HIV-Positive erleben im Gesundheitswesen Diskriminierungen der unterschiedlichsten Art. Sich dagegen zu wehren, ist wichtig, aber nicht immer einfach.

(Dieser Beitrag erschien erstmals im life+MAGAZIN der Deutschen AIDS-Hilfe zu den Positiven Begegnungen 2014 in Kassel.)

„Wie würden Sie entscheiden?“ Wer über 45 kennt sie nicht, die Sendung aus den Siebzigern, in der dem deutschen Fernsehpublikum jeweils ein Fall vorgestellt wurde, über den es urteilen sollte. Der Originaleinspieler dieser Sendung fand denn auch Verwendung in der Selbsthilfekonferenz „Positive Begegnungen“ 2014 in Kassel. Dort wurde im Workshop „Ich will den ersten Termin um 7.00 Uhr früh!“ das „Publikum“ aufgefordert, sich zu folgendem Fall zu äußern:

Einem HIV-positiven Mann wurde in einer Reha-Einrichtung der Zutritt zum Schwimmbad verweigert. Der behandelnde Arzt, angeblich besorgt um die Gesundheit des Mannes, argumentierte, dieser könne sich mit Vaginalpilzen von Mitpatientinnen anstecken. Der Rehabilitand beschwerte sich bei der Klinikleitung, die jedoch der Entscheidung des Arztes folgte. Und wie entschied das Workshop-Publikum? Natürlich anders, als in der Realität erfolgt: Der Mann erhielt ersatzweise eine Freikarte fürs städtische Thermalbad.

Der vorgestellte Fall machte wieder einmal deutlich, mit welch absurden Argumenten Patienten die Inanspruchnahme von Leistungen verweigert wird. Neben irrationalen Infektionsängsten und abwegigen Vorstellungen von Übertragungswegen wird immer wieder auch der Schutz der Gesundheit von HIV-Positiven ins Feld geführt. Sich gegen eine solche Erklärung zu wehren, ist allerdings noch viel schwerer.

Viele Menschen mit HIV haben Diskriminierung im Gesundheitswesen erlebt und im Lauf der Zeit ihre ganz eigenen Strategien entwickelt, sich zu wappnen und zu wehren. Manche nehmen zum Facharztbesuch einfach eine Broschüre mit, beispielsweise „Keine Angst vor HIV! Informationen für medizinisches und pflegerisches Personal“ von der Deutschen AIDS-Hilfe. Andere machen die HIV-Infektion erst gar nicht zum Thema, um Diskriminierungen vorzubeugen. Das setzt aber voraus, dass HIV-Schwerpunktärzt_innen die Infektion auf dem Überweisungsformular nicht vermerken.

Man muss zu seiner Infektion stehen, um auf seine Rechte pochen zu können

„Es wäre schön, wenn es einfach ganz normal wäre, mit HIV auch zu anderen Ärzten zu gehen“ – in diesem Satz spiegelt sich der Wunsch nach einem stressfreien Arzt-Patient-Verhältnis. Und es gibt verschiedene, auch strukturelle Hürden, die Menschen daran hindern, sich zu wehren und auf ihre Rechte zu bestehen. Ein zentraler Punkt dabei ist, wie offen der oder die Einzelne mit der eigenen HIV-Infektion umgeht.

Sich beschweren heißt immer, seine HIV-Infektion offenzulegen, sei es am Empfangstresen in der Facharztpraxis, gegenüber Pflegekräften im Krankenhaus oder bei der Klinikleitung. Man muss zu seiner Infektion stehen, um auf seine Rechte pochen zu können. Und es ist nicht leicht, sich gegen Ärzte zu stellen, die im Gesundheitswesen eine privilegierte Stellung haben und sich als die alleinigen Experten verstehen.

Von Vorteil sind Fachwissen und Selbstbewusstsein, wichtig ist Unterstützung

In Diskussionen mit Medizinerinnen und Medizinern kann es dann passieren, dass sie ihre Vorurteile und Moralvorstellungen hinter Fachwissen und Vorschriften verstecken. Da sind eigene Kenntnisse, ein gutes Standing und ein stabiles Selbstbewusstsein in jedem Fall von Vorteil.

Die immer wieder reproduzierte Hierarchie belastet das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient – und hält Menschen davon ab, sich zu beschweren. Hinderlich ist zudem, dass Beschwerdewege nicht transparent gemacht werden und man nie weiß, ob sich der Aufwand überhaupt lohnt und sich irgendetwas verändern wird.

In jedem Fall ist es gut zu wissen, an wen man bei Diskriminierung im Medizinsystem eine Beschwerde richten kann: an die Ärztekammern und die kassenärztlichen Vereinigungen, an Patientenbeauftragte und selbstverständlich auch an die Krankenkassen, die ihre Versicherten unterstützen müssen. Wichtig ist vor allem die Unterstützung durch Freunde und andere Menschen mit HIV, aber auch durch Beratungsstellen wie die Aidshilfen oder die „Kontaktstelle zu HIV-bezogener Diskriminierung“ der Deutschen AIDS-Hilfe. Den eigenen Schwerpunktarzt mit ins Boot zu holen und damit einen Unterstützer aus dem System zu haben, kann hilfreich und entlastend sein.

Als Experte in eigener Sache aktiv werden

Neben den individuellen Strategien werden auch strukturelle Ansätze verfolgt. Die bei den Positiven Begegnungen 2012 festgelegte Themenwerkstatt „Abbau von Diskriminierung im Gesundheitswesen“ hat ein Schulungskonzept für Pflegekräfte entwickelt, das es ihnen ermöglichen soll, ihre Ängste in Bezug auf Menschen mit HIV zu äußern, ihr Verhalten zu reflektieren und Alternativen für den Berufsalltag zu entwickeln.

Das Konzept sieht vor, dass Menschen mit HIV gemeinsam mit den Aidshilfen vor Ort medizinisches Personal schulen. Fit gemacht für ihre Aufgabe werden die künftigen Trainer_innen in Schulungen der Deutschen AIDS-Hilfe. Menschen mit HIV bietet sich somit die Chance, selbst aktiv zu werden und sich als „Experten in eigener Sache“ einzubringen, um so zum Abbau von Diskriminierung im Medizinsystem beizutragen.

Kerstin Mörsch

 

Zurück

„Die PrEP kann ein weiterer Baustein der Präventionsarbeit sein“

Weiter

„Für viele ein großer dunkler See“

Über

Gastbeitrag

Gastautor_innen schreiben für magazin.hiv

1 Kommentar

  1. Bin Ihrer Meinung und habe es auch immer so gehandelt.
    Bei notwendigen Eingriffen fand ich dann auch immer Behandler.
    Probleme tauchen dann allerdings bei ästhetischen Eingriffen oder Zahnimplantaten auf. Die kann ich als Mensch mit HIV nicht einfordern.
    Was soll ich tun? Hausieren gehen? Oder dann doch lieber HIV verschweigen?
    Ich bin nicht mehr infektiös, und ich hätte kein Problem mit verschweigen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

24 + = 32

Das könnte dich auch interessieren