Transgender Europe (TGEU) vernetzt und unterstützt Trans*-Organisationen zwischen Nordkap und Atlantik und versucht zugleich, durch Lobbyarbeit in Brüssel und Straßburg auch politisch etwas zu bewegen. Welche Themen bei der kommenden Europawahl mitentschieden werden, erzählt der stellvertretende TGEU-Geschäftsführer Richard Köhler im Gespräch mit Axel Schock.

Transgender Europe (TGEU) ist aus dem ersten European Transgender Council 2005 in Wien hervorgegangen und inzwischen zum wichtigsten Netzwerk in diesem Feld herangewachsen. TGEU versteht die Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt als integralen Bestandteil einer modernen europäischen Gesellschaft und kämpft für die Emanzipation und Selbstbestimmtheit nicht heteronormativer Lebensweisen.

Der Begriff „Trans*“ schließt dabei alle Menschen ein, die nicht in dem Geschlecht leben (wollen), dem sie bei der Geburt zugeordnet wurden, wie etwa Transsexuelle, Transidentische, Genderqueere und Transgender oder Transvestiten und Crossdresser.

Herr Köhler, wie einig und einheitlich erweist sich Europa aktuell, was die Gleichberechtigung von Trans*-Menschen angeht?

Richard Köhler, Vize-Geschäftsführer von Transgender Europe
Richard Köhler, Vize-Geschäftsführer von Transgender Europe

Die Bandbreite ist extrem weit – von Ländern, die keinerlei Anerkennung von Trans*-Menschen kennen, bis hin zu solchen, die zumindest klare Regularien für die Veränderung des Geschlechtseintrags in den Papieren geschaffen haben. Vorbildlich und weltführend ist allerdings kein einziges europäisches Land, selbst wenn man die Nicht-EU-Mitglieder einbezieht.

In wie vielen Ländern haben Trans*-Menschen derzeit keine Chance, die Geschlechtsangaben in ihren Papieren zu ändern?

Das ist derzeit in 14 Ländern der Fall. Das heißt de facto, dass Trans*-Menschen überhaupt nicht anerkannt und damit illegalisiert werden. Von den 35 Ländern, die entsprechende Vorgaben und ein rechtliches Prozedere haben, fordern 21 weiterhin, dass sich Trans*-Leute für diesen Schritt zunächst sterilisieren lassen müssen.

Zwang zur Sterilisation

Für welche Länder trifft das beispielsweise zu?

Auffällig ist, dass sich auch solche Staaten darunter befinden, die ansonsten als sehr fortschrittlich gelten, zum Beispiel Dänemark und Finnland, wobei in diesen beiden Ländern derzeit Initiativen zur Änderung der Gesetze laufen. Solche Bestimmungen finden sich aber auch in großen Ländern wie Italien oder Frankreich und ebenso in kleineren wie Malta und Luxemburg.

TGEU-Aktion für die Anerkennung von Trans*-Menschen
TGEU-Aktion für die Anerkennung von Trans*-Menschen

Und wie sieht es in Deutschland aus?

In Deutschland gab es diesen Zwang noch bis 2011. Abgeschafft wurde er aber keineswegs deshalb, weil sich Politiker der Regierungsparteien aktiv darum bemüht hätten, sondern weil sie durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu gezwungen wurden.

Welche weiteren Probleme gibt es, wenn jemand die Geschlechtszuordnung bei den zuständigen Behörden ändern möchte?

Einige Länder wie Polen, Italien und die Slowakei verlangen beispielsweise von Ehepaaren, bei denen ein Partner den Personenstand ändern möchte, dass sie sich zuvor scheiden lassen – was teilweise zu großen persönlichen Tragödien führt, langwierige Prozesse nach sich zieht und für die beteiligten Familien mit Rechtsverlusten verbunden ist.

Jugendliche Transgender: zwischen Mobbing und Schulverweis

In jüngster Zeit werden immer häufiger Fälle publik, in denen bereits Jugendliche sich ihrer Trans*-Identität bewusst werden.

In nur sehr wenigen Ländern ist es auch Minderjährigen möglich, den Personenstand zu ändern. Leider akzeptieren Lehrkräfte oder Schulverwaltungen eine Namensänderung keineswegs problemlos. Für die Betroffenen hat das zum Teil weitreichende Folgen: Diese Jugendlichen werden gemobbt, bisweilen sogar der Schule verwiesen, womit man ihnen das Recht auf Schulbildung verweigert. Klare Vorgaben auf europäischer Ebene wären hier sehr hilfreich.

TGEU-Landkare zu Trans*-Rechten in Europa
TGEU-Landkare zu Trans*-Rechten in Europa

Haben Politiker dafür bereits ein Problembewusstsein?

Was die Sterilisationen als Voraussetzung für eine Personenstandsänderung angeht, ist vielerorts bereits etwas in Bewegung gekommen. Für die Situation junger Trans*-Leute, etwa die Auswirkungen der aktuellen Rechtslage auf ihre persönliche Entwicklung bis hin zum Berufsweg, gibt es bisher jedoch kaum ein Bewusstsein.

Was sind derzeit die zentralen Punkte auf der politischen Agenda von Transgender Europe?

Eine unserer Hauptforderungen ist, dass das Prozedere für die Änderung des Geschlechtseintrags schnell, transparent und leicht zugänglich sein muss. Ein weiteres Thema ist der Schutz von Trans*-Menschen vor Gewalt, wozu wir auch ein globales Forschungsprojekt auf den Weg gebracht haben. Wir sind außerdem die einzige Organisation, die weltweit Daten zu ermordeten Trans*-Menschen zusammenträgt und darüber berichtet. Seit Januar 2008 haben wir über 1.500 Fälle gesammelt, und das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Globales Forschungsprojekt zum Schutz von Trans*-Menschen gestartet

Der dritte Schwerpunkt schließlich ist Gleichstellung und Nichtdiskriminierung. Auch hier arbeiten wir mit den EU-Mitgliedstaaten und mit europäischen Institutionen daran, dass ein expliziter Schutz vor Diskriminierung aufgrund der geschlechtlichen Identität gesetzlich verankert wird. In diesem Bereich sehen wir innerhalb der EU bereits einige Fortschritte.

Woran liegt das?

Logo von Transgender Europe
Logo von Transgender Europe

Bislang gibt es in der EU keinerlei Kompetenzen, um den Komplex der Personenstandsänderung zügig und umfassend anzugehen. In Sachen Gleichstellung hingegen gibt es in der EU bereits eine sehr klare Rechtslage. Sie geht auf ein Urteil des europäischen Gerichtshofs zurück, in dem unmissverständlich festgestellt wurde, dass auch Trans*-Leute durch das Gleichstellungsprinzip vor geschlechtsbezogener Diskriminierung geschützt sind. Das betrifft beispielsweise den Arbeitsmarkt wie auch den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen.

Zumindest auf juristischer Ebene ist demnach bereits ein wichtiges Ziel erreicht.

Das Problem ist, dass dieses Urteil bislang nur in wenigen Ländern in die Praxis umgesetzt wird und dass nur wenige Trans*-Menschen wie auch Arbeitgeber von diesem rechtlichen Rahmen wissen. Gerade angesichts der horrend hohen Arbeitslosenquoten unter Trans*-Leuten wünschen wir uns, dass hier stärkerer Druck aus Brüssel kommt.

Transgender haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer

Gibt es auch positive Entwicklungen, die aus dem Urteil resultieren?

Wir sehen, dass die Gleichstellungsstellen – in Deutschland sind das die Antidiskriminierungsstellen des Bundes oder der Länder – mittlerweile aufgewacht sind und Trans*-Menschen in ihr Mandat aufgenommen haben, sodass diese dort auch Unterstützung bekommen können.

Zur Europawahl gehen!
Zur Europawahl gehen!

Das ist ein erster wichtiger Schritt, um die Betroffenen über ihre Rechte zu informieren und Öffentlichkeit zu schaffen, aber auch, um darauf hinzuwirken, dass Gesetzestexte so geändert werden, dass sie den Schutz für Trans*-Leute klar zum Ausdruck bringen.

Spielen Trans*-Themen in der Europawahl und in den Wahlprogrammen der Parteien eigentlich eine Rolle?

Der europäische LGBTI-Verband ILGA Europe hat mit seiner „Come out 2014 European Election Pledge“ zehn Kernforderungen an die EU-Politik formuliert, darunter auch zu Trans*-Themen. Mittlerweile haben schon über eintausend Kandidatinnen und Kandidaten zur Europawahl unterschrieben und sich damit verpflichtet, sich für diese Themen nach der Wahl einzusetzen.

LGBT-Themen im Europa-Wahlkampf

Lässt sich bei den Parteien eine Tendenz erkennen?

Die Kandidatinnen und Kandidaten der liberalen, sozialdemokratischen und grün-alternativen Fraktionen haben sich allesamt dafür ausgesprochen, dass sich der demnächst neu zu bestimmende Kommissar für Grundrechte explizit auch um LGBT- und Trans*-Themen kümmern muss. Die Sozialdemokraten haben in ihrem Wahlprogramm explizit den Kampf gegen Transphobie aufgenommen. Die europäischen Grünen wenden sich in ihrem Manifest gegen Diskriminierung aufgrund der geschlechtlichen Identität.

Transgender Europe unterstützt dieses Wahlversprechen der Europawahl-Kandidaten. Darüber hinaus versuchen wir, die Menschen zum Wählen zu motivieren. Denn es gibt durchaus trans*-relevante Themen, die durch die Europawahl mitentscheiden und bewegt werden.

TGEU macht Lobbyarbeit in der Europäischen Kommission
TGEU macht Lobbyarbeit in der Europäischen Kommission

Auf welchen Ebenen versucht die TGEU, auch jenseits der Europawahl die Trans*-Rechte voranzubringen?

Wir sind da recht breit aufgestellt. So unterstützen wir europaweit die Arbeit nationaler Trans*-Organisationen, etwa durch Materialien oder Trainings. Darüber hinaus vertreten wir Forderungen der Trans*-Community auf europäischer Ebene: in Straßburg in verschiedensten Gremien des Europarats und in Brüssel unter anderem bei der Europäischen Kommission, im Europäischen Parlament, in den Ausschüssen und auch im europäischen Zusammenschluss der Gleichstellungsbehörden EQUINET.

Transgender Europe hat seit 2014 erstmals eine feste Büroadresse in Berlin.

Vorher hatten wir tatsächlich alle von zu Hause aus gearbeitet. Zum ersten Mal in den knapp zehn Jahren unserer Existenz haben wir nun eigene Büroräume mit mittlerweile sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Möglich wurde das, weil wir Anfang 2014 erstmals eine größere Fördersumme durch die EU bekommen haben. Durch unsere jahrelange Arbeit ist es uns gelungen, überhaupt erst einmal ein politisches Bewusstsein für Trans*-Themen in den EU-Institutionen zu schaffen.

 

Weitere Informationen zum Thema (in Englisch):

Internetseite von Transgender Europe

Internetseite ILGA Europe und die „Come out 2014 European Election Pledge“

Forschungsprojekt Transrespect versus Transphobia Worldwide

 

 

 

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„Von Regelversorgung kann hier keine Rede sein“

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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