Sexualität spielt auch im Knast eine große Rolle, kann dort aber nicht so ausgelebt werden wie „draußen“. Das erschwert unter Umständen auch die Resozialisierung. Wir haben mit dem Psychologen und Haftexperten Marcus Behrens gesprochen.

Herr Behrens, ist Sexualität ein Thema im Knast?

Sexualität ist in Haft allgegenwärtig. Sobald man durch eine Station läuft, sieht man überall pornografische Abbildungen, die sich Inhaftierte an ihre Zellentür gehängt haben. Die zeigen selbstverständlich immer Frauen, keine Männer. Sexualität liegt also in der Luft, es ist aber ähnlich wie draußen: Es wird wenig darüber gesprochen – im Sinne von: Wie geht es mir eigentlich mit meinem Sexualleben? Das wird eher klischeeartig behandelt.

Ist die Sexualität der Gefangenen auch ein Thema für den Justizvollzug?

Ja, indirekt, zum Beispiel wenn es um die Prognose geht oder wenn Lockerungen anstehen. Denn sollte eine Partnerin draußen warten, wird der Gefangene als weniger fluchtverdächtig gesehen. Wobei das ja nicht heißen muss, dass die Beziehung gut läuft und der soziale Empfangsraum auch wirklich schön ist. Da will der Vollzug dem Gefangen aber nicht zu nahe treten, und deshalb wird bei diesem Thema nicht in die Tiefe gegangen.

Langzeitbesuchsräume mit Bett und Kochecke

Tut der Vollzug denn etwas dafür, um die Beziehung zur Partnerin draußen zu unterstützen?

Aus meiner Sicht immer noch viel zu wenig. Es gibt Sommer- und Grillfeste, zu denen die Angehörigen eingeladen werden, aber das ist relativ selten. Dann gibt es noch die sogenannten Langzeitsprecher. Das heißt, Inhaftierte, die eine schon länger dauernde Beziehung haben, können sich – ohne dass ein Bediensteter dabei ist – mit ihrer Partnerin in eine speziell ausgestattete Zelle zurückziehen. Dort kann man auch kochen, es gibt ein Bett, und die beiden können für mehrere Stunden relativ ungestört zusammen sein.

Wie verbreitet ist das, ist das Standard?

Das gibt es in den eher progressiveren Justizvollzugsanstalten. Und nur einer kleinen Menge von Gefangenen steht das wirklich zur Verfügung. In Berlin-Tegel zum Beispiel gibt es nur eine Zelle für Langzeitsprecher. Das ist ziemlich wenig, wenn man von 900 Gefangenen ausgeht.

„Die meisten haben nur mit sich selber Sex“

Unabhängig davon, gibt es Raum für Sex in Haft? Wie wird er dort gelebt?

Die meisten Inhaftierten haben nur mit sich selber Sex. Ansonsten gibt es ganz verschiedene Konstellationen. Natürlich entwickeln sich auch Liebesbeziehungen zwischen schwulen Männern, und mitunter passiert es auch mal, dass ein Gefangener mit einer oder einem Bediensteten anbändelt. Und man kennt ja diesen Begriff „knastschwul“, mit dem manchmal Männer bezeichnet werden, die heterosexuell sind, im Knast dann aber Sex mit Männern haben. Mit diesem Begriff habe ich allerdings so meine Probleme, denn hierbei handelt es sich lediglich um den Versuch, Sexualität unter den Bedingungen der Haft irgendwie unterzubringen. Um schwul zu sein, gehört mehr dazu als das bloße Sexuelle. Diese Beziehungen jedenfalls sind oft nicht ganz unproblematisch.

Inwiefern?

Für schwule Männer besteht bei solchen reinen Sexbeziehungen die Gefahr, sich ausnutzen zu lassen. Manche entwickeln dann tatsächlich die Idee, sie hätten eine Beziehung mit jemandem, die auf einer gewissen persönlichen Nähe beruht. Da kann man sich schnell mal in ein emotionales Niemandsland verirren, was zu großen Schmerzen führen kann.

In Bayern ist Sex zwischen Gefangenen unerwünscht

Und die heterosexuellen Männer, wie ist das für die?

Ich stelle es mir für sie extrem schwierig vor, denn irgendwie muss man das ja mit sich abmachen. Ich habe schon oft gehört, dass aus so einem Moment ein ganz spannungsgeladenes Verhältnis entstanden ist. Der schwule Mann weiß dann über den Heterosexuellen etwas, das für diesen in der Knastumgebung eine große Brisanz haben kann. Deshalb muss sich der schwule Part gut überlegen, wie er hinterher damit umgeht. Ich kenne einen, dem wurde der Arm gebrochen, nachdem klar war, was da gelaufen ist, und der Heterosexuelle befürchtete, dass es seinem Ansehen schaden könnte, wenn es publik wird.

Ist Sex in Haft eigentlich erlaubt? Und was passiert, wenn man beim Sex erwischt wird?

Sex ist in Haft nicht untersagt, die Bediensteten können da nichts machen. Ich habe noch nie gehört, dass ein Bediensteter dazwischengegangen wäre. In Bayern allerdings gibt es tatsächlich eine Verwaltungsvorschrift, die besagt, dass sexuelle Handlungen zwischen Gefangenen nicht erwünscht sind. Ich weiß zwar nicht, wie sie es dort letztlich handhaben, aber ich finde es schon absurd, dass sie der Meinung sind, sie könnten Sex irgendwie verhindern oder verbieten.

Wie kommen Inhaftierte an Kondome?

Das ist von Anstalt zu Anstalt unterschiedlich. In Bayern gibt es in manchen JVAs gar keine Kondome. Hier in Berlin bekommt man sie zwar beim medizinischen Dienst, dort müssen die Gefangenen aber immer klingeln und fragen. Manchmal haben auch Gruppenleiter eine Schüssel mit Kondomen auf dem Tisch stehen. Aber es fehlt eine ganz niedrigschwellige Methode, bei der die Gefangenen schnell mal im Vorbeilaufen unbemerkt an ein Gummi kommen.

„Es muss schnell gehen, denn man will ja nicht erwischt werden“

Grundsätzlich wird an Kondome aber noch eher gedacht, Gleitgel hingegen wird häufig vergessen – und das ist eine Katastrophe, denn ohne Gleitgel benutzen die Männer Butter oder andere verfügbare Ersatzmittel, was das Kondom beim Sex zum Platzen bringen kann.

Marcus Behrens (Bild: privat)
Marcus Behrens (Bild: privat)

Nun ist das Gefängnis vielleicht auch nicht der ideale Ort, um beim Sex auf Schutz zu achten.

Klar, weil Sex häufig zwischen Tür und Angel passiert, wird dort noch eher auf das Kondom verzichtet. Es muss schnell gehen, denn man will ja nicht erwischt werden, und das Gefängnis bietet in der Regel nicht das emanzipierte Umfeld, in dem man sagen kann „ich will mal eben in Ruhe meinen Mann auf der Zelle treffen“. Hinzu kommt, dass das Wissen über Infektionsrisiken und Schutz bei Gefangenen eher gering ausgeprägt ist. Im Gefängnis sitzen häufig Männer mit einem nicht so hohen Bildungsstand.

Was sagen Sie Leuten, die der Auffassung sind, Sex sei Luxus und Vergnügen, und das sollte man Straftätern nicht ermöglichen?

Wenn man einigen Medien folgt, dann müsste es heißen: Schlüssel wegwerfen und fertig. Aber unser Strafvollzugssystem ist ja darauf ausgerichtet, Straftäter zu resozialisieren. Sexualität stellt eine gewisse Grundlage dar, um Nähe und Bindungen aufzubauen. Wenn man jemandem näherkommen will, dann ist das auch etwas Sexuelles. Sexualität umfasst ja nicht nur das bloße Rein-raus-Spiel, das Grobsexuelle, sondern auch das feine sexualisierte Vorher. Wenn man das nicht mehr leben kann, dann muss man sich fragen, was das für Auswirkungen auf die Bindungs- und Beziehungsfähigkeit eines Menschen hat.

„Funktionierende Beziehungen befördern die Resozialisierung maßgeblich“

Welche Auswirkungen kann es denn haben?

Wenn Männer fünf, sechs Jahre im Gefängnis sitzen und nur die Möglichkeit haben, durch Masturbation Sexualität auszuleben, dann kann es sein, dass es ihnen nach der Entlassung sehr schwerfällt, mit dem Gegenüber einen Interessenausgleich beim Thema Sex zu finden. Denn auf einmal findet Sex nicht nur in der Fantasie statt, in der die Partnerin oder der Partner alles toll findet. Sondern man muss sich mit einem realen Menschen auseinandersetzen, der Ansprüche formuliert. Für die Beziehung kann das zu einem erheblichen Problem werden. Aus meiner Sicht muss da wirklich etwas getan werden, denn man weiß, dass funktionierende Beziehungen die Resozialisierung maßgeblich befördern.

Gibt es Ideen, um Beziehungen auch in dieser Hinsicht zu unterstützen?

Sprechstunden für Paare bei einem Therapeuten im Vollzug wären zum Beispiel denkbar. Aus Nordrhein-Westfalen habe ich gehört, dass es dort entsprechende Angebote gibt. Und, ich glaube, es war Dänemark, wo es auch die Möglichkeit des Familienvollzugs gibt. Das heißt, wenn die Frau möchte, kann sie mit dem Inhaftierten in einem gewissen Rahmen eine Woche gemeinsam im Vollzug verbringen.

Wenn das die Medien der Marke „Schlüssel wegwerfen“ mitkriegen!

Auch die müssen bedenken, es geht hier nicht nur um die Person hinter Gittern, sondern auch um Familien. Ich glaube, da müssen wir uns von bestimmten Blockaden lösen, auch wenn es dann wieder den Aufschrei gibt, warum man Straftätern solche Vergnügungen zugesteht. Irgendwann werden diese Menschen wieder entlassen. Und ja, auch sie haben ein Recht auf Vergnügen, und schön wäre es doch, wenn sie sogar so viel Vergnügen hätten, dass sie nicht auf die Idee kommen, erneut straffällig zu werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Christina Laußmann

Marcus Behrens ist Psychologe und seit 20 Jahren in der Haftarbeit tätig. Im dem Berliner Beratungs- und Informationszentrum für schwule Männer „Mann-O-Meter“ leitet er die „AG Haft“, einen Zusammenschluss von Mitarbeitern, die schwule und bisexuelle Inhaftierte in Berliner Justizvollzugsanstalten betreuen. Er ist außerdem Mitglied im Berliner Vollzugsbeirat und Mitherausgeber des Handbuchs „Gesundheit und Haft“.

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Über

Christina Laußmann

Christina Laußmann hat Kulturwissenschaft, Medienwissenschaft und Neuere deutsche Philologie an der Humboldt-Universität und Technischen Universität Berlin studiert. Seit 2013 arbeitet sie als Autorin und Lektorin bei der Deutschen Aidshilfe.

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