Was macht Drogenabhängigkeit mit den nächsten Angehörigen? Der auf einer wahren Geschichte basierende Spielfilm „Beautiful Boy“ schildert den zermürbenden Kampf eines Vaters um seinen Sohn.

Irgendetwas muss in Nics Leben passiert sein, das ihn aus der Spur gebracht hat. Was nur ist schiefgelaufen, dass aus diesem wohlerzogenen Jungen – intelligent, beliebt, begabt, in der Highschool erfolgreich – ein Junkie geworden ist?

Nics fürsorglicher Vater David stellt sich diese Frage immer wieder, seit die Familie völlig überraschend mit der Tatsache konfrontiert ist, dass sein Sohn aus erster Ehe bereits eine ganze Reihe Drogen durchprobiert hat. Doch erst Crystal Meth zieht Nic derart den Boden unter den Füßen weg, dass sich die Sucht nicht mehr kaschieren und verbergen lässt.

Irgendetwas muss sich in Nics Leben ereignet haben, weshalb er in sich eine Leere spürt, die er nun mit den Drogen zu füllen versucht. „Vorher war mein Leben nur schwarz und weiß, jetzt ist es in Technicolor“, sagt Nic. Vielmehr Hinweise gibt er selbst nicht.

„Vorher war mein Leben nur schwarz und weiß, jetzt ist es in Technicolor“

Immer wieder springt Regisseur Felix Van Groeningen („The Broken Circle“) in seiner Erzählung der fortschreitenden Sucht samt Therapieversuchen und Entziehungskuren zurück in die Zeit davor. Szenen aus einer glücklichen, offenkundig sorgenfreien Kindheit, die geprägt ist von einem lieben und vertrauensvollen Umgang mit dem Vater, gehen dann abrupt über in eine Gegenwart, die keine verlässliche Basis mehr kennt.

Wie bei einem Vexierbild ist man auch als Zuschauer_in versucht, die womöglich entscheidenden Ereignisse und Veränderungen aufzuspüren. Ist womöglich die Trennung der Eltern ursächlich für Nics Flucht in die Drogen? Ist es das Glück der neuen Familie? Ist Nics Faible für düstere Romane und destruktive Musik Auslöser oder Ausdruck seiner depressiven Stimmung?

Vorlage ist eine Doppelbiografie von Nic und David Sheff

Für seinen ersten englischsprachigen Film hat der belgische Regisseur Van Groeningen auf eine tatsächliche Geschichte zurückgriffen, genauer gesagt auf David Sheffs 2008 erschienenes Buch „Beautiful Boy: A Father’s Journey Through His Son’s Addiction“ – und auf das komplementäre Gegenstück seines Sohnes Nic, „Tweak: Growing Up On Methamphetamines“. Beide haben unabhängig voneinander ihre Erfahrungen mit der Sucht und dem langwierigen und letztlich erfolgreichen Kampf niedergeschrieben.

Van Groeningen konzentriert sich in seiner Adaption allerdings ganz auf die Perspektive des Vaters, eines renommierten US-Journalisten. David möchte verstehen, was mit Nic passiert ist, was die Drogen mit ihm machen, was sie ihm bedeuten – um so überhaupt in die Lage zu gelangen, ihm helfen zu können.

 

Szenenbild Beautiful Boy
Timothée Chalamet als Nic und Steve Carell als sein Vater David in „Beautiful Boy“

Er konsultiert Expert_innen und lässt sich erklären, welche besonderen neurologischen Veränderungen der Meth-Konsum bewirkt und weshalb herkömmliche Suchttherapien deshalb oft nicht greifen. Er unternimmt sogar einen Selbstversuch, um die Wirkung der Droge kennenzulernen. Mit der Liebe und Solidarität der Familie, Verständnis und gutem Willen müsste das Problem sich doch lösen lassen! Doch Nic verändert sich weiter.

Er stiehlt, lügt, zieht sich zurück, erbittet neues Vertrauen – und enttäuscht erneut. Die Drogen haben Nic derart verändert, dass David seinen eigenen Sohn nicht mehr wiedererkennt. Immerhin: Nic unterzieht sich einem Entzugsprogramm, und statt wie geplant aufs College zu wechseln, zieht er in eine Rehabilitationseinrichtung.

„Rückfälle sind Teil der Genesung“

Doch auf jeden erfolgreichen Schritt folgt die nächste Katastrophe. „Rückfälle sind Teil der Genesung“, wird David von einer Therapeutin aufgeklärt. Beruhigend ist das für ihn freilich wenig.

Was die Ursachen für Nics Sucht sind, darauf gibt „Beautiful Boy“ bis zuletzt keine klare Antwort. Das wahre Leben ist eben doch komplexer und komplizierter, als es in vielen Spielfilmen dargestellt wird. Und so gibt es auch keinen Wendepunkt in Nics Leben, der zur Überwindung der Sucht führt. Nicht einmal, als seine Freundin, die er erst zu den Drogen gebracht hat, eine Überdosis nur knapp überlebt.

Stattdessen macht Felix Van Groeningen deutlich, wie zermürbend die Sucht auch für Nics Vater ist: Immer zur Stelle sein, wenn ein Hilferuf kommt. Nicht zu viel Nähe zulassen, um nicht emotional erpressbar zu werden. Die eigene Machtlosigkeit, wenn auch widerwillig, akzeptieren. Eigene Interessen hintanstellen. Stattdessen das Leben stets sorgenvoll auf den Sohn fokussieren und damit in Kauf nehmen, die Frau wie die anderen Kinder zu vernachlässigen.

Die Sucht des Sohnes droht auch, die Familie zu zerstören

Van Groeningen lässt Steve Carell diese permanente Überforderung betont zurückhaltend und ohne eskalierende Dramatik spielen.

Immer wieder steht er wie verloren in der Küche, und in seinem Gesicht sind Erschöpfung und Resignation wie eingebrannt –  bis ihn in der nächsten Szene beim Anruf einer Klinik oder beim Streit mit dem um Geld bettelnden Nic wieder die Angst packt, seinen Sohn endgültig zu verlieren.

Gleichwohl hält der Film die Zuschauer_innen auf Distanz. Die fehlende Emotionalität versucht Van Groeningen durch einen etwas überstrapazierten Musikeinsatz wieder wettzumachen und mit Nirvana, Mogwai und Sigur Rós die Gefühlslagen und Stimmungen der einzelnen Szenen zu verorten.

Wenn „Beautiful Boy“ etwas gelingt, dann zu zeigen, wie die Sucht nicht nur das Leben des Abhängigen zerstört, sondern auch das der Angehörigen bedroht.

Szenenbild Beautiful Boy
Timothée Chalamet als suchtkranker Nic im Film „Beautiful Boy“

Trotz aller Dramatik ist der Film überraschend unpathetisch. Timothée Chalamet, der seinen Durchbruch 2017 mit dem Überraschungserfolg „Call Me By Your Name“ hatte, spielt die zwei Gesichter des Nic überaus nuanciert. Wenn er (nüchtern) mit seinen jüngeren Halbgeschwistern herumalbert, erscheint er befreit und glücklich.

Und doch unterscheidet sich diese Gelöstheit von der, die ihm die Drogen ermöglichen. In den krasseren Momenten zeigt sich, wie die Drogen nicht nur Körper und Psyche des jungen Mannes verändert haben, sondern auch seine Persönlichkeit. Doch was in ihm wirklich vorgeht, bleibt vage und ein unlösbares Rätsel – bis zuletzt.

„Beautiful Boy“. USA 2018, Regie Felix Van Groeningen. Mit Steve Carell, Timothée Chalamet, Amy Ryan, Stefanie Scott. 112 Minuten. Kinostart: 24. Januar 2019

Zum Trailer: englische Originalfassung mit Untertiteln und deutsche Sychronfassung

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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