BerLUN, eine Initiative von russischsprachigen Drogengebraucher_innen in Berlin, engagiert sich für eine humane Drogenpolitik – sowie im Projekt „PaSuMi“ der Deutschen AIDS-Hilfe.

Samstagmittag am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg. Die Sonne knallt auf den Asphalt, an den Ampeln warten Autos, auf Bürgersteigen herrscht Betrieb. Mittendrin eine Gruppe von etwa 90 Menschen. Einige von ihnen halten Schilder und Transparente in den Händen – mit Aufschriften wie „Prohibition tötet“, „No more Drug War“ oder „Support don’t punish“. Es ist der 21. Juli, Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher_innen.

Am auffälligsten ist eine Gruppe von Aktivist_innen mit schwarzen T-Shirts, auf denen ein stilisierter Fernsehturm vor leuchtend gelbem Hintergrund zu sehen ist. Drei von ihnen treten nach vorne ans Mikrofon. Auf ihren Zetteln die Reden, die sie gleich anlässlich des Gedenktages halten werden.

„Wenn sich die Politik ändern würde, gäbe es weniger Drogentote“

Larissa, Mikhail und Ilia sprechen für „BerLUN“, eine Berliner Selbsthilfe-Initiative von russischsprachigen Menschen, die Drogen nehmen oder genommen haben.

Wenn sich die Politik ändern würde, gäbe es weniger Drogentote, sagt Mikhail auf Russisch ins Mikrofon, Ilia übersetzt. Es müsse Übernachtungsmöglichkeiten für obdachlose Drogenkonsument_innen geben, einen besseren Zugang zur HIV-Therapie und zu Substitutionsmedikamenten. Das Publikum applaudiert.

BerLUN hat sich im Juni 2017 gegründet und wird organisatorisch von der Berliner Aids-Hilfe unterstützt, in deren Räumlichkeiten sich die Mitglieder jeden Samstag treffen. Die Gruppe engagiert sich für eine humane Drogenpolitik, den Zugang zur Substitutionsbehandlung und für Angebote der Schadensminderung beim Drogenkonsum. Darüber hinaus unterstützt sie russischsprachige Drogenkonsument_innen dabei, aus der Kriminalität herauszukommen, informiert über rechtliche und soziale Angebote und klärt über medizinische Hilfe auf.

BerLUN  setzt sich für „Nichtbürger_innen“ aus Estland und Lettland ein

„Als wir anfingen, sagte man uns, in Berlin gebe es schon alles. Alle Nischen seien bereits besetzt“, erzählt Ilia im Interview. Und tatsächlich seien die sogenannten Russlanddeutschen, die in den Neunzigerjahren nach Deutschland gekommen sind, gut in das Hilfesystem integriert. „Sie haben mit Drogen aufgehört, sind substituiert, in Programmen, im Gefängnis oder tot“, sagt Ilia trocken.

Anders sei es jedoch bei Menschen aus Tschetschenien, Georgien, Weißrussland, der Ukraine, Moldawien oder dem Baltikum, die noch nicht so lange in Deutschland leben. „Für diese Leute gibt es Handlungsbedarf.“

Am schwierigsten sei die Lage für Menschen aus den baltischen Ländern, führt Ilia fort. Genauer gesagt: für die sogenannten Nichtbürger aus Estland und Lettland. Das sind zumeist russischsprachige ehemalige Sowjetbürger_innen, die in Lettland zum Beispiel etwa elf Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie haben keine Staatsbürgerschaft, kein aktives und passives Wahlrecht. Und obwohl Estland und Lettland zur EU gehören, haben sie nicht das Recht auf freie Arbeitsplatzwahl in allen Mitgliedsstaaten.

Unter den Klient_innen von BerLUN sind viele „Nichtbürger_innen“. Fehlende Arbeitserlaubnis, mangelhafter Zugang zum Gesundheits- und Sozialsystem, aber auch Obdachlosigkeit sind gravierende Probleme. „Ihre Situation ist sehr schlimm“, sagt Larissa. Ein Wunsch von BerLUN ist deshalb, eine Krisenwohnung einzurichten.

Suchtprävention und Angebote der Schadensminimierung für und mit Migrant_innen

BerLUN und die Berliner Aids-Hilfe sind auch Teil des bundesweiten Modellprojekts PaSuMi („Partizipation, Suchtprävention und Migration“), das im Juli 2017 von der Deutschen AIDS-Hilfe gestartet wurde. Darin schaffen acht verschiedene Projekte in fünf Städten Angebote der Suchtprävention und Schadensminimierung, die an die Bedarfe und Bedürfnisse von Migrant_innen angepasst sind. Weil die Menschen in den Communitys selbst am besten wissen, was sie brauchen, sind sie in die Entwicklung, Erprobung und Auswertung der neuen Ansätze eingebunden.

Die DAH begleitet das vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Modellprojekt wissenschaftlich und organisiert Fortbildungsworkshops für alle Beteiligten. Fachliche Unterstützung leistet ein Beirat mit Vertreter_innen aus den Communitys, der Wissenschaft, Praxis und Politik. Demnächst will BerLUN gemeinsam eine Umfrage unter russischsprachigen Drogengebraucher_innen in Berlin durchführen. Darin sollen auch Diskriminierungserfahrungen Thema sein. Außerdem soll die Umfrage in Erfahrung bringen, welche strukturellen Barrieren Menschen daran hindern, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.

„Wir sind die Brücke zu den Menschen“

Bei BerLUN gebe es keine festen Grenzen zwischen Hilfesuchenden und Hilfeleistenden, erklärt Mikhail. Auf diese Weise bilde die Gruppe auch Multiplikator_innen aus, die ihr neu gewonnenes Wissen weitergeben können. „Wir sind ein Teil der Lösung. Wir sind die Brücke zu den Menschen“, fasst Larissa zusammen.

Rigide Anti-Drogenpolitik in Russland und Weißrussland

Larissa ist eigentlich Künstlerin. In ihrer Heimat Russland hat sie bei einer NGO gearbeitet, die Drogenkonsument_innen rechtlichen Beistand leistet. Ein Polizist habe sie dazu angestachelt, für ihn und sich selbst Heroin zu kaufen. Sie wurde wegen Drogenhandels angeklagt und flüchtete nach Deutschland. In Russland würde ihr eine lebenslange Haftstrafe drohen. „Ich musste fliehen, um mein Leben zu retten“, sagt sie. In Russland werde so getan, als seien Aktivist_innen selbst Drogenbarone. „Betäubungsmittelgesetze, die Menschen mit bis zu lebenslanger Haft bestrafen, sollten abgeschafft werden“, fordert sie.

„Wir möchten zeigen, dass es möglich ist, ohne Kriminalität zu leben“

In ihrer Rede auf der Kundgebung erzählt sie, wie schlecht ihr Gesundheitszustand bei ihrer Ankunft in Deutschland war. „Ich konnte mich die erste Zeit nur im Rollstuhl bewegen.“ Inzwischen wird ihre HIV-Infektion und ihre Hepatitis behandelt, sie bekommt Substitutionsmedikamente und hat ein Dach über dem Kopf. „Nun kann ich meine Kräfte dafür einsetzen, anderen zu helfen“, sagt sie und erntet Beifall. „Wir möchten zeigen, dass es auch möglich ist, ohne Kriminalität zu leben.“

Auch Mikhail hat sich in seiner Heimat Weißrussland für die Rechte von Drogengebraucher_innen engagiert. In Artikeln kritisierte er die rigide Drogenpolitik Weißrusslands. Jugendliche, die Drogen nehmen, würden in der öffentlichen Meinung komplett abgeschrieben, sagt er. Für die HIV-Prävention sei das eine große Barriere, und die Infektionszahlen stiegen. „HIV-Prävention braucht gesellschaftliche Unterstützung“, betont Mikhail.

„Wir sind es müde, auf das Stigma des Junkies reduziert zu werden“

Er hofft, dass die Zeit kommt, in der Menschen, die Drogen nehmen, nicht mehr stigmatisiert werden, sondern als Bürger_innen mit gleicher Würde und gleichen Rechten wahrgenommen werden. „Ich nehme schon seit 20 Jahren Drogen. Das ist Teil meines Lebens.“

Auch Ilia unterstreicht: „Wir sind es müde, auf das Stigma des Junkies reduziert zu werden.“ Drogen seien schließlich nicht alles. „Wir haben unsere Familie, unsere Hobbies, unsere Arbeit.“

Von Inga Dreyer

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