In Russland sagt man in der Öffentlichkeit besser nichts Positives über Homosexualität. Auch aus anderen osteuropäischen Staaten hört man immer mehr Nachrichten von Gesetzen und Gewalt gegen Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle. Was ist da los? Ein Beitrag zum Internationalen Tag gegen Homophobie am 17.5. Von Rainer Hörmann

Spezialkräfte-Einheit Omon
Rückwärts lesen verboten: Russische Spezialkräfte schlagen auf Demos zu. Foto: Flickr-User Lazyoldsun

Auf einem Plakat hat man dem Komponisten Pjotr Tschaikowski einen grünlichen Balken über den Mund montiert. Daneben steht in russischer Sprache ein Zitat aus einem Brief des Komponisten: „Ich bin verliebt wie schon lange nicht mehr. Rate mal, wer es ist. Er hat durchschnittliche Größe, blonde Haare, braune Augen.“

Tschaikowskis Konterfei und die Anspielung auf dessen Homosexualität gehören zu einer Kampagne, mit der die Gruppe „Coming out“ in St. Petersburg gegen ein Ende Februar erlassenes Gesetz protestiert. Es stellt – wie ähnliche Gesetze in den russischen Städten Archangelsk und Rjasan –„homosexuelle Propaganda“ unter Strafe und belegt Zuwiderhandlung mit Bußgeldern – angeblich zum Schutz von Minderjährigen.

„Homosexualität ist keine Perversion“ kostet 130 Euro

Seit es das Gesetz gibt, kam es bereits zu zahlreichen Verhaftungen: So am 7. April, als Igor Kochetkow und ein Mitstreiter von „Coming out“ in der Öffentlichkeit Schilder mit der Forderung trugen, Hassverbrechen gegen Schwule und Lesben nicht länger zu verschweigen, oder am 1. Mai, als 17 Demonstranten nichts weiter taten, als die Regenbogenflaggen zu zeigen. Die Verhafteten wurden nach kurzer Zeit wieder freigelassen. Verurteilt wurde der international bekannte Aktivist Nikolai Alexejew: Er muss 130 Euro Strafe zahlen für das Zeigen eines Plakates mit der Aufschrift „Homosexualität ist keine Perversion“.

Tschaikowski
Maulkorb für einen berühmten Komponisten: Pjotr Iljitsch Tschaikowski. Foto: Coming Out

Die Vorgänge in St. Petersburg haben international Kritik hervorgerufen, zumal der russischen Duma ein Gesetzentwurf vorliegt, nach dem das Verbot, positiv über Homosexualität zu reden, landesweit gelten soll. Die Geschehnisse in Russland sind dabei Teil einer Entwicklung in vielen osteuropäischen Ländern. Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck sieht sie als einen „Rollback“, der die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT) gefährde.

Homosexualität ist erlaubt – das Reden darüber nicht!

Beispiel 2: die Ukraine. Wie auch in Russland steht Homosexualität selbst hier nicht unter Strafe. Schwule und lesbische Fans, die dort im Juni die Fußball-Europameisterschaft besuchen, gehen trotzdem erhebliche Risiken ein, wie kürzlich auf der internationalen Konferenz „Queer in (Ost)europa“ in Hamburg deutlich wurde.

Ein Journalist predigt „Liebe gegen Homosexualität“

Eingeladen hatte der „Queer Football Fanclub“ (QFF), ein Netzwerk europäischer schwul-lesbischer Fußball-Fanklubs. Alla Oliynik aus Kiew berichtete von einer
Zunahme homosexuellenfeindlicher Tendenzen in seinem Land, und davon, dass die Organisatoren es nicht wagten, für ein schwul-lesbisches Fußballturnier auch nur Handzettel zu verteilen.

Für ein repressives Klima sorgen nicht nur homophobe und gewaltbereite Fußballfans, sondern auch Journalisten wie Ruslan Kukharchuk, der schon seit Jahren mit eine Kampagne „Liebe gegen Homosexualität“ öffentlichkeitswirksam gegen „schwulen Lebensstil“ agiert. Dieser verbreite nicht nur Aids, sondern bedrohe auch Familien und Kinder und führe letztlich zum Aussterben der Nation.

Zeichen für Wandel im erzkatholischen Polen?

Dagegen sind aus Polen, dem anderen Austragungsland der EM, in den letzten Monaten weniger scharfe Töne zu vernehmen. Die Regierung von Premierminister Tusk lässt erkennen, dass sie sogar über ein bislang strikt abgelehntes Gesetz für homosexuelle Partnerschaften nachdenkt.

In Polen könnte es bald Eingetragene Partnerschaften geben

Auf den Rückhalt der Bevölkerung kann er sich dabei allerdings noch nicht verlassen: Eine 2011 von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebene Studie mit dem Titel „Die Abwertung der Anderen“ vergleicht acht europäische Länder und kommt zu dem Schluss, dass in Polen – neben Ungarn – Homophobie „am stärksten ausgeprägt“ sei. (Am wenigsten abwertend äußerten sich die Befragten in den Niederlanden.)

Die Studienteilnehmer wurden unter anderem gefragt, ob eine Ehe zwischen zwei Menschen des gleichen Geschlechts eine gute Sache sei. Ein etwas anderes Bild ergibt sich allerdings, wenn man zusätzlich nach Regelungen für eingetragene Partnerschaften fragt. Die Frankfurter Rundschau zitiert eine Umfrage des Instituts Obop: Auch hier lehnen über zwei Drittel gleichgeschlechtliche Ehen ab, aber immerhin befürworten 54 Prozent eine Regelung für Partnerschaften.

 Sündenböcke für wirtschaftliche Probleme?

Was ist die Ursache der Ablehnung? Die Verfasser von der Studie „Die Abwertung der Anderen“ machen unter anderem eine stark an Autoritäten orientierte Haltung aus, aus der heraus sich Menschen leicht durch andere Gruppen bedroht sähen. Auch die Religiosität kann bei der Neigung zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ eine gewichtige Rolle spielen. Mit 88 Prozent beschrieben sich im stark katholisch geprägten Polen besonders viele Menschen als religiös.

Ein Beispiel aus Ungarn zeigt, dass antihomosexuelle Tendenzen sich fast immer mit Aggression auch gegen andere Gruppen der Gesellschaft mischen. In einer Kampagne zur Ablösung von Róbert Alföldi als Chef des Ungarischen Nationaltheaters waren neben schwulenfeindlichen auch extrem antisemitische Töne zu hören.

Autoritätsgläubigkeit, Religiosität und wirtschaftliche Not begünstigen Homophobie

Es überrascht kaum, dass in Ungarn die Jobbik-Partei Schwule und Lesben ebenfalls aus der Öffentlichkeit verbannen will. Die Rechtsradikalen – mit 17 Prozent drittstärkste Kraft im ungarischen Parlament – haben bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht.

Die CSD-Parade in Budapest sollte zunächst verboten werden, kann aber nach einer richterlichen Anordnung wohl doch stattfinden.

Eine weitere Ursache für die plötzliche Welle der Homophobie könnte im Frust angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation in vielen osteuropäischen Ländern liegen.

„In so einer Situation ist die Suche nach Sündenböcken leider ein beliebtes Mittel der Politik, von eigenen Versäumnissen oder komplexen Zusammenhängen abzulenken“, sagt Ulrike Lunacek, österreichische Abgeordnete der Grünen im Europa-Parlament und Vorsitzende der LGBT Intergroup, des Netzwerkes schwuler und lesbischer Mitglieder des Europäischen Parlaments. EU-Beitritte hätten zunächst große Hoffnungen geweckt, vielen Menschen sei erst nach dem Beitritt klar geworden, dass „EU mehr bedeutet als wirtschaftliche Zusammenarbeit, dass es auch um gemeinsame Werte bei den Menschenrechten geht“.

Die zunehmende Bedeutung der EU

Zumindest was neue Beitrittsländer angeht, achtet das Europäische Parlament heute strenger als in früheren Jahren auf die Einhaltung von Menschenrechten und Antidiskriminierungsrichtlinien. So wurde im Fortschrittbericht 2011 Montenegro für die Einführung von entsprechenden Gesetzen gelobt, zugleich wurden Regierungsstellen angehalten, „Maßnahmen zu ergreifen, um die Einschüchterung von LGBT-Organisationen und von Angehörigen der Gruppe der LGBT zu unterbinden“. Übergriffen gegen Homosexuelle wie Transgender müsse vorgebeugt werden. Im Kosovo stelle Diskriminierung „ein schwerwiegendes Problem“ dar.

Die EU bezieht Stellung gegen Homophobie

Kroatien, das 2013 der EU beitreten soll, sah sich massiver Kritik ausgesetzt, nachdem im Juni letzten Jahres 300 Teilnehmer einer CSD-Parade von einer aufgebrachten Menschenmenge mit Flaschen und Steinen attackiert worden waren. Die Polizei, sichtlich überfordert, brach die Veranstaltung ab. Der kroatische Präsident Ivo Josipovic verurteilte umgehend die Gewalt. Dies sei „nicht Kroatiens wahres Gesicht“. Er verwies darauf, dass die Parade in Zagreb ohne Störungen verlaufen war.

Wie sehr man um Schadensbegrenzung auf europäischer Ebene bemüht war, zeigt der Umstand, dass der kroatische Botschafter sich keine zehn Tage später in Berlin mit Vertretern der LGBT-Community traf, um „die Haltung seines Landes zu erklären“. In diesem Jahr wird es wieder eine Parade in Split geben, am 9. Juni. Im Vorfeld rief eine – mittlerweile gelöschte – Facebook-Gruppe namens „Blood will flow in the streets of Split“ zur Gewalt gegen den CSD auf.

Zeljko Kerum, der Bürgermeister von Split, will übrigens nicht an der Demonstration teilnehmen – obwohl der kroatische Innenminister ihn gebeten hatte, ein Zeichen zu setzen.

 West-östliche Solidarität

Die deutsche LGBT-Community reagiert auf die zahlreichen Meldungen über Homophobie in Osteuropa mit wachsendem Engagement. Die Hirschfeld-Eddy-Stiftung zum Beispiel, die sich für LGBT-Menschenrechte weltweit engagiert, rief zu Spenden für die Plakataktion der St. Petersburger Gruppe „Coming-out“ auf und brachte über 1.000 Euro zusammen.

Sichtbarkeit ruft Feindlichkeit hervor, ist aber unverzichtbar

Queer Amnesty, schwul-lesbische Sektion der Menschenrechtsgruppe Amnesty International, sammelt Unterschriften für eine Petition an Russland, bei der Konferenz queerer Fußball-Klubs in Hamburg setzt man auf bessere Vernetzung und will auch nach der Fußball-EM Präsenz zeigen – das nächste Treffen soll in Polen stattfinden.

EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek ist sich sicher, dass die offene Feindlichkeit auch eine Folge besseren Sichtbarkeit von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen in den osteuropäischen Staaten ist. „Aber diese Sichtbarkeit ist unverzichtbar für das Einfordern von Rechten und ein wichtiges Signal, das anderen Mut gibt.“

Gastkommentar von Volker Beck

Gastkommentar von Ulrike Lunacek

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