Christoph, 32, findet: Die richtige Safer-Sex-Strategie hängt von den beteiligten Menschen und der Situation ab. Bei ihm schützt seine HIV-Therapie auch seine Partner – auf Kondome verzichtet er oft. Ein Gespräch über Lernprozesse, Vertrauen und die Tatsache, dass man Kondome sehen und anfassen kann

Christoph, du wurdest schon 2005, mit 19 Jahren, HIV-positiv getestet. Seit wann nutzt du „Schutz durch Therapie“? Von Anfang an?

Nein, die Veröffentlichung der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen, das sogenannte EKAF-Statement, kam ja erst 2008. In dieser Veröffentlichung wurde zum ersten Mal öffentlich gesagt: Wenn ein HIV-Positiver gut therapiert ist, dann ist HIV sexuell nicht mehr übertragbar. Bis dahin gab es für mich keinerlei Verbindung zwischen meiner Therapie und dem Schutz meiner Partner. Ich nahm Tabletten und hatte Sex mit Kondom.

„Bis zum EKAF-Statement 2008 gab es für mich keine Verbindung zwischen meiner Therapie und dem Schutz meiner Partner.“

Hat EKAF das schlagartig verändert?

Für mich nicht. Ich habe erst ein Jahr später von dem Statement erfahren. Es wurde am Anfang nicht besonders breit darüber gesprochen.

Hat dir dein Arzt nicht davon erzählt?

Nein. Wie bei allem medizinisch Neuen waren Ärzte da anfangs wahrscheinlich vorsichtig, oder sie glaubten es vielleicht auch einfach selber noch nicht. Was nur menschlich ist.

Hast du es denn geglaubt?

Ich dachte: Ist ja eigentlich logisch. HIV ist nicht mehr nachweisbar, also habe ich wahrscheinlich tatsächlich nicht mehr genug Viren für eine Übertragung im Blut.

Hast du ab diesem Moment denn immer auf Kondome verzichtet?

Nein. Ich habe überhaupt kein Problem damit, ein Kondom zu benutzen, wenn ein Partner das möchte – sei das wegen HIV oder wegen anderer Infektionen. Wir können ja trotzdem jede Menge Spaß haben.

Wie hat sich das erste Mal ohne Kondom damals angefühlt?

Das weiß ich noch wie heute: Es war ganz merkwürdig. Ich bin damit großgeworden, dass Schutz vor HIV gleichbedeutend war mit Kondomen. Jetzt war da plötzlich nichts mehr. Und du musstest einfach darauf vertrauen, dass es funktionierte. Was nicht allen sofort gelingt. Ein Exfreund von mir, der sich gut mit HIV auskennt, konnte für eine Weile trotzdem nicht auf das Kondom verzichten. Er brauchte diesen sichtbaren und spürbaren Schutz, um sich fallen lassen zu können.

„Das erste Mal ohne Kondom war ganz merkwürdig.“

Wie habt ihr dieses Problem gelöst?

Das hat sich irgendwann von selber gelöst. Wissen braucht eine Weile, bevor es verinnerlicht wird und wenn das passiert ist, entspannen sich alle Beteiligten.

Hast du dir selbst am Anfang noch Sorgen darüber gemacht, dass du jemanden mit HIV infizieren könntest?

Ja, diese Momente gab es. Ein anderer Ex von mir wollte gerne ohne Gummi Sex haben, und dabei habe ich mich am Anfang komisch gefühlt. Du liebst diesen Menschen ja und willst ihn keiner Gefahr aussetzen. Ich bin über diese Bedenken aber irgendwann hinwegkommen.

2017 ist Schutz durch Therapie längst normal für dich und du pflegst offensichtlich einen entspannten Umgang damit. Manche Menschen stehen dem aber sehr kritisch gegenüber, oder?

Die Reaktionen sind tatsächlich öfter mal anstrengend. Oft kommen Einwände wie: Was ist denn dann mit Tripper oder Syphilis?

Aber die kann man ja auch kriegen, wenn man Sex mit Kondom hat. Zum Beispiel einen Tripper beim Blowjob oder eine Syphilis sogar beim Knutschen, wenn’s blöd läuft. Wer war in dieser Hinsicht je hundertprozentig safe? Bläst irgendwer mit Gummi oder legt Frischhaltefolie über den Arsch, bevor er jemanden leckt? Da muss man dann schon über real existierenden Sex reden. Wichtig finde ich deshalb, sich regelmäßig checken zu lassen, denn die Krankheiten sind ja gut behandelbar.

Wie vermittelst du anderen, dass Schutz vor HIV durch die Therapie gut funktioniert?

Ich erzähle von mir, aber unterlege das mit den wissenschaftlichen Ergebnissen zum Thema. Inzwischen belegen ja viele Studien und die jahrelange Praxis hunderttausender Menschen, dass unter gut wirksamer Therapie keine sexuelle Übertragung stattfindet. Wenn man Anwendungsfehler bei Kondomen statistisch einbezieht, ist Schutz durch Therapie das Sicherste, was wir haben.

Stimmt es, dass du es mit diesen Erklärungen bei Jüngeren einfacher hast?

Ja. Menschen, die so alt sind wie ich oder älter, haben über viele, viele Jahre gehört: Nimm ein Gummi, sonst infizierst du dich, bekommst Aids und stirbst. Dieses Bild ist einfach sehr stark und mächtig und tief verankert im Kopf. Und noch mal: Das Kondom ist ja auch super dafür, jemandem das Gefühl zu vermitteln: Ich tue hier aktiv etwas, um mich vor Eventualitäten zu schützen. Und diesen Schutz kann ich sehen und riechen und anfassen. Bei Schutz durch Therapie ist das anders: Wenn ich mit einem Negativen ohne Kondom Sex habe, muss der mir vertrauen, was gerade bei spontanen Kisten nicht immer einfach ist.

„Durch die PrEP gibt es jetzt einen Gleichstand beim Thema Schutz durch Pillen.“

Oder er nimmt die PrEP.

Ja, so weit sind wir inzwischen. Diese Möglichkeit gibt es auch. Also gibt es eigentlich einen Gleichstand beim Thema Schutz durch Pillen, wo es bislang den Positiven überlassen war, diese Möglichkeit zu ergreifen. Aber genauso, wie sich Schutz durch Therapie erst etablieren musste, wird die PrEP das jetzt auch müssen. PrEP-User werden ja oft noch als „Schlampen“ stigmatisiert.

Sehr persönliche Frage: Ist Sex ohne Gummi schöner oder besser als mit?

Das würde ich so pauschal nicht sagen. Sex ist dann gut, wenn sich alle Beteiligten fallen lassen können und die Situation genießen. Welche Art von Schutz sie dafür brauchen, können sie selber entscheiden. Zu geilem Sex gehören der passende Typ, die passende Situation und die dazu passende Safer-Sex-Methode. Dann passt alles.

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