Der 20-jährige Arthur steht am Anfang eines aufregenden Lebens, der an Aids erkrankte Schriftsteller Jacques sieht seines dem Ende entgegensteuern. Christophe Honoré erzählt in seinem Spielfilm Sorry Angel von einer verhinderten Liebesgeschichte und den Möglichkeiten schwulen Liebens im Frankreich des Jahres 1993.

Das kann nur ein Wink des Schicksals sein, dass sie sich ausgerechnet in einem Kino begegnen, bei einer Vorführung von Jane Campions „Das Piano“. Dieser Pariser Schriftsteller, den es für eine Lesung nach Rennes verschlagen hat, geht Arthur seitdem nicht mehr aus dem Kopf.

Weg aus Rennes, auf nach Paris

Mehr noch: Sein ganzes Leben kommt in Fahrt. Der 20-jährige Bretone wird sich bewusst, dass Männer für ihn mindestens so spannend sind wie seine Freundin, und geht der Sache auf den Grund. Erkundet die Cruisingorte der Stadt und schleppt auch mal einen Tramper ab. Und ihm wird klar: Wenn er tatsächlich seinen Traum verwirklichen will, nämlich Filmemacher und Autor zu werden, muss er weg aus Rennes. Am besten nach Paris. Und zu Jacques.

Sorry Angel spielt zwischen Aufbruch und Abschied

Während bei Arthur alles im Zeichen des Aufbruchs steht, ist Jacques bereits im Abschiedsmodus. Der Mittdreißiger hat es in seiner Schriftstellerkarriere nicht wirklich weit gebracht, ist dementsprechend notorisch pleite und zweifelt an seinem Talent.

Vor allem aber zweifelt er daran, noch die Zeit für ein weiteres Buch zu haben. Denn Jacques ist an Aids erkrankt. Sein Arzt kann ihm – wir schreiben das Jahr 1993 – nur wenig medizinische Hilfe anbieten und lediglich die Stadien des Verfalls prognostizieren.

Der französische Theater- und Romanautor Christophe Honoré („Die Sanftheit“ ) und Filmemacher („Mann im Bad“, „Die Liebenden“) hat seinen neuen Film in der Hochphase der Aidsepidemie angesiedelt und damit in der Zeit vor der antiretroviralen Kombinationstherapie, die erstmals berechtigte Hoffnung auf ein langes Leben trotz und mit HIV gab.

Gegenentwurf zu vielen Filmen zum Thema Aids

„Sorry Angel“ steht damit neben einer ganzen Reihe in den vergangenen Jahren produzierter Filme zu Aids: angefangen von „Holding the Man“ über „Dallas Buyers Club“ bis „The Normal Heart“ – und natürlich nicht zu vergessen das fast zeitgleich entstandene ACT-UP-Drama „120 BPM“ seines französischen Kollegen Robin Campillo.

Jacques weigert sich, seine Lebenslust aufzugeben

Doch „Sorry Angel“ ist alles andere als eine Doublette. Honoré versucht vielmehr, zu häufig variierten Szenen einen bewussten Gegenentwurf zu liefern. Ein Besuch Arthurs am Krankenhausbett des bereits schwer erkrankten Jacques ist nicht von Abschiedsstimmung, Trauer und Bedauern getragen, sondern mündet in einen albernen Strip und in eine zutiefst berührende und zugleich intensive erotische Bettszene.

Überhaupt weigert sich Jacques, trotz der Erkrankung, den damit verbundenen Einschränkungen (und nicht zu vergessen der Auseinandersetzung mit der nahen Endlichkeit) seine Lebenslust aufzugeben. Jacques ist nicht verbittert.

Er flirtet auf der Straße mit anderen Männern und genießt den regen Austausch mit seinem jungen Verehrer Arthur, den er dennoch auf Distanz hält. Er spürt dessen Verliebtheit, aber er verbietet sich, diesen Gefühlen nachzugeben. Denn für etwas wirklich Großes, so hat er Arthur gewarnt, wird ihm keine Zeit mehr bleiben.

Ein schwules Sittengemälde

Und so erzählt „Sorry Angel“ auch in erster Linie nicht die Geschichte einer Liebesbeziehung, allenfalls einer verhinderten. Vielmehr blättert Honoré das prall gefüllte Alltagsleben der beiden Männer auf.  Sein Ziel sei gewesen, eine „Art schwules Sittengemälde mit vielen unterschiedlichen Figuren“ zu schaffen, „das die Sprache der Liebe zu dieser Zeit noch einmal vergegenwärtigt“, sagt Christophe Honoré im Interview mit magazin.hiv.

Die Sprache der Liebe des Jahres 1993

Dazu gehören die Riten beim Cruising und bei One-Night-Stands, aber auch die fürsorgliche Zuwendung, die Jacques seinem schwulen Wohnungsnachbarn Mathieu (Denis Podalydès) und seinem Ex-Freund Marco (Thomas Gonzalez) zuteil werden lässt.

Auch Marco hat Aids, doch bei ihm ist die Erkrankung bereits weit fortgeschritten, und Jacques nimmt den Verzweifelten bei sich auf. Auch bei diesem Abschied findet Honoré einen eigenen Fokus und entsprechende Bilder. Jacques hievt den entkräfteten, kaum noch bewegungsfähigen Marco zu sich in die Badewanne.

Und so liegen sie nun in einer inniger Umarmung, schwelgen, lästern und lachen über alte, gemeinsame Zeiten und ihre Liebe zueinander, die nicht verloren gegangen ist, sondern sich lediglich verändert hat.

„Sorry Angel“ (Plaire, aimer et courir vite), Frankreich 2018.  Buch und Regie Christophe Honoré, mit Vincent Lacoste, Pierre Deladonchamps, Denis Podalydès, Adèle Wismes. 132 min., Originalfassung mit deutschen Untertiteln. Kinostart: 25. Oktober 2018.

Link zum Trailer

Zurück

„Das Trauma Aids hat eine gewisse Bigotterie unter Schwulen ermöglicht“

Weiter

Gedenken an Bernd Aretz

Über

Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

22 + = 29

Das könnte dich auch interessieren