Der Internationale Hebammentag am 5. Mai steht in Deutschland unter dem Motto „Hebammen wissen Bescheid“ – auch über Schwangerschaft und HIV. Das sah vor zehn Jahren noch ganz anders aus, wie die Wuppertaler Hebamme Ute Lange weiß. Sie hat sich maßgeblich für die Fortbildung ihrer Kolleginnen engagiert. Axel Schock im Gespräch mit Ute Lange.

HIV-positive Frauen: pro Jahr 200 bis 250 Geburten in Deutschland. Foto: Margit Völtz, pixelio.de

Wann hatten Sie als Hebamme zum ersten Mal mit einer HIV-positiven Frau zu tun?

Das war 1995. Ich war damals freiberuflich tätig, und die Frau hatte mich telefonisch angefragt, ob ich die Schwangerschaftsvorbereitung, die Geburt und Wochenbettbetreuung übernehmen würde. Ich wusste damals überhaupt nicht, was die HIV-Infektion für mich und meine Arbeit konkret bedeuten würde. Als ich Anfang der 80er Jahre meine Ausbildung machte, gab es HIV offiziell ja noch gar nicht, und in meiner Berufsgruppe war die Infektion bis dahin überhaupt nicht thematisiert worden. Ich habe mich dann sehr intensiv damit beschäftigt und mich selbständig fortgebildet. Diese erste Betreuung einer HIV-positiven Frau war daher ein sehr langer und intensiver Prozess.

Schätzten Sie diese Schwangerschaftsbegleitung damals als riskantes Abenteuer ein?

Viele meiner Kolleginnen sagten mir damals, dass sie diese Patientin nicht übernommen hätten. Ich finde diese Aussage, auch im Nachhinein, immer noch sehr bemerkenswert, weil sie nicht mit meiner Haltung zu meinem Beruf in Einklang steht.

Hebamme Ute Lange gibt ihr Fachwissen seit vielen Jahren an Kolleginnen weiter. Foto: privat

Überraschend ist, dass Mitte der 90er Jahre offensichtlich noch viel Unkenntnis über HIV und Aids sogar unter Menschen aus dem medizinischen Sektor bestand.

In den betreuenden Arztpraxen herrschte damals viel Angst und Unsicherheit. Da wurden Fragen diskutiert wie: „Müssen wir die Toilette desinfizierten, wenn die Patientin sie benutzt hat?“ Ich erinnere mich auch an einen Oberarzt, der mir ein paar Jahre später bei der Begleitung einer anderen HIV-positiven Schwangeren sagte: „Wir haben genau geregelt, wer bei ihr Visite macht. Der muss ja nicht jeder die Hand geben müssen“. Ein solches Verhalten habe ich auch schon damals nicht verstanden. Wir sprechen wohlgemerkt von der Zeit Ende der 90er Jahre und einer Klinik mit über tausend Geburten im Jahr.

Sie haben auf diese Erlebnisse sehr pragmatisch reagiert.

Für mich waren sie ein Initialerlebnis, weil es mich erschütterte, wie wenig Wissen ich selbst und auch die anderen hatten. Ich bot daher gleich nach dieser ersten Betreuung bei einem Treffen der Hebammen meiner Region eine kleine Fortbildung an. Durch die Vernetzung mit der Aidshilfe in Wuppertal wurden mir dann HIV-positive Frauen von Solingen bis Düsseldorf vermittelt, und ich galt bei den Hebammen sehr schnell als Spezialistin. HIV und Schwangerschaft wurde ganz unverhofft mein Thema. Gemeinsam mit Andrea Wetzchewald von der AIDS-Hilfe Wuppertal habe ich dann die letzten Jahre auch quer durch die Lande Fortbildungen für Hebammen angeboten.

Geburt hat viel mit Blut zu tun. Inwieweit sind die Ängste von Hebammen vor einer Ansteckung denn begründet?

„Einige wollten sogar aus Angst vor einer Infektion ihren Beruf aufgeben“

Diese Ängste sind teilweise vielleicht irrational, aber sie sind auch gut nachzuvollziehen. Als Hebammen stehen wir im Kreißsaal manchmal im wahrsten Sinne des Wortes mitten im Blut.
Ein Arzt hat es bei einer OP mit einem narkotisierten Menschen zu tun und kann mit ruhigen Bewegungen die notwendigen Eingriffe vornehmen. Im Kreißsaal hingegen herrscht eine ganz andere und nicht immer leicht kontrollierbare dynamische Situation. Mitte der 90er Jahre wurde unter Kolleginnen das Thema „HIV und Infektionsrisiko“ daher auch sehr emotional diskutiert. Einige wollten sogar aus Angst vor einer Infektion ihren Beruf aufgeben.

Statt Kaiserschnitt ist heute auch eine vaginale Geburt möglich. Foto: altF4, pixelio.de

Bis 2009 war für HIV-positive Frauen in Deutschland eine Kaiserschnitt-Entbindung vorgeschrieben.

Erst seit den neuen Deutsch-Österreichischen Empfehlungen zur HIV-Therapie bei Schwangeren wird auch in Deutschland eine vaginale Entbindung immer häufiger ermöglicht– wenn die Viruslast kurz vor der Geburt sehr niedrig ist oder unter der Nachweisgrenze liegt und keine weiteren gesundheitlichen Risiken bestehen. Leider hat sich das noch nicht überall herumgesprochen – oder es sind zu viele irrationale Ängste im Spiel.  Ich habe dieser Tage erst mit einer Kollegin in einem Krankenhaus in Süddeutschland gesprochen, die von dieser Regelung noch nie etwas gehört hatte. In ihrem Krankenhaus werden auch jetzt noch ausnahmslos alle HIV-positiven Frauen sektioniert.

Was bedeutet die Vaginalentbindung für das Infektionsrisiko?

Eine vaginale Geburt wird ja nur dann empfohlen, wenn die Viruslast so niedrig ist, dass der Kontakt des Kindes mit dem Blut der Mutter, der sich ja nie vermeiden lässt, als geringes Risiko eingeschätzt wird. Wir wissen aus Studien, dass ein Kaiserschnitt unter den genannten günstigen Voraussetzungen keinen Nutzen für das Kind hat, zugleich aber werden die Risiken der Operation für die Mutter in Kauf genommen. Wie für das Kind birgt das Blut der Mutter dann auch für die Hebamme kein nennenswertes Infektionsrisiko mehr. Außerdem gibt es Sicherheitsvorkehrungen wie das Tragen doppelter Handschuhe und einer Schutzbrille, mit denen sich Hebammen zusätzlich schützen können. Insgesamt ist das bei weitem sicherer als die Entbindung bei einer Frau, deren Immunstatus ich gar nicht kenne.

Bei nicht nachweisbarer Viruslast kein nennenswertes Risiko für Babys und Hebammen. Foto: Mariliese, pixelio.de

In Deutschland gibt es jährlich rund 200 bis 250 Geburten bei HIV-positiven Frauen. Viele von ihnen entbinden in spezialisierten Kliniken. Sollten trotzdem sämtliche Hebammen im Land auf HIV-positive Schwangere vorbereitet sein, auch wenn sie beruflich vielleicht nie mit einem solchen Fall zu tun haben werden?

Man kann zu dieser Frage durchaus verschiedene Haltungen einnehmen. Für mich ist die HIV-Infektion eine Krankheit, die in unserer Gesellschaft existiert, und deshalb müssen Menschen, die im medizinischen Bereich arbeiten, auch immer damit rechnen, eines Tages  einer schwangeren Frau mit HIV zu begegnen. Und das gilt ebenso für Hepatitis C oder andere Infektionskrankheiten. Der Umgang mit solchen Infektionen gehört zu meinem professionellen Selbstverständnis, was nicht heißt, immer alles wissen zu müssen. Aber ich muss eine Haltung einnehmen und mich auseinandergesetzt haben.

Die Wahl kann auch auf die Hebamme um die Ecke fallen. Foto: Hartmut910, pixelio.de

Und auch eine HIV-positive Frau hat selbstverständlich freie Arzt- und Hebammenwahl. Vielleicht entscheidet sich eine Frau ja eben nicht für den Spezialisten in der entfernt liegenden Großstadt, sondern für den Gynäkologen und die Hebamme gleich um die Ecke. Nach meinem Berufsverständnis sind wir dazu verpflichtet, auf solche Fälle vorbereitet zu sein. Ich habe im Krankenhaus erlebt, dass eine HIV-positive Frau mit Wehen zu uns kam, die ursprünglich in einer Schwerpunktklinik entbinden wollte. Sie hatte sich dann aber kurzfristig anders entschieden, weil die Anfahrt zu weit und zu kompliziert geworden wäre und sie Angst hatte. Die Aufregung war entsprechend groß. Keiner wusste so recht, wie mit ihr umzugehen ist. Aber wenn man sich mit der Materie, den eigenen Ängsten und Vorurteilen einmal auseinandergesetzt hat, ist es eigentlich nichts Besonderes mehr, eine positive Frau zu betreuen.

Sie sind seit einigen Jahren auch als Dozentin tätig – etwa im Deutschen Hebammenverband und an der Hochschule Osnabrück – und erleben so auch viele junge Kolleginnen. Welche Haltung haben Hebammen heute zum Thema HIV?

Da hat sich erfreulicherweise sehr viel getan, das merke ich auch bei den Fortbildungen. Meine Kolleginnen gehen heute weitaus gelassener damit um. Gerade in jüngster Zeit gab es in den Fachzeitungen immer wieder ausführliche Beiträge zu HIV und Schwangerschaft. Dadurch wurden die Basisinformationen sehr breit gestreut. Wichtig war sicherlich auch, dass die Aidshilfe einem Stand beim Deutschen Hebammen-Kongress präsent war. Allein dadurch dürften die Hebammen für sich registriert haben: HIV hat etwas mit mir zu tun, und ich sollte mich damit beschäftigen.

Ist „HIV und Schwangerschaft“ inzwischen auch ein festes Thema in der Ausbildung?

„Ich habe das Gefühl, dass sich mein Expertenstatus gerade zu überleben beginnt“

Die Hebammenschulen setzen das sehr unterschiedlich um. Manche sind sehr engagiert und laden sich für spezielle Unterrichtseinheiten entsprechende Referenten ein. Ich unterrichte beispielsweise ein solches Modul an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Derzeit ist viel in Bewegung, und ich habe das Gefühl, dass sich mein Expertenstatus gerade zu überleben beginnt. Und das ist auch genau das, was man eigentlich möchte. Es gibt auch andere Infektionskrankheiten, denen wir in der täglichen Arbeit nur äußerst selten begegnen, die wir aber viel gelassener thematisieren, weil wir den Umgang mit ihnen schon in der Ausbildung besprechen konnten und die relevanten Fakten gelernt haben. Wenn HIV den gleichen Status bekommt, werden wir viele Formen der Diskriminierung nicht mehr erleben müssen.

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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