Die sechsteilige Dokumentarserie „Pride“ ist mehr als nur eine Reise durch die Geschichte der LGBTIQ*-Bewegung in den USA. Sie verweist auch auf wenig bekannte Aspekte, und was daraus für den heutigen Kampf um Rechte gelernt werden kann.

Serie Pride © Disney+

Schlicht „Pride“ ist diese Serie betitelt. Doch worauf basiert eigentlich der Stolz von LGBTIQ*? Und welche Wege waren zu gehen, welche Kämpfe waren zu bestehen, bis das Schwenken der Regenbogenfahne zu einem Zeichen des Selbstbewusstseins und der Selbstbehauptung werden konnte?

Diesen Fragen unter anderem geht die sechsteilige US-Dokumentarserie nach, die jetzt auch in Deutschland beim Streamingdienst Disney+ zu sehen ist. Jede Episode mit einer Länge von rund 45 Minuten widmet sich einem Jahrzehnt, Beginnend mit den 1950er-Jahren, als es in der McCarthy-Ära zu Massenentlassungen von homosexuellen Staatsbediensteten kam, bis in die 2000er-Jahre, in denen LGBTIQ* wachsende Akzeptanz und eine diverse Darstellung in den Medien erfahren.

Doch „Pride“ ist alles andere als eine chronologische, an Daten und Ereignissen orientierte Geschichtsstunde zur Geschichte der LGBTIQ*-Bewegung in den USA. Die renommierte und engagierte Filmproduzentin Christine Vachon („Carol“, „Boys Don’t Cry“, „Dem Himmel so fern“), die seit den 1990er-Jahren innovative queere Filme ermöglicht, hat auch hier auf neue und individuelle Formen gesetzt: Die Episoden wurden von verschiedenen Filmemacher*innen verantwortet, die allesamt auch volle künstlerische Freiheit erhielten.

Mitreißende Hommage an die LGBTIQ*-Emanzipationsbewegung

Ihr sei es wichtig gewesen, die Geschichte auf eine Art und Weise zu erzählen, die genauso chaotisch und persönlich ist, wie die Geschichte nun einmal war. Wenn es an dokumentarischem Material fehlt, behilft man sich schon mal mit Animationen, Zeichnungen, mit nachgespielten Szenen oder lässt wie Yance Ford in der Episode über die 1990er-Jahre, queere Menschen von heute homosexuellenfeindliche Politikerreden rezitieren.

Bereits 1965 gab es LGBTIQ*-Proteste

Weitaus entscheidender aber ist, dass sich die Regisseur*innen ganz individuelle Schwerpunkte setzen und dafür bislang in der allgemeinen queeren Geschichtsschreibung eher weniger beachtete Aspekte in den Vordergrund rücken. Der legendäre Aufstand in der Christopher Street 1969 etwa gerät fast zur Randnotiz, denn „Stonewall“ war nicht der Anfang der LGBTIQ*-Bewegung in den USA.

So gab es beispielsweise bereits 1965 in Philadelphia und im Jahr darauf in San Francisco vergleichbare Proteste, nur wurden diese nicht dokumentiert und in den Medien nicht vermeldet.

Felicia Elizondo
Die HIV-und Trans*-Aktivistin Felicia „Flames“ Elizondo setzte sich insbesondere für die Rechte von Schwarzen LGBTIQ* ein. © Disney+

„Stonewall“ war nicht der Anfang der LGBTIQ*-Bewegung in den USA

Und noch etwas macht „Pride“ deutlich: Diese Frühphase der LGBTIQ*-Bürgerrechtsbewegung war vor allem ein Protest von Schwarzen Aktivist*innen, viele von ihnen trans* Personen, die sich von der Black-Power-Bewegung hatten inspirieren lassen. Aus dem Slogan „Black ist beautiful“ wurde kurzerhand „Gay is good“.

So unterschiedlich die sechs Episoden auch sind, auf eines haben sich die Macher*innen geeignet: Sie erzählen Geschichte vor allem über persönliche Geschichten. Dabei greifen sie auf zum Teil außergewöhnliches Material aus Privatarchiven zurück und lassen Zeitzeug*innen zu Wort kommen.

Mit persönlichen Geschichten Geschichte erzählen

In der vom Filmemacher Tom Kalin („Wilde Unschuld“, „Swoon“) verantworteten Episode zu den 1950er-Jahren etwa stehen die privaten Fotos und Super8-Aufnahmen eines schwulen Paares von ihren ausgelassenen Privatpartys und Strandausflügen einem beispielhaften Fall gegenüber, der zeigt wie in der McCarthy-Ära Homosexuelle massenhaft aus dem öffentlichen Dienst entlassen wurden.  Der Fotograf Arthur Tress erzählt, wie seine lesbische Schwester Madeleine sich dagegen wehrte. (Bild: Disney+)

Ein schier endloser Schatz eines Amateurfilmers liefert wiederum einen authentischen Blick in die Clubszene im New York der 80er-Jahre, unter anderem mit Aufnahmen von RuPaul – lange bevor er zur weltberühmten Drag-Ikone wurde.

Die afroamerikanische Schauspielerin und Regisseurin Cheryl Dunye porträtiert in der Folge über die 70er-Jahre ihre beiden persönlichen Heldinnen – die Filmemacherin Barbara Hammer und die Dichterin Audre Lorde. Sie stehen beispielhaft nicht nur für eine wachsende Selbstermächtigung und für die Sichtbarkeit von LGBTIQ*, sondern auch für die Entwicklung eines intersektionalen Feminismus.

Fotograf Arthur Tress erinnert an seine lesbische Schwester Madeleine, die wegen ihres Lesbischseins ihren Job im Handelsministerium verlor. © Disney+

Erst durch Bündnisse werden politische und gesellschaftliche Veränderungen möglich

Ohnehin zeigt „Pride“, dass erst durch die Bündnisse der verschiedenen Gruppen wie der Black und trans* Community, der Frauenbewegung oder der Aids-Aktivist*innen sowie durch die Solidarität untereinander politische und gesellschaftliche Veränderungen möglich wurden.

Viele dieser Konflikte, die in „Pride“ Erwähnung finden, mögen zwar sehr US-spezifisch sein, wie etwa der Kulturkampf gegen queere Kunst Mitte der 1990er-Jahre, der von rechten und christlichen Fundamentalist*innen zu einer nationalen Überlebensfrage stilisiert wurde. Doch wenn man heute auf die Entwicklungen etwa in Polen und Ungarn blickt oder sich manche Äußerungen im rechtskonservativen Lager in Deutschland in Erinnerung ruft, wird deutlich, wie diese Form des Kulturkampfes längst auch in Europa bedrohliche Ausmaße angenommen hat.

Jahrzehnte des Aufbruchs

Die beiden letzten Episoden über die 1990er- und 2000er-Jahre schildern schließlich Jahrzehnte des Aufbruchs. Berührend etwa das Porträt des Männerpaares Robert Compton und David Wilson, das sich das Recht auf Ehe erstritt und damit einen wichtigen Meilenstein zur Gleichberechtigung setzte.

Und natürlich bleibt auch die wachsende mediale Repräsentation von LGBTIQ* im Showbusiness, in Filmen und Fernsehserien nicht unerwähnt. Doch die beiden jungen trans* bzw. nicht-binären Regisseur*innen Yance Ford und Ro Haber nutzen die Gelegenheit, dezidiert der auch in der queeren Szene noch marginalisierten Schwarzen trans* Community eine Stimme zu geben.

Mit Bildern von „Black Trans Lives Matter“-Demonstrationen thematisiert „Pride“ eine der gegenwärtigen Debatten und mit dem Schwarzen Schauspieler Marquise Vilson ist ein charismatischer und beeindruckender Protagonist kennenzulernen.

Befreiend und überlebenswichtig

Er erzählt unter anderem davon, wie befreiend und überlebenswichtig es für ihn war, dass er in der New Yorker Ballroom-Szene nicht nur eine Gemeinschaft, sondern auch eine Heimat gefunden hatte. Erst dadurch war es ihm möglich, seine maskuline Identität zu leben und sich – mittlerweile längst ein erfolgreicher Fernseh-und Kinostar – auch öffentlich als trans* Mann zu outen. Dazu brauchte es nicht nur Mut, sondern eben auch queeren Stolz.

Alle sechs Folgen der Dokuserie „Pride“ sind bei Disney+ im Stream verfügbar.

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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