Fußfessel
Rhoades‘ Bewährungsauflagen erinnern an das finsterste Mittelalter (Foto: s.media/ pixelio.de)

Nach wie vor werden Menschen wegen HIV-Übertragungen verurteilt – manchmal sogar dann, wenn es gar keine Ansteckung gab. Welche brutalen Auswirkungen die Kriminalisierung von Menschen mit HIV haben kann, zeigt die Geschichte von Nick Rhoades, die er kürzlich bei einer Pressekonferenz der Globalen Kommission zu HIV und Recht erzählt hat (Übersetzung und Redaktion: Holger Sweers):

Ich wurde 2008 gemäß dem Gesetz des US-Bundesstaates Iowa wegen „krimineller HIV-Übertragung“ verurteilt, obwohl gar keine HIV-Übertragung stattgefunden hatte. Es ging um eine einmalige, einvernehmliche sexuelle Begegnung mit einem anderen Erwachsenen. Meine Viruslast lag unter der Nachweisgrenze, ich habe ein Kondom benutzt und es fand keine HIV-Übertragung statt.

Vor dem Auge des Gesetzes spielten diese Fakten aber keine Rolle. Der Richter verurteilte mich zu 25 Jahren Haft und ordnete die lebenslängliche Registrierung als Sexualstraftäter an. Nach dem Urteil übten Aktivisten aus den USA und sogar aus Europa erheblichen Druck auf den Richter aus, das Urteil zu überdenken. Nach über einem Jahr Haft ließ er mich dann für fünf Jahre auf Bewährung frei, aber ich bleibe als Sexualstraftäter registriert.

Die persönlichen Auswirkungen sind unermesslich

Auf meinem Weg durch das Gefängnissystem wurde ich vier Mal verlegt. Jedes Mal bekam ich mehrere Tage nicht alle oder sogar überhaupt keine HIV-Medikamente. Und bei meiner Entlassung hatte ich meinen Platz im Programm zur Versorgung mit HIV-Medikamenten verloren und wurde auf eine Warteliste gesetzt. Das Gefängnis bot mir keinerlei Hilfe dabei an, für die Zeit nach der Entlassung einen Sozialarbeiter zu finden oder medizinische Unterstützung zu finden.

Die persönlichen Auswirkungen auf meine Familie und Freunde sind unermesslich. Das Ganze hat zu unglaublichem mentalem Stress, finanziellen Belastungen und zu großen Schwierigkeiten im Beruf geführt, da ich nun als Sexualstraftäter gelte und praktisch nicht beschäftigungsfähig bin. Glücklicherweise habe ich dann einen Job am Center for HIV Law & Policy bekommen, aber die meisten anderen haben nicht so viel Glück. Bis heute habe ich mit einer schweren Depression zu kämpfen. Das alles ist nicht leicht.

Ausschnitt aus einem Bericht über Rhoades
Ausschnitt aus einem Bericht über Rhoades im POZ-Magazin (www.poz.com)

Die Durchsetzung dieser archaischen Gesetze fordert einen hohen Preis – auch finanziell. Die Inhaftierung eines einzigen Menschen in Iowa – eingerechnet die Kosten für Medikamente und die ärztliche Versorgung – kostet durchschnittlich 65.000 bis 70.000 Dollar pro Jahr. Diese Kosten werden vom Steuerzahler getragen, wobei das durch die Inhaftierung nicht erwirtschaftete Einkommen und der nicht erbrachte Beitrag zur Gesellschaft noch gar nicht berücksichtigt sind. Hinzurechnen muss man auch noch die Kosten für die Überwachung von Verurteilten, die auf Bewährung oder Hafturlaub sind – häufig verbunden mit Kosten für die Überwachung von registrierten Sexualstraftätern. Die Öffentlichkeit zahlt also unglaubliche Summen für die Durchsetzung von Gesetzen, die in den meisten Fällen zur Verurteilung von Menschen mit HIV führen, obwohl HIV nicht übertragen wurde. In vielen Fällen, so auch in meinem, werden Menschen mit HIV bestraft, weil sie die Präventionsbotschaften des öffentlichen Gesundheitssystems befolgen: Lass dich behandeln und nimm deine Medikamente konsequent ein, halte deine Viruslast möglichst unter der Nachweisgrenze, benutze Kondome und mach Safer Sex.

Solche Gesetze verstärken die Stigmatisierung von Menschen mit HIV und Aids, lähmen sie und halten sie von der Nutzung von Präventions- und anderen Angeboten ab. Sie machen es ihnen enorm schwer, ihren HIV-Status offenzulegen, weil schon eine bloße Beschuldigung erhebliche Folgen haben kann. Und ich bin überzeugt, dass das durch diese Gesetze verstärkte Stigma Menschen davon abhält, sich testen zu lassen.

Strafverfolgung von Menschen mit HIV hilft nicht, aber verletzt Menschenrechte

Seit 2009 bin ich Mitglied der Iowa HIV Community Planning Group unter dem Dach des Gesundheitsministeriums, und da bekomme ich alle Daten zu sehen. In diesem Jahr stellt die öffentliche Hand 25 Prozent weniger Geld für die Prävention zur Verfügung als im letzten Jahr, und in den nächsten fünf Jahren könnte sich das ganze zu einem Minus von 55 Prozent ausweiten. Die für die Behandlung von HIV-Patienten vorgesehenen Summen stehen als Nächstes auf der Streichliste. Wenn jemand behandelt wird und er eine Viruslast unter der Nachweisgrenze hat, senkt das die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung um bis zu 96 Prozent. Dennoch kürzen wir Gelder für erwiesenermaßen erfolgreiche HIV-Präventionsprogramme, während wir zugleich mehr Geld für die kostspielige Strafverfolgung und Inhaftierung von Menschen mit HIV wie mir ausgeben. Bedenkt man, dass es keinerlei wissenschaftliche Nachweise für wie auch immer geartete Auswirkungen dieser Gesetze auf das Sexualverhalten gibt, dann handelt es sich hierbei ganz sicher nicht um einen effektiven Einsatz unserer Ressourcen, während wir auf der anderen Seite die Menschenrechte verletzen und gegen die Ziele des öffentlichen Gesundheitswesens arbeiten.

Strafgesetze und Richtlinien, die Menschen aufgrund ihres HIV-Status ins Visier nehmen, müssen abgeschafft werden. Bitte unterstützen Sie uns dabei, beim juristischen Umgang mit HIV wieder zur Vernunft, zu den wissenschaftlichen Fakten und zur Gerechtigkeit zurückzukehren.

 

In Sean Strubs Film „HIV is not a Crime“ (HIV ist kein Verbrechen) erzählt Nick Rhoades auch von seinen an das Mittelalter erinnernden Bewährungsauflagen.

Führerschein
Führerschein mit dem Eintrag „Sexualstraftäter“ (Quelle: HIV is not a Crime)

Die Höhe des Strafmaßes (25 Jahre), die Einstufung als „Kapitalverbrechen der Klasse B“ – Klasse A ist die höchste Klasse und bedeutet lebenslänglich –, die lebenslängliche Registrierung als Sexualstraftäter, was in großen roten Buchstaben in den Führerschein eingetragen wird (in den USA so etwas wie der Personalausweis bei uns), all das zeige dem Verurteilten, dass er „eine sehr, sehr schlechte Person ist – das ist irgendwann wie einprogrammiert“, sagt Rhoades.

Er muss sich alle drei Monate bei seinem Bewährungs-„Helfer“ melden – Pädophile, Vergewaltiger und andere nur alle sechs Monate. Rhoades darf sich nicht in der Nähe von Jugendlichen aufhalten, ohne dass deren Eltern dabei sind. Er trägt eine elektronische Fußfessel mit GPS-Ortung und wird rund um die Uhr überwacht. Er darf keinen Alkohol im Haus haben, kann nicht einmal in eine Bar gehen, um etwas zu trinken, und muss um Mitternacht zu Hause sein.

Pornografie ist ihm untersagt – man kann ihm jederzeit befehlen, seinen Computer abzuliefern, und er kann jederzeit verhört werden. Auch in sozialen Netzwerken darf er sich nicht bewegen, nicht einmal Facebook darf er nutzen.

Alle sechs Wochen muss er sich einem „Lügendetektor-Test“ unterziehen – bis zum Ende seines Lebens. Und damit nicht genug: Nick sollte sogar Tests absolvieren, damit er seine Nichten und Neffen sehen kann – Tests, um herauszufinden, was ihn wirklich sexuell erregt, das heißt, mit einem Sensor an seinem Penis.

„Ich kann so nicht leben, nicht unter diesen erstickenden Bewährungsauflagen“, sagt er.

Am 15. März 2010 beantragte Rhoades ein Wiederaufnahmeverfahren, weil er sich schlecht von seinem damaligen Rechtsbeistand beraten fühlte: Dieser hatte Rhoades geraten, sich schuldig zu bekennen. Im Dezember 2011 wurde der Antrag abgelehnt, im Juni ging das Verfahren vor den Obersten Gerichtshof von Iowa. Rhoades wird dabei von der Organisation Lambda Legal vertreten. Wünschen wir ihm, dass sein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens diesmal durchkommt – und dass dann die Fakten gehört und berücksichtigt werden.

 

Weitere Informationen

Criminal Injustice: Beitrag über Nick Rhoades, Monique Moree und Robert Suttle im Magazin POZ (in englischer Sprache)

criminalhivtransmission.blogspot.de: englischsprachiger Blog von Edwin J. Bernard zum Thema HIV und Strafrecht, u.a. mit dem Statement von Nick Rhoades bei der Pressekonferenz der Globalen Komission zu HIV und Recht

Strafbarkeit der HIV-Übertragung beenden: Pressemitteilung der Deutschen AIDS-Hilfe vom 16.036.2012

Dossier „HIV und Strafrecht“ auf aidshilfe.de

 

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Über

Holger Sweers

Holger Sweers, seit 1999 als Lektor, Autor und Redakteur bei der Deutschen Aidshilfe, kümmert sich um die Redaktionsplanung des Magazins.

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