groß war die Resonanz auf die Ankündigung des Programms?
Es hatten sich weit mehr Menschen gemeldet, als wir aufnehmen konnten. Die aktuelle Gruppe besteht aus 13 Personen. Wir haben mit allen Interessenten Vorgespräche geführt, um bei der Zusammensetzung eine bestmögliche Gruppendynamik zu schaffen.

Für welche Personengruppe ist das Projekt gedacht?
„Step by Step“ richtet sich an in Berlin lebende HIV-Positive, die sich gerade in einer Berufsorientierungsphase befinden – sei es, dass sie aus einer längeren Berufspause oder einer befristeten Rente kommen, arbeitslos oder Rentner sind – und wieder zurück auf den Arbeitsmarkt möchten.

Muss man sich das Seminar klassisch schulisch aufgebaut vorstellen?
Nein, das wollten wir auf jeden Fall vermeiden. Begonnen haben wir im September mit einer Intensivwoche. Seither gibt es wöchentliche Folgetreffen. Die Idee dahinter ist, dass im Sinne einer kollegialen Beratung die Teilnehmer einander unterstützen. Denn jeder hat mit Ämtern, Arbeitgebern, Fortbildungen usw. einen bestimmten Strauß an Erfahrungen gemacht, die er in das Seminar einbringen und teilen kann.

Und was ist das Ziel?
Erreichen wollen wir mit „Step by Step“, dass sich die Leute klare Ziele setzen, ihre Möglichkeiten realistisch erfassen, abwägen und sich erreichbare Etappenziele setzen.

Das Wort ARBEITSMARKT zusammengesetzt aus Scrabble-Buchstaben
Menschen mit HIV haben oft besondere Probleme, auf den Arbeitsmarkt zurückzufinden (Foto: D. Schütz/pixelio.de)

Wie sah denn die Ausgangssituation der Seminarteilnehmer in der Regel aus?
Die meisten sind völlig im Sozialberatungsgewirr verstrickt. Oft geht es nur noch um Zuverdienstgrenzen und Auflagen vom Job-Center, aber nicht mehr darum, was die Leute selbst wollen. Wir hoffen zu erreichen, dass sie auf diesem Weg ihre Ziele selbst benennen können. Das ist nicht zuletzt auch eine wichtige Voraussetzung, um im Bewerbungszirkus aktiv teilnehmen zu können.

Dieses Konzept wäre für fast alle „Schwervermittelbaren“ hilfreich.  Was aber sind die HIV-spezifischen Besonderheiten des Seminars?
Die Besonderheit ist natürlich, dass alle Teilnehmer HIV-positiv sind. Das bedeutet, dass sich die Stigmatisierung, insbesondere auf dem Arbeitmarkt, durch das ganze Projekt zieht. Während der Intensivwoche haben wir beispielsweise die sozial- und arbeitsrechtlichen Fakten vermittelt: Welche Effekte hat der Schwerbehindertenausweis und wie bekomme ich den? Diskutiert wurde auch, ob es sinnvoll ist, sich beim Arbeitgeber und den Kollegen zu outen oder nicht.

Was ratet ihr im Seminar?
Diese Entscheidung ist stets eine ganz individuelle, da gibt es keine fixen Wahrheiten. Die Menschen sollten aber alle Informationen zur Hand haben, um ihre Entscheidung fällen zu können. Zum Beispiel, dass man den Schwerbehindertenausweis im Bewerbungsverfahren überhaupt noch nicht vorzeigen muss, sondern erst, wenn man angestellt ist. Die Frage „Sind Sie schwerbehindert?“ ist genauso illegitim wie „Sind Sie schwanger?“.

Was passiert in den wöchentlichen Treffen?
Sie sind unter anderem dazu da, die selbstgesetzten Etappenziele zu begleiten – und wenn nichts daraus geworden ist, diese Enttäuschung in der Gruppe aufzufangen. Im stillen Kämmerlein zu Hause kann man grübeln, ohne wirklich weiterzukommen. Durch die regelmäßigen Termine erhalten die Arbeitssuchenden jedoch immer wieder Antrieb und Anstöße zur Auseinandersetzung durch die anderen Teilnehmer. Manchmal kann es schon eine große Hilfe sein, wenn andere die Bewerbungsmappe kritisch durchschauen.

Wer zahlt das Seminar?
Für die Teilnehmer entstehen keine Kosten. Unser Pilotprojekt wird aus dem Programm „Lokales Soziales Kapital – LSK“  finanziert, letztlich also aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Ziel des Programms ist es, beschäftigungswirksame Potenziale vor Ort zu erschließen. Gefördert werden vernetzte Mikroprojekte, die für eine spezielle Zielgruppe, zum Beispiel Migranten, Alte oder eben HIV-Positive, ein Unterstützungsprogramm zum Einstieg oder Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt anbieten. Diese Projekte fördert LSK im Erstdurchlauf mit bis zu 10.000 Euro. Abgerufen werden die Fördergelder über die jeweiligen Stadtverwaltungen, in Berlin entsprechend über die Bezirksämter.

Wie sieht die erste Zwischenbilanz aus? Sind die Teilnehmer frustriert, weil sie Wunder erwartet haben, oder im Gegenteil vielleicht sogar euphorisiert?
Das fällt ganz unterschiedlich aus. Rund die Hälfte hat sich sehr sinnvolle Etappenziele gesetzt und verfolgt diese nun auch konsequent, sei es der Taxischein oder eine Umschulung. Manche sind bereits sehr glücklich darüber, dass sie endlich die Kraft zu einer sinnvollen Bewerbung gefunden haben und nicht nur pflichtgemäß solche abschicken, zu denen sie vom Job-Center verdonnert worden sind.

Welche Erfolge sind für dich realistisch?
Mein Grundsatz ist, dass Menschen mit HIV in der Lage sein sollten, ein sinnvolles und ausgeglichenes Leben zu führen. Und wenn Erwerbstätigkeit durch Einkommen und soziale Teilhabe dazu beitragen kann, sollten sie das Programm genau dafür nutzen. Fertige Wahrheiten können und wollen wir nicht verkünden. Bei dem einen oder anderen kommt vielleicht am Ende des Projekts heraus, dass eine Vollzeitbeschäftigung für ihn gar nicht mehr leistbar ist oder der Job im Call-Center doch nicht zu ihm passt. Dann hat der Betreffende dies allerdings durch eigene Aktivität ermittelt.

Das Seminar wird im Dezember abgeschlossen sein. Soll es ein Nachfolgeprojekt geben?
Wir haben einen Folgeantrag gestellt, über den jedoch noch nicht entschieden ist. Wir sind allerdings zuversichtlich und hoffen, im Januar nahtlos weitermachen zu können. Das Projekt wird dann allerdings etwas modifiziert sein. Angestrebt ist, eine zentrale Anlaufstelle zu schaffen, die für Ratsuchende modulhafte Angebote bereithält. Es wird also inhaltlich und zeitlich klar umrissene Seminare zu bestimmten Themen geben, aus denen die Leute sich die für sie passenden Angebote herauspicken können.

 

Weitere Informationen zu HIV und Arbeit gibt es unter www.aidshilfe.de

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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