Die Finanzkrise hat für die Gesundheitssysteme betroffener Länder dramatische Folgen. Auf dem G20-Gipfel in Mexiko aber spielen HIV, Malaria, Tuberkulose kaum eine Rolle. Höchste Zeit, aufzuwachen, meint Peter Wiessner

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Politik muss ihrer Verantwortung gerecht werden. (Foto: Veranstalter)

Diesen Montag und Dienstag treffen sich im mexikanischen Los Cabos Vertreter/innen der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zum G20-Gipfel. Die G20-Gruppe (19 Staaten und die Europäische Union) repräsentiert zirka 90 % des globalen Bruttoinlandprodukts, 80 % des Welthandels und 64 % der Weltbevölkerung. Ein gutes Drittel aller Menschen auf diesem Planeten ist somit nicht vertreten.

Aufgabe der G20-Treffen ist es, das globale Wirtschaftswachstum anzukurbeln, die internationalen Finanzsysteme zu stärken und deren Institutionen zu reformieren. Ziel ist es, angemessen auf Wirtschaftskrisen reagieren zu können.

Gastgeber Mexiko hat das Thema „Nahrungsmittelsicherheit“ zu einem Schwerpunkt des Gipfels erkoren. Hilfsorganisationen wie World Vision und Oxfam appellieren an die Teilnehmer, die Nahrungsmittelkrise nicht zu vergessen und Themen wie Klimaschutz und Hungerhilfe zu fördern.

Es macht einen Unterschied, an welchem Ende des Suppenlöffels man sich wiederfindet

Natürlich könnte der Gipfel von den versammelten Staatsmännern und -frauen auch genutzt werden, um die UN-Millenniumsziele zu bekräftigen: 189 Regierungschefs hatten im Jahr 2000 unter anderem beschlossen, bis 2015 extreme Armut und Hunger zu beseitigen und HIV/Aids, Malaria und andere Krankheiten zu bekämpfen. Der daraufhin geschaffene Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose schwächelt heute jedoch aufgrund nicht eingelöster Zusagen vor sich hin. Seine 11. Finanzierungsrunde musste abgesagt werden – mit katastrophalen Auswirkungen auf die Programme des Fonds und das Überleben der durch ihn unterstützten Personen. Die mangelnde Unterstützung für die Millenniumsziele heute belegt die kurze Halbwertszeit des politischen Geschwätzes von gestern.

Wellblechhütte
Wirtschaft und Gesundheit sind eng miteinander verbunden (Foto: Julian Nitzsche / pixelio.de)

Das hat auch mit Prestige zu tun: Es macht einen erheblichen Unterschied, an welchem Ende des Suppenlöffels sich ein Land wiederfindet – die Spanne reicht vom Hilfsempfänger zum international respektierten Geldgeber. Wenn sich also die Politiker der Russischen Föderation das Blitzlichtgewitter des G20-Gipfels genießen, darf man nicht vergessen, dass der Wechsel des Landes vom Unterstützungsempfänger zum Geldgeber mit Blut erkauft ist: Die russische Regierung finanziert die Programme des Globalen Fonds für Drogengebrauchende nicht weiter, achtet Vertreter/innen der Zivilgesellschaft – Motor und Impulsgeber im Kampf gegen HIV – gering oder bekämpft sie gar und verbittet sich arrogant jegliche Einmischung von außen.

Gesundheit und Wirtschaft sind eng miteinander verflochten

Eines ist bereits jetzt klar: Nicht Themen wie Aids, Malaria, Tuberkulose, Unterernährung oder Nahrungsmittelgesundheit werden während des Gipfels im Mittelpunkt stehen, sondern die sogenannte Finanzkrise Europas, insbesondere die Rettung Griechenlands. Dabei wird wieder einmal vergessen werden, wie eng die Themen Gesundheit und Wirtschaft miteinander verflochten sind.

Ein paar Zahlen zur Illustration: Zwischen 4 und 11 % des Bruttoinlandprodukts werden in den Ländern der EU durchschnittlich für die Gesundheitsvorsorge ausgegeben, und in Deutschland arbeitet jede/r Zehnte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in einem Gesundheits- oder Pflegeberuf. Angesichts dieser Zahlen ist es erstaunlich, dass der Gesundheitsbereich von der Politik eher als Kosten- denn als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen wird – Kosten, welche scheinbar „schnell mal eben“ eingespart werden können:

Als Antwort auf die Finanzkrise wurden in vielen EU-Ländern die Ausgaben für Gesundheit gekürzt. Nach Angaben der Europäischen Föderation der Pflegeverbände berichtet über die Hälfte der Mitgliedsverbände über gekürzte oder eingefrorene Gehälter, über ein Drittel sieht die Qualität der Versorgung und die Gesundheit der Patienten gefährdet, über ein Fünftel berichtet, dass Pflegepersonal herabgestuft oder durch unqualifiziertes Personal ersetzt wurde.

In Griechenland steigt die Arbeitslosenquote – und die Suizidrate

Es ist bekannt, dass die Arbeitslosenrate in Griechenland und Spanien ganz besonders hoch ist. Bekannt ist auch, dass sich Arbeitslosigkeit negativ auf die Gesundheit auswirkt. In Griechenland zum Beispiel hat die Krise dazu geführt, dass die Suizidrate stark gestiegen ist: von 2007 bis 2009 um 17 Prozent, 2010 um weitere 25 Prozent, im ersten Halbjahr 2011 um 40 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres – vor der Krise gehörte Griechenland zu den europäischen Ländern mit den niedrigsten Raten. Steigende Suizidraten werden auch aus Spanien und den Baltischen Republiken gemeldet.

Verzweifelter Mensch auf einer Bank
Auch im krisengeschüttelten Europa ist die Verzweiflung groß. (Bild: M.E. / pixelio.de)

In Griechenland wurden zudem die Ausgaben für Gesundheit stark gekürzt, weitere Einsparungen stehen an. Die Sparpolitik hat zu einem über 50-prozentigen Anstieg von HIV-Infektionen geführt, im Athener Stadtzentrum ist die Zahl der HIV-Infektionen nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen Griechenland von 2010 bis 2011 sogar um 1.450 % gestiegen. Programme ersatzlos zu streichen, rechnet sich nicht.

Gespart wird bei denen, die keine Stimme haben

Ähnlich wie Griechenland antwortet auch die Spanische Regierung auf die Krise mit Einsparungen im Gesundheitsbereich – auch die Ausgaben für die HIV-Prävention wurden erheblich zusammengestrichen. Da das Sparen bei den an den Rand der Gesellschaft gedrängten Gruppen offenbar am wenigsten Schmerzen bereitet, sind undokumentierte Migranten in Spanien ab dem 31. August per Gesetzesbeschluss von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Dies bedeutet, dass Migranten mit HIV oder anderen chronischen Erkrankungen wie Hepatitis C oder auch Krebs nicht mehr behandelt werden können. Kaum vorstellbar, welche persönlichen Tragödien derlei Beschlüsse nach sich ziehen werden! Das verletzt nicht nur das Menschenrecht auf den bestmöglichen erreichbaren Gesundheitszustand, sondern schadet auch der Prävention.

Ich möchte wetten, dass all dies nicht zur Sprache kommt, wenn während des G20-Gipfels wieder einmal über die „Rettung der Finanzsysteme“ und „Griechenland“ verhandelt wird. Merkwürdig, wie sehr wir uns an eine gute Gesundheitsversorgung gewöhnt haben und diese auch in Zeiten knapper werdender Ressourcen als ungefährdet, nicht verhandelbar und garantiert wahrnehmen.

Höchste Zeit, endlich aufzuwachen!

Weitere Informationen

Eintrag zur G20 auf wikepedia.de

UN-Milleniumsziele in deutscher Sprache

Materialien des Aktionsbündnisses gegen AIDS zum Globalen Fonds

Globaler Fonds in finanziellen Nöten: Meldung auf aidshilfe.de vom 23.11.2011

Aids: Situation in Kongo „katastrophal“ (Beitrag zu den Auswirkungen der gestrichenen 11. Runde des Globalen Fonds; aerztezeitung.de/dpa vom 26.01.2012)

„Russland will den Drogenabhängigen nicht helfen“ (welt.de vom 06.01.2011)

Gesundheitsrisiko Arbeitslosigkeit (DGB: arbeitsmarkt aktuell, Nr. 9/August 2010)

Geldsorgen steigen, die Suizidrate auch (Artikel zu den Auswirkungen der Krise auf das Gesundheitswesen in Griechenland auf pharmazeutische-zeitung.de)

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2 Kommentare

  1. Ein guter Artikel, in dem endlich auch einmal die beunruhigenden Entwicklungen in Griechenland angesprochen werden. Im Dezember letzten Jahres hat (ausgerechnet) die Fraktion der Europäischen Volkspartei / Christdemokraten im Europaparlament eine parlamentarische Anfrage zur Zunahme von HIV und AIDS in Griechenland an die zuständige Kommission gestellt. Die Antwort von John Dalli (Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz) vom Januar 2012 ist ernüchternd: „The management and delivery of health services and medical care is an area of exclusive responsibility of the Member States. There is therefore no legal basis for emergency EU funding for the provision of healthcare services.“ Soviel also zu der gegenwärtig täglich beschworenen europäischen Solidarität. (Link:
    http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+WQ+E-2011-011740+0+DOC+XML+V0//DE)

    1. Danke Michael,
      ja, ist erschütternd aber leider auch traurige Realität, dass die Komission da kaum etwas zu melden hat. die müssen immer aufpassen, dass sie von den Mitgliedsstaaten keinen auf den Deckel kriegen. Dafür gibts aber auch noch andere Körperschaften die durchaus offen von diesen Zustände berichten, Länderberichte des Council of Europe bspw. Aberr es stimmt schon, frustrierend ist, dass die europäischen Institutionen nicht besser Zähnen ausgestattet sind.

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