Bundestagswahl 2013: Die Deutsche AIDS-Hilfe hat die Positionen der wichtigsten Parteien zu unterschiedlichen Aspekten des Umgangs mit HIV/Aids, sexueller Vielfalt und Gesundheitsversorgung in Erfahrung gebracht.

Deutscher Bundestag
Am 22. September ist Bundestagswahl. (Foto: lillysmum, pixelio.de)

44 Fragen umfasst der Katalog der DAH-Wahlprüfsteine, der zur Beantwortung an die fünf aussichtsreichsten Parteien ging. Axel Schock hat die wichtigsten und markantesten Standpunkte und Forderungen von CDU und CSU, FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Piraten zusammengefasst. Die ausführlichen Antworten der Parteien sind über die untenstehenden Links im Netz abzurufen.

Inhalt:

 

  • Kriminalisierung der (potenziellen) HIV-Übertragung

Die CDU und CSU sehen keinen Grund, warum ausgerechnet „HIV-Infizierte in Bezug auf die Verantwortlichkeit für ihr Verhalten privilegiert werden sollten“, wenn sie wissentlich das Virus übertragen.

Nach Ansicht der FDP trägt der HIV-Positive „eine besondere Verantwortung“, sofern er um seine Infektion weiß.

„Das Argument, die Kriminalisierung trage zur Verbreitung von HIV bei und fördere die Stigmatisierung von Menschen mit HIV“, entbehrt für die SPD der Logik. „Die Zuweisung der strafrechtlichen Verantwortung ist bei einer HIV-Infektion nicht anders zu beurteilen als in anderen Fällen bewusster oder in Kauf genommener Gesundheitsschädigung.“

DIE LINKE lehnt „eine einseitige Schuldzuweisung an den HIV-Positiven ab“, betont aber dessen Verantwortung. Eine fahrlässige Infizierung mit dem HI-Virus „kann nicht unberücksichtigt bleiben“.

Logo Bündnis 90/ Die GrünenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht „einer strafrechtlichen Sonderregelung für HIV-Positive skeptisch gegenüber“. Die Partei erwartet „von deutschen Gerichten, dass sie (…) medizinische Fakten angemessen würdigen“, dies gilt insbesondere für die Nichtinfektiosität von erfolgreich therapierten HIV-Positiven.

Für DIE PIRATEN „wiegt das Recht auf körperliche Unversehrtheit höher, als das Recht auf freie Ausübung der Sexualität“. HIV-Positive, die von ihrer Infektion wissen und dennoch ungeschützten Verkehr haben, handeln „grob fahrlässig“.

  • HIV und Arbeit

Die CDU und CSU „wenden sich entschieden gegen Fragen und Tests in Bewerbungs- und Einstellungsverfahren, die gesetzlich verweigert werden dürfen“.

Die Liberalen möchten sich bei einer Neuregelung des Arbeitnehmerdatenschutzes dafür einsetzen, „dass ärztliche Untersuchungen nur bei konkreten Anhaltspunkten und nicht missbräuchlich erfolgen dürfen“.

Die SPD fordert „ein eigenständiges Beschäftigtendatenschutzgesetz, das bei Einstellungen die Datenerhebung (…), ein Fragerecht bzw. ärztliche Untersuchungen regelt“. Es sei eine „klare Trennung zwischen arbeitsmedizinischen Präventionsmaßnahmen, die der Gesundheitsvorsorge dienen, und ärztlichen Untersuchungen und Eignungstests vorzunehmen“.

DIE LINKE setzt sich für mehr Aufklärung und Rechtssicherheit und für die breit getragene Ächtung von Diffamierungen oder Benachteiligungen von Menschen mit HIV ein, „so dass HIV-Positive auch am Arbeitsplatz angstfrei mit ihrer Infektion umgehen können“.

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellt die Ablehnung eines Arbeitnehmers wegen einer HIV-Infektion oder der Weigerung, einen HIV-Test durchzuführen, eine Diskriminierung dar.

DIE PIRATEN streben eine Gesellschaft an, in der der Umgang mit HIV-infizierten Arbeitskollegen zur Selbstverständlichkeit wird. HIV-Tests bei Einstellungsuntersuchungen widersprechen der Haltung der Partei zum selbstbestimmten Umgang mit den eigenen Daten.

  • Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben

Die CDU und CSU bestehen auf einer „Differenzierung zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft“, insbesondere beim Adoptionsrecht.

Die FDP spricht sich für eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aus, wie auch die SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Logo Die LinkeDIE LINKE fordert die Gleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnern mit Eheleuten.

DIE PIRATEN setzen sich für die „vollständige rechtliche Gleichstellung von Ehe und eingetragener Partnerschaft“ ein. Letztere sei für alle Formen der Partnerschaft zu öffnen, auch von mehr als zwei Personen. „Das Ehegattensplitting ist abzuschaffen.“

  • Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Die CDU und CSU wollen „genau beobachten“, ob über den im AGG bereits festgelegten Schutz vor Diskriminierung und Benachteiligung hinaus „ein weiteres Regelungsbedürfnis bezüglich des Diskriminierungsschutzes chronisch Erkrankter, wie Menschen mit HIV, bestehen könnte“.

Die FDP sieht keine Notwendigkeit, das AGG um chronische Krankheiten zu erweitern und möchte den bürokratischen Aufwand für die Antidiskriminierungsstelle gering halten.

Sofern im AGG „tatsächlich Lücken verbleiben oder sich auftun“, sollen diese nach Ansicht der SPD überprüft und geschlossen werden.

DIE LINKE möchte das AGG auch auf die Diskriminierung von HIV-positiven Menschen ausweiten.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchte bei einer Reform des Gesetzes gewährleisten, dass auch chronisch Kranken ein angemessener Diskriminierungsschutz gewährleistet wird, ebenso DIE PIRATEN.

  • Menschen in Haft

CDU und CSUDie CDU und CSU „stehen grundsätzlich für ein Leben ohne Drogen“ und wollen dieses „auch Häftlingen durch bessere Therapieangebote ermöglichen“.

Die FDP steht zu einer qualitätsgesicherten Substitutionsbehandlung in Haft.

Die SPD will darauf hinwirken, dass die Anzahl der Ärzte mit einer fachlichen Qualifikation für Substitutionsbehandlungen insgesamt erhöht wird“ und „die medizinische und soziale Beratung bei qualitätsgestützten Substitutionsbehandlungen sowohl in Freiheit als auch in Haft“ ausbauen.

DIE LINKE setzt sich für eine akzeptierende Drogenarbeit ein, dazu gehören auch Spitzentausch und Zugang zu ausreichender Substitutionsbehandlung und anderen Therapien. Außerdem unterstützt sie weitere Maßnahmen, die Infektionskrankheiten in Haft vermeiden helfen, wie die Schaffung eines anonymen Zugangs zu Kondomen.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützt die Genfer Erklärung und fordert dementsprechend für Gefangene „das gleiche Recht auf eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung“ wie für Menschen in Freiheit. Die Partei plädiert für Substitutionstherapien in Haft und fordert eine bessere Ausbildung des Gefängnis- und medizinischen Personals.

Menschen in Haft haben nach Ansicht der Partei DIE PIRATEN „Anspruch auf eine angemessene Gesundheitsversorgung. Dies beinhaltet auch die Möglichkeit, sich von verfügbaren Ärzten behandeln zu lassen, die nicht Angestellte oder Beamte der Haftanstalt sind.“

  • Sexarbeit

Die CDU und CSU „lehnen eine weitere Liberalisierung des ‚Prostitutionsgewerbes’ ab“. Für sie zeige „die verstärkte Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten in der jüngsten Zeit, dass sich weitere Liberalisierungen grundsätzlich schädlich auswirken“. Die Fragen, wie sie das Prostitutionsgesetz weiterenwickeln und die Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen verbessern wollen, beantworten sie mit ihrem Einsatz für eine Veränderung des Strafrechts, damit Menschenhändler gegebenenfalls auch ohne die Aussagen der Opfer verurteilt werden können.

Logo FDPDie FDP setzt „nicht auf Repression, sondern auf bessere Aufklärung und Prävention“, „am eingeschlagenen Liberalisierungskurs in der Sexarbeit“ wird festgehalten.

Die SPD „hält es für falsch, Prostitution unter Strafe zu stellen und somit Sexarbeit in die Illegalität zu drängen“.

DIE LINKE möchte das bestehende Prostitutionsgesetz evaluieren und erweitern sowie die Sexarbeit mit anderen Berufen gleichstellen. Eine pauschale Kriminalisierung wird abgelehnt.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will das Prostitutionsgesetz im Bundestag weiterentwickeln. Niedrigschwellige Beratungs- und Hilfsangebote sowie Ausstiegsprogramme sollen ausgebaut werden, gewerberechtliche Überprüfungen sollen die Arbeitsbedingungen sicherer machen. In Fällen von „Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung“ sollen Opfer ein Bleiberecht erhalten, auch über das Gerichtsverfahren hinaus.

DIE PIRATEN lehnen eine „Kriminalisierung und Diskriminierung von Sexarbeitern und ihren Kunden ab. (…) Die Stärkung der Rechte selbstbestimmt tätiger Sexarbeiter ist das beste Mittel gegen jedwede Fremdbestimmung.“

  • Drogenpolitik

CDU und CSU  sind „gegen Verharmlosung, Liberalisierung und Legalisierung illegaler Drogen“ und setzen auf „Drogenprävention (…), da sie im besten Falle Dogenkonsum gar nicht erst aufkommen lässt“. Drug-Checking-Projekte werden abgelehnt.

Für die FDP ist „das Konzept des Ineinandergreifens von Prävention, Beratung und Therapie, Überlebenshilfen und Repression“ der „richtige Ansatz zeitgemäßer Drogenpolitik“. Drug-Checking ist für die Liberalen „kein geeignetes Instrument der gesundheitlichen Prävention oder Schadensminderung“.

Logo SPDFür die SPD ist „die grundsätzliche Strafbarkeit von illegalen Betäubungsmitteln ein wesentliches Instrument und für den Schutz der Bevölkerung vor gesundheitlichen und sozialen Schädigungen unerlässlich“. Daneben ist für die Sozialdemokraten „Schadensreduzierung und Überlebenshilfe als eigenständige Säule der Drogenpolitik unverzichtbar“. Drug-Checking-Projekten begegnet man mit Skepsis. „Qualitätskontrollen signalisieren eine Unschädlichkeit, die es nicht gibt.“ Die Legalisierung harter Drogen wird abgelehnt, die Entkriminalisierung von Süchtigen als „richtiger Ansatz“ gewertet.

DIE LINKE möchte Konsumenten „harter Drogen“ entkriminalisieren. Schadensbegrenzende Maßnahmen wie Drug-Checking und Substitutionstherapien werden unterstützt. Gefordert werden wissenschaftlich fundierte Grenzwerte für möglichst alle Drogen, deren Konsum die Verkehrssicherheit gefährden kann.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchte „ein Ende der prohibitiven Drogenpolitik“ und stattdessen „eine akzeptanzorientierte Politik, die auf Entkriminalisierung, Prävention, Therapie und Schadensminderung“ (Konsumräume, Spritzentauschprogramme, Drug-Checking) setzt.

DIE PIRATEN unterstützen eine Politik, „die riskantem Drogengebrauch durch Prävention entgegenwirkt, sowie Risiko-Konsumenten und Schwerstabhängigen durch Therapieangebote hilft“. Die Partei plädiert für Drug-Checking-Projekte, fordert bundesweit Konsumräume, eine Online-Meldestelle für problematische Substanzen zur Risiko- und Schadensminimierung sowie die „komplette Entkriminalisierung des privaten Umgangs mit psychogenen Substanzen“.

  • Gesundheitliche Versorgung von Migranten und Asylbewerbern

CDU und CSU sehen keinen Bedarf für sogenannte „anonyme Krankenscheine“. Eine generelle Arbeitserlaubnis für Asylbewerber lehnen sie ab und halten am Prinzip der Sachleistungsgewährung fest. Migranten und Asylbewerber mit HIV können nach Prüfung des Einzelfalls ein Bleiberecht erhalten.

Die SPD ist der Auffassung, dass „die Versorgung von Menschen ohne oder mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus (…) nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung sein“ kann. „Ob für diese Menschen neben den vorhandenen Angeboten weitere Versorgungsmöglichkeiten geschaffen werden sollten, muss vor allem von den Kommunen geprüft werden.“ Die Residenzpflicht soll aufgehoben werden und die „entmündigende Versorgung mit Sachleistungen und die Unterbringung in Sammelunterkünften als Regelfall“ beendet werden.

Die FDP will zunächst ein „Lagebild“ der Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus erstellen, bevor gesetzliche Maßnahmen diskutiert werden. Die Residenzpflicht für Asylbewerber soll abgeschafft werden, Asylbewerber sollen „vom ersten Tag ihres rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland an arbeiten dürfen“. HIV-Erkrankte Flüchtlinge oder Geduldete erhalten kein privilegiertes Bleiberecht, sollen aber „entsprechend ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit behandelt werden“.

DIE LINKE strebt eine Bürgerinnen- und Bürgerversicherung (BBV) an, „in der alle in Deutschland lebenden Menschen einbezogen“ sind, „auch jene, die bislang nicht versichert waren“. Sie macht keine Aussagen zu Residenzpflicht sowie zu Bleiberecht für HIV-positive Flüchtlinge und Geduldete.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will mit einer Änderung des Aufenthalts- und Asylbewerberleistungsgesetz dafür sorgen, dass auch Menschen ohne Aufenthaltsstatus ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen können. Die Residenzpflicht soll abgeschafft werden, ebenso das Sachleistungsprinzip. Flüchtlinge mit HIV sollen aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.

Logo Die PiratenDIE PIRATEN schließen sich der Forderung nach einem „anonymen Krankenschein“ an, bis dieser durch ein liberales Asylrecht überflüssig wird. Die Residenzpflicht soll abgeschafft werden, HIV-positive Migranten und Flüchtlinge sollen Bleiberecht bekommen.

  • Globaler Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria

Die CDU und CSU stehen zum Globalen Fonds und wollen prüfen, ob eine Erhöhung des deutschen Beitrags möglich ist.

Nach Ansicht der FDP müssen zunächst die strukturellen Defizite des Globalen Fonds beseitigt werden, bevor über eine Aufstockung der Mittel diskutiert wird.

Die SPD möchte den deutschen Beitrag von derzeit jährlich 200 auf 400 Millionen Euro erhöhen.

DIE LINKE plädiert grundsätzlich für eine Erhöhung des deutschen Beitrags zum Fonds, ebenso BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE PIRATEN.

 

Die kompletten Antworten der angefragten Parteien auf die Wahlprüfsteine der Deutschen AIDS-Hilfe sind als PDF-Dokumente abzurufen:

Wahlprüfsteine CDU/CSU

Wahlprüfsteine SPD

Wahlprüfsteine FDP

Wahlprüfsteine DIE LINKE

Wahlprüfsteine DIE GRÜNEN

Wahlprüfsteine DIE PIRATENPARTEI

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Überrascht von den alltäglichen Schwierigkeiten

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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