HIV-Schwerpunktarzt Axel Adam (Foto: Andreas Klingberg)
HIV-Arzt Axel Adam (Foto: Andreas Klingberg)

Die akute HIV-Infektion ist ein viel diskutiertes Thema, nicht nur wegen der hohen Viruslast: In den raren Fällen „funktioneller Heilung“ wurde meist schon in dieser Frühphase medikamentös eingegriffen. Doch welche Rolle spielt sie im Praxisalltag? Axel Schock hat dazu Axel Adam befragt, der seit 1994 in einer Hamburger HIV-Schwerpunktpraxis als Arzt tätig ist.

Herr Adam, wie oft kommt es vor, dass jemand mit den Symptomen einer akuten HIV-Infektion in die Praxis kommt?

Das ist nicht so häufig der Fall, wie man vielleicht erwarten würde, zumindest nicht in unserer Praxis. Wobei wir darüber auch keine gesonderte Statistik führen. Ich schätze, übers Jahr gerechnet sind es allenfalls ein Dutzend Patienten.

Viele Ihrer Patienten sind schwule Männer. Inwieweit wissen sie über die akute HIV-Infektion Bescheid?

Selbst manche ältere Patienten wissen erschreckend wenig über HIV und die Infektonsrisiken

Kenntnisse hierüber sind eher die Ausnahme. Ich denke aber, dass die HIV-Prävention, gerade was die Grundbotschaften zu Safer Sex angeht, viele erreicht hat. Man muss sich aber auch im Klaren sein, dass manche Menschen gar nicht erreicht werden wollen, sondern ganz ungestört ihr Leben leben möchten, so lange es möglich ist. Ich erlebe allerdings – selbst mit älteren Patienten – auch immer wieder Situationen, in denen deutlich wird, wie erschreckend wenig sie über HIV und die Infektionsrisiken wissen.

Jemand kommt mit Symptomen einer akuten HIV-Infektion – etwa Fieber, Gelenk- und Muskelschmerzen oder Lymphknotenschwellung – in die Praxis und erinnert sich sogar an eine Risikosituation. Wie geht man mit solchen Patienten um?

Zunächst geht es darum, diese Menschen, die im Zweifelsfall von starker Angst getrieben werden, im Gespräch aufzufangen und über die Möglichkeiten aufzuklären, also auch über den HIV-Test und ab wann dieser aussagekräftig ist.

Ob eine HIV-Infektion stattgefunden hat, lässt sich mit dem HIV-Test erst drei Monate nach einem Infektionsrisiko zuverlässig feststellen. Patienten mit einer womöglich akuten Infektion müssen also so lange warten?

„Patienten mit womöglich akuter Infektion bieten wir den PCR-Test an“

Wir bieten in solchen Fällen den PCR-Test an. Damit werden nicht die Antikörper gegen HIV, sondern das Virus selbst nachgewiesen. Diese Möglichkeit nutzen sehr viele jener Patienten, die recht früh nach einem relevanten Infektionsrisiko in die Praxis kommen. Aber auch beim PCR-Test muss etwas Zeit nach dem Risikokontakt vergangen sein – in der Regel zwei Wochen –, damit er sinnvoll ist.

Übernehmen die Krankenkassen die Kosten für einen PCR-Test?

Der PCR-Test kann nur dann zu Lasten der Kassen abgerechnet werden, wenn der Patient tatsächlich HIV-positiv ist. In Fällen, wo wir aufgrund des Vorgesprächs davon ausgehen können, dass eine Infektion recht unwahrscheinlich ist, muss der Patient für die Kosten des Tests dann auch selbst aufkommen. Anders ist es, wenn zum Beispiel die Symptome so deutlich sind, wie eben beschrieben, und wir davon ausgehen müssen, dass sich der Betreffende infiziert hat.

Raten Sie bei einer akuten HIV-Infektion zu einem raschen Therapiebeginn?

Wir orientieren uns natürlich an den Leitlinien der Deutschen AIDS-Gesellschaft. Vor zwei Jahrzehnten, als ich mit der HIV-Medizin begonnen habe, vertraute man bei solchen Entscheidungen noch mehr dem Bauchgefühl, weil es das entsprechende Know-how noch nicht gab. Heute dagegen bedarf es bestimmter Anhaltspunkte für einen Therapiebeginn. Entscheidend ist der Immunstatus des Patienten. In der Regel beginnen wir eine Behandlung – wenn man sich mal nur auf die Laborwerte bezieht – erst dann, wenn die Zahl der Helferzellen unter 350 gesunken ist.

„Entscheidend für einen Therapiebeginn ist der Immunstatus des Patienten“

Es gibt nach wie vor keine gesicherten Daten, die eindeutig belegen, dass bei akuter HIV-Infektion der sofortige Beginn einer antiretroviralen Therapie dem Patienten etwas bringt.

Demnach stehen Sie einer HIV-Therapie zu einem frühen Zeitpunkt eher skeptisch gegenüber.

Ich habe mich in der Vergangenheit nur in sehr seltenen Fällen dazu entschieden. Nämlich dann, wenn der Patient in der Akutphase schwer erkrankt war, zum Beispiel mit hohem Fieber und auffälligen Hautreaktionen.

In der Arztpraxis eher selten: Menschen mit akuter HIV-Infektion (Foto: Rainer Sturm, pixelio.de)
In der Arztpraxis eher selten: Menschen mit akuter HIV-Infektion (Foto: Rainer Sturm, pixelio.de)

Sollte bei einem Patienten anhaltend eine Viruslast von über 100.000 Kopien gemessen werden, würde ich im Zweifelsfall ebenfalls früher zu einer HIV-Therapie raten. Wann man mit der Medikation beginnt, ist weiterhin eine sehr individuelle Entscheidung, die aber stets auf den Leitlinien fußt.

Funktionelle Heilungen wie beim „Mississippi-Baby“ oder den Patienten in der VISCONTI-Studie sind offenkundig wegen eines extrem frühen Behandlungsbeginns gelungen. Würde das nicht für eine HIV-Medikation bereits in der akuten Infektionsphase sprechen?

„Im Praxisalltag kommen wir trotz allem immer zu spät“

Zum einen handelt es sich bei diesen Heilungen bislang um Sonderfälle, zum anderen kommen wir im Praxisalltag trotz allem immer zu spät. Wir müssten bereits innerhalb der ersten Tage nach der Ansteckung mit der Medikation beginnen.
Bis uns aber die Patienten mit Symptomen einer akuten HIV-Infektion tatsächlich aufsuchen, hat sich das Virus bereits explosionsartig im Körper vermehrt.

Derzeit laufen Studien, die zeigen sollen, ob eine Therapie bei normaler Helferzellzahl – also rund 500 – für den Patienten einen Vorteil bringt.

Sollte das zutreffen, würden wir uns natürlich auch entsprechend verhalten. Bis dahin aber behandeln wir Patienten in einem frühen Stadium nur auf ihren besonderen Wunsch. Meist möchten sie das als Vorsichtsmaßnahme, um den negativen Partner keinem Infektionsrisiko auszusetzen.

„Patienten in einem frühen Stadium behandeln wir nur auf ihren besonderen Wunsch“

Wäre es Ihrer Ansicht nach sinnvoll, neben dem herkömmlichen HIV-Test auch gleich eine PCR anzubieten, um den Zeitraum zwischen möglicher Ansteckung und Infektionsnachweis zu verkleinern?

Angesichts der hohen Kosten finde ich es schwierig, dafür eine allgemeine Empfehlung auszusprechen. Zumal ich davon ausgehen muss, dass in einem frühen Stadium nur sehr selten tatsächlich HIV-Infektionen entdeckt werden.

Wenn man einen solchen Test grundsätzlich freigibt, kann es außerdem sein, dass sich bestimmte Menschen regelmäßig testen lassen – allein, um sich in Sicherheit zu wiegen. Ich finde es viel wichtiger, dass man mit diesen Menschen redet – darüber, wie sie mit sich und mit anderen umgehen –, und danach individuell entscheidet, ob ein PCR-Test sinnvoll ist.

Wieviel kosten die verschiedenen Tests?

Ein einfacher HIV-Test kostet um die 17 Euro und ein Bestätigungstest, der bei einem reaktiven Ergebnis nötig wird, rund 50 Euro. Der PCR-Test kostet dagegen etwa 150 Euro.

 

Cover HIV-ReportDie aktuelle Ausgabe des „HIVreport“ befasst sich mit verschiedenen Aspekten der akuten HIV-Infektion, beschreibt ihre Phasen und die Diagnose-Möglichkeiten und diskutiert die Schlussfolgerungen für die Prävention (kostenloser Download unter www.hivreport.de).

 

 

 

 

 

 

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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