Erschüttert und wütend über das einsame, elende Sterben ihres an Aids erkrankten Freundes gründete vor 30 Jahre eine Handvoll Menschen in London den Terrence Higgins Trust. Heute ist er eine der größten HIV-Selbsthilfeorganisationen in Europa. Ein Kalenderblatt von Axel Schock.

30 Jahre Aktivismus, Hilfe und Prävention (Foto: THT)

Mit einem Mal ging alles sehr schnell. Bereits seit einigen Wochen hatte Terrence Higgins immer wieder mit gesundheitlichen Beschwerden zu kämpfen. Eines Nachts dann brach Higgins während seiner Schicht im legendären Londoner Schwulen-Tanzclub „Heaven“ hinter der Bar zusammen. Die Ärzte im St. Thomas Hospital waren ratlos. Sie diagnostizierten Pneumocystis-Pneumonie (PCP), eine seltene Pilzinfektion der Lunge, sowie eine Leukenzephalopathie, eine nicht weniger rare Erkrankung des zentralen Nervensystems.

Der erste offizielle Aids-Tote Großbritanniens

Der Gesundheitszustand von Terrence, den seine Freunde Terry nannten und dessen Hauptjob Protokollant im House of Commons war, verschlechterte sich rapide. Nur kurze Zeit nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus, am 4. Juli 1982, starb Terrence „Terry“ Higgins im Alter von 37 Jahren als offiziell erster Brite an den Folgen von GRID, der „Gay-related immune deficiency“, wie Aids damals noch genannt wurde.

Higgins‘ Lebensgefährte und Gründer des THT Rupert Whitaker (Foto: privat)

Seinem 19-jährigen Lebensgefährten Rupert Whitaker hatten die Ärzte bis zuletzt jegliche Auskunft über Terrence’ Gesundheitszustand verweigert. Ein schwuler Partner galt offiziell nicht als Familienangehöriger und Terrence’ walisische Familie, die mit dem Lebensstil ihres Sohnes nie zurechtkam, lehnte einen engeren Kontakt zu Whitaker ab. „Durch Terrys Tod wurde mir die Aufgabe bewusst, der ich mich stellen wollte. Niemand sollte mehr so allein und in Unkenntnis dessen, was eigentlich passiert, sterben müssen“, erinnert sich Martyn Butler. Zusammen mit Higgins’ Lebenspartner Rupert und einem weiteren Freund überlegte er in einer Wohnung in East London, was zu tun sei.

Im Jahr darauf wurde aus der spontan entstandenen Aktionsgruppe eine offizielle Organisation. Man formulierte eine Satzung, eröffnete ein Bankkonto und gab dem Ganzen den endgültigen Namen, mit dem an den verstorbenen Freund erinnert und zugleich der Krankheit ein Gesicht gegeben werden sollte: Terrence Higgins Trust (THT).

Terrence „Terry“ Higgins (1945-1982) (Foto: THT)

Diese erste Aidshilfeorganisation des Vereinigten Königreichs ist mittlerweile zu einer der größten Europas angewachsen. Neben der Aufklärung über HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen, der Unterstützung von HIV-Positiven in allen Lebensbereichen und der Durchführung von Kampagnen gegen Diskriminierung und Stigmatisierung vertritt der Terrence Higgins Trust zudem im politischen Tagesgeschehen als Lobbyist die Interessen der Betroffenengruppen.

MSM und die schwarzafrikanische Community sind am stärksten betroffen

Konzentrierte man sich in den Aufbaujahren vor allem auf die Aufklärung in der Gay Community, wenden sich die Beratungs- und Präventionsangebote inzwischen an die gesamte Bevölkerung. „Unsere größte Gefahr sehe ich heute darin, dass weite Teile der heterosexuellen Bevölkerung glauben, dass HIV sie nichts angehe“, sagt Butler. All das kostet freilich Geld, und das kommt in entscheidendem Maße vom Gesundheitsministerium. Am vergangenen Montag wurden der Organisation rund 8,5 Millionen Euro bewilligt, mit denen in den kommenden drei Jahren speziell die Prävention in den beiden größten Betroffenengruppen Großbritanniens – Schwule und andere Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) sowie aus Afrika stammende Menschen – finanziert werden soll.

Spendenaktion für den Terrence Higgins Trust in den 90er Jahren (Foto: THT)

Nach offiziellen Schätzungen sind fünf Prozent der schwulen wie auch der schwarzafrikanischen Communities Großbritanniens HIV-infiziert. In London sei sogar jeder siebte Schwule positiv. Weitere Mittel erhält der Higgins Trust zudem vom nationalen „Big Lottery Fund“, der Wohltätigkeitsorganisation „Comic Relief“ und von der Elton John AIDS Foundation.

„Zeig uns deine Geldscheine, und wir bereiten dir eine gute Zeit“

Ein wichtiger Baustein der Gesamtfinanzierung sind allerdings auch weiterhin private Spenden. Eine illustre Schar von Schirmherren und -frauen – darunter  Schauspieler wie Simon Callow und Judi Dench, der Unternehmer Richard Branson, Elton John, die Künstlerin Tracey Emin und diverse ehrwürdige Lords – sorgen für Renommee, Seriosität und auch für etwas Glamour. Stephen Fry, allseits geschätzter Schriftsteller, Schauspieler und TV-Entertainer, spricht das auch ganz direkt aus. Er ist der Präsident  von „Friends of Life“, einem Förderverein, dessen besonders spendable Trust-Unterstützer bei Gala-Diners und -Auktionen im Glanz von Prominenten wie George Michael, Geri Halliwell und Joan Rivers sonnen dürfen. „Wir sind wie ein Bordell. Unsere Freundschaft ist käuflich. Zeig uns deine Geldscheine, und wir bereiten dir eine gute Zeit“, promotet Fry unverblümt und selbstironisch seinen exklusiven Club. Ab 1.000 Pfund Jahresbeitrag darf man sich zugehörig fühlen.

Das Londoner Szeneblatt „Capital Gay“, 1982 über den ersten Aidsfall Englands (Foto: THT)

Higgins’ Lebenspartner Rupert Whitaker hat sich aus vielerlei Gründen aus der Stiftungsarbeit zurückgezogen, ist aber weiterhin als Schirmherr der von ihm mitbegründeten Organisation verbunden. Er war kurze Zeit nach Higgins ebenfalls erkrankt, die ärztlichen Prognosen sahen auch für ihn schlecht aus. Doch Withaker, der eine erstaunliche medizinische Karriere in den Disziplinen Immunologie, Psychologie  und Neurologie machte, bewältigte auch größte gesundheitliche Krisen. Nach einem Schlaganfall war er teilweise gelähmt und sein Sprachzentrum  gestört. Als Folge einer Gehirn-OP litt er zudem unter Epilepsie.

Nach einer mehrjährigen Rehabilitation kam eine weitere chronische neurologische Störung hinzu, deren Ursache sich später als Nebenwirkung seiner HIV-Medikation entpuppte. Aus dieser Erfahrung heraus gründete er 2007 das Tuke Institute, eine unabhängige wissenschaftliche Denkfabrik, in der Mediziner und Wissenschaftler gemeinsam Methoden zur Vermeidung von Behandlungsfehlern entwickeln.

 

Weitere Informationen im Internet:

Website des Terrence Higgins Trust

Website der MSM-Präventionskampagne CHAPS, des Terrence Higgins Trust

MyHIV.org.uk, die Community-Website des Higgings-Trust für Menschen mit HIV

Blog von Rupert Whitaker

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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