Die Serie Pose beweist ein großes Gespür für die Belange von trans* Frauen. Kein Wunder: Wirkten in dieser Produktion doch so viele trans* Menschen mit wie in keiner zuvor.

Von Daria Kinga Majewski, freie Autorin

Die Drama-Serie Pose spielt im Jahr 1987 und handelt von der New Yorker Ballroom-Szene der damaligen Zeit.

In den Ballrooms der LGBTIQ*-Subkultur konkurrierten einzelne „Häuser“ in sogenannten Walks (einer Mischung aus Modenschau und Performance) um Trophäen für verschiedene Kategorien.

In der Serie Pose wirkten so viele trans* Menschen mit wie in keiner zuvor

Die Häuser waren dabei eine Art Ersatzfamilie und Schutzraum für homo- und bisexuelle, trans* und queere Menschen, vor allem für Schwarze Menschen und People of Color. Viele wurden von ihren Herkunftsfamilien verstoßen.

Geführt wurden die Häuser von Müttern und Vätern, die ihren Kindern Unterstützung und ein Zuhause boten – die Übernahme dieser Begriffe zeigt, dass sie sich wirklich als (Wahl-)Familien begriffen.

Eine der zentralen Figuren von „Pose“ ist Blanca Rodriguez (MJ Rodriguez), eine trans* Frau of Color, die nach ihrer HIV-Diagnose das „House of Abundance“ und ihre dominante Haus-Mutter Elektra (Dominique Jackson) verlässt und ihr eigenes Haus gründet: das „House of Evangelista“.

Nachdem Blanca eine günstige Wohnung bezogen hat, nimmt sie eigene Kinder bei sich auf, unter anderem die Sexarbeiterin Angel (Indya Moore), die sich in den weißen cis Mann und Familienvater Stan Bowes (Evan Peters) verliebt, und den talentierten Tänzer Damon (Ryan Jamaal Swain). Ihre ehemalige Mutter Elektra Abundance wird von da an zu Blancas ärgster Konkurrentin im Ballroom.

Die Serie wurde zuerst vom US-amerikanischen Pay-TV-Sender Fx Network ausgestrahlt und ist seit Ende Januar 2019 auf Netflix zu sehen.

Daria Kinga Majewski war von „Pose“ sehr beeindruckt und berührt. Warum, schildert sie auf magazin.hiv:

Die Figur Blanca Rodriguez, gespielt von MJ Rodriguez, aus der Serie Pose
Blanca Rodriguez (gespielt von MJ Rodriguez)

Anfängliche Skepsis

Als ich neulich krank zu Hause auf dem Sofa lag und bei Netflix nach etwas Ablenkung suchte, wurde mir eine Serie namens Pose vorgeschlagen.

Erst mal reizte sie mich wenig. Die US-amerikanische Ballroom-Szene kannte ich bis dato lediglich aus dem Dokumentarfilm Paris is burning und versatzstückhaft aus der Reality-Show RuPaul’s Drag Race, und gerade letztere schreckte mich eher ab.

Die Figuren sind zum Verlieben

Aber irgendwie kam es dann doch dazu, dass ich mir Pose ansah – und ich bin froh darüber. Denn nicht nur Musik, Klamotten und Make-up sind umwerfend.

Die Figuren sind einfach zum Verlieben, und der Plot entführt den_die Zuschauer_in in die Welt der Ballrooms, die kennenzulernen sich ziemlich lohnt.

Die Serie greift dabei ein wichtiges – bisher jedoch unterbelichtetes – Thema auf: die Rolle von trans* Frauen of Color in queeren Bewegungen.

Eine ganz neue Präsenz von trans* Frauen of Color

Bevor ich mehr über die Welt von Pose erzähle, einige Worte zur Produktion.

Die Idee zur Serie hatte unter anderem der US-amerikanische Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent Ryan Murphy (Glee, American Horror Story), dem mit der Auswahl des Produktions-Teams ein Coup gelang:

Um ein authentisches Bild zu vermitteln, holte Murphy Protagonist_innen der Ballroom-Kultur als Berater_innen in seinen Mitarbeiter_innenstab, so zum Beispiel den im Dezember 2018 verstorbenen Hector Xtravaganza („Großvater des House of Xtravaganza“), Skylar King und Sol Williams.

Fünf Hauptfiguren der Serie werden von trans* Schauspieler_innen gespielt. An dem Drehbuch wirkte die Autorin, Journalistin, TV-Moderatorin und trans* Aktivistin Janet Mock mit.

Trans* Menschen werden erst gar nicht zu Vorsprechen eingeladen

Damit nimmt Murphy auch die sozialpolitische Verantwortung von TV-Produktionen ernst und gibt Schauspieler_innen, die trans* und of Color sind, eine Präsenz im Mainstreamfernsehen, die bis dahin fehlte.

MJ Rodriguez (spielt Blanca Evangelista, Mutter des „House of Evangelista“) betont in mehreren Interviews, dass man natürlich nicht mit einer Rolle identisch sein müsse, um sie zu verkörpern. Sie wünscht sich, dass es beim Casting um Talent geht und trans* Menschen genauso für cis Rollen wie auch cis Menschen für trans* Rollen gecastet werden.

Die Realität sieht jedoch anders aus: Trans* Menschen und insbesondere trans* Frauen of Color werden aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position meist gar nicht erst zu Vorsprechen eingeladen. Schlimmer noch: Wenn diese Gruppe überhaupt mediale Präsenz erlangt, dann meist durch Mordstatistiken. Und deshalb hat es eine so große Wirkung – auch auf mich selbst –, dass bei „Pose“ die Sichtbarkeit von trans* Schauspieler_innen of Color derart im Vordergrund steht.

Ihre Körper ähneln meinem

Die Serie macht nicht nur die arbeitspolitische Frage im Hinblick auf trans* Schauspielerinnen deutlich, sie zeigt auch transitionierte Körper. Die Figuren berühren mich zutiefst, weil ihre Körper – zumindest in Bezug auf die Geschlechtlichkeit – auch meinem ähneln.

Was es mir bedeutet, mich nicht nur in den abstrakten Figuren, sondern auch in den Schauspielerinnen gespiegelt zu sehen, ist für mich noch kaum fassbar – weil es eben eine so neue Erfahrung ist. Trans* Frauen spielen hier nicht nur die Nebenrolle, nicht nur den Sidekick oder das Mordopfer, sie sind die Hauptfiguren und die Hauptdarstellerinnen.

Sexarbeiterin Angel (gespielt von Indya Moore) aus der Serie Pose
Sexarbeiterin Angel (gespielt von Indya Moore)

Pose zeigt die weniger sichtbare Gewalt gegen trans* Frauen

Die Serie verzichtet auf die bloße Darstellung roher, offensichtlicher Gewalt. Vielmehr konzentriert sie sich auf die subtilen, weniger sichtbaren Gewaltformen, die viele trans* Frauen erleben: Selbsthass, Neid, Fetischisierung, Armut und die Abhängigkeit von einer cis-normativen Welt, die trans* Frauen in die Unsichtbarkeit abdrängt.

Trans* Frauen werden in ihrem ganz Menschsein sichtbar. Endlich!

Dieser Verzicht auf rohe Gewalt ermöglicht es, trans* Frauen inmitten zwischenmenschlicher Dynamiken zu zeigen, die in bisherigen Darstellungen oft hinter Mord und Vergewaltigung zurückblieben. Sie werden in ihrem ganzen Menschsein sichtbar. Endlich! Der_Dem Zuschauer_in wird Sensibilität für die „unsichtbare“ Gewalt abverlangt. Dabei ist die Gewalt omnipräsent, nur fehlt eben Blut als Signifikant.

Trans* Frauen und queere Bewegungsgeschichte

Die Serie wirft auch ein neues Licht auf queere Bewegungsgeschichte: Dominique Jackson (spielt Elektra Abundance, Mutter des „House of Abundance“) erinnert daran, dass es trans* Frauen of Color waren, die die Stonewall Revolution angeführt haben.

Natürlich, Geschlechtsidentitäten waren in den 1960ern und unter den Menschen, die auf der Straße leben mussten, noch nicht so differenziert wie heute, und viele der trans* Frauen bezeichneten sich selbst als Queens oder Transvestiten.

Nachträglich beziehen sich dennoch viele auf sie als trans* Frauen, da sie  rund um die Uhr Frauenkleidung trugen, als „trans* Frauen“ lebten und entsprechende Diskriminierung erlebten – anders als jene, die nur auf Partys Frauenkleidung trugen.

Diese verdrängte Minderheit bekommt durch die Serie nun einen Platz in der queeren Erinnerungskultur. Nicht Schwule und Lesben stehen im Fokus der Serie, sondern eben die trans* Frauen der Ballrooms.

Eine Welt der Gegensätze

Und damit zur Welt von Pose.

Es ist eine Welt der Gegensätze: Schwarzsein – Weißsein, Vorstadt – Lower Manhattan, Straßenstrich – Trump-Imperium, Cis – Trans, Hetero – Homo, HIV-positiv – HIV-negativ, Tod – Leben.

Erst durch ihre Gegenüberstellung werden diese verschiedenen Pole konturiert, treten sie miteinander in Beziehung. Die Gegensätze werden von den Figuren verkörpert und miteinander ins Verhältnis gesetzt, wodurch sie nicht mehr komplett getrennt voneinander erscheinen. Trotz ihrer metaphorischen Züge bleibt die Serie glaubwürdig, wirkt sie nicht gekünstelt.

Zwei verschiedene queere Bewältigungsstrategien

Die beiden konkurrierenden Häuser „House of Abundance“ und „House of Evangelista“ versinnbildlichen eine richtungsweisende und politische Aushandlung der Gegensätze. Genauer gesagt, verkörpern die beiden Haus-Mütter Elektra Abundance und Blanca Evangelista zwei verschiedene queere Bewältigungsstrategien.

Elektra antwortet auf die gesellschaftliche Gewalt, der sie ausgesetzt ist, mit einem verbitterten Kampf um Anerkennung. Innerhalb der Ballroom-Community will sie um jeden Preis die legendärste Mutter sein und die meisten Pokale einheimsen. Es ist ihr höchstes Ziel, voll und ganz in die „normale“ Gesellschaft zu passen und darin auch ihr Schwarzsein zu überwinden, um als „normale“ Frau durch Manhattan laufen zu können.

Als legendärste trans* Frau will Elektra perfekt in die cis-normative Gesellschaft passen

Hier offenbart sich auch Elektras innerer Widerspruch: Die legendärste trans* Frau der Ballroomszene zu sein, bedeutet für sie, perfekt in die cis-normative Gesellschaft zu passen. Aber den Schritt hinaus in diese Gesellschaft traut sie sich alleine nicht, sie ist gefangen zwischen der Welt der Ballrooms und der Norm.

Elektra Abundance (gespielt von Dominique Jackson) aus der Serie Pose
Elektra Abundance (gespielt von Dominique Jackson)

Queeres Selbstbewusstsein und ein solidarisches „Wir“

Elektra gegenübergestellt ist Blanca: als weiche und verbindende Figur. Sie schafft ein Haus, in dem alle willkommen sind; auch ein heterosexueller cis Junge ist dabei. Sie kümmert sich voller Hingabe um ihre Kinder und sucht für sie nach gesellschaftlicher Teilhabe, indem sie ihnen Bildung ermöglicht und sie ermutigt, nach gesellschaftsfähigen Jobs zu suchen.

In vollem Bewusstsein um die Gewalt, der ihre Community ausgesetzt ist, kämpft sie auch um ein „Wir“, innerhalb dessen man sich als „Andere“ gegenseitig stärkt, statt sich zu unterdrücken.

Auch redet sie es ihren Kindern aus, auf einen „Ritter“ aus der Mitte der Gesellschaft zu warten. Stattdessen ermutigt sie zu queerem Selbstbewusstsein und Solidarität. Damit ist die Serie ganz aktuell, denn neben einem Erinnerungsraum schafft sie auch ein Angebot: Sie lädt dazu ein, sich inspirieren zu lassen, wie auch heute eine Gemeinschaft der „Anderen“ aussehen könnte, jenseits rigider Identitätspolitik und ohne Ausschluss.

Kaey, Redakteurin des Berliner Magazins Siegessäule, schätzt die Aktualität der Ballroom-Szene wie folgt ein:

„Vor allem in Berlin gibt es eine ausgeprägte Szene […], allerdings hat sie sich nicht wie in Amerika aus dem queeren Untergrund generiert. Hier ist es eher eine Kultur, die man adaptiert hat – vor allem auch viel aus der poc Szene. Allerdings bilden sich in Berlin in den letzten Jahren in der queeren Szene auch eigene Schauplätze […] Es gibt auch einige Häuser, die vor allem für viele Refugees einen willkommenen Familienersatz bilden. […] Es ist alles noch sehr am Anfang. Aber die Serie Pose kommt in der Community super an und wird sicherlich einige dazu inspirieren, daran Teil zu nehmen.“

Die stolze Närrin

Zum Schluss will ich noch auf eine Frage eingehen, die gerade in Gesprächen mit anderen trans* Frauen über die Serie aufkommt: Gibt es eine Figur, mit der du dich besonders identifizierst?

Ich musste lange nachdenken, denn in jeder der Figuren stecken Anteile, die sehr nah an mir selbst dran sind, was irgendwie schön und beängstigend zugleich ist. Schließlich merkte ich aber, dass es gerade eine der unangenehmsten Figuren der Serie ist, die mich am tiefsten berührt: Candy Abundance (gespielt von Angelica Ross). Sie ist die stolze Närrin in der Figurenkomposition.

Sie verweigert sich jeder Auseinandersetzung mit ihrer Verletzlichkeit. Statt zu betrauern, dass sie nicht alles haben kann, steht sie trotzig in der Menge und fordert erhobenen Hauptes ihr „Piece Of The American Pie“ – um die Sängerin Shea Diamond zu zitieren.

Wie kann man in so einer Welt Trauer und Verletzlichkeit zulassen?

Da sie vor sich selbst wegläuft, will Candy am liebsten den ganzen Kuchen. Sie nimmt an Walks teil, für die sie überhaupt nicht gemacht ist: Als dünne Frau läuft sie in der Kategorie „kurvige Realness“ mit. Und obwohl sie ganz und gar nicht voguen kann, hofft sie auch bei dieser Kategorie wieder, eine Trophäe abzustauben. Irgendeinen Preis will sie unbedingt, als Beweis dafür, dass sie etwas wert ist, dass sie dazugehört.

Die Angst vor der eigenen Verletzlichkeit steht Candy in die Augen geschrieben – Angelica Ross spielt einfach hervorragend –, und ich sehe sie auch in mir. Wie kann man in einer Welt, die so gewalttätig gegen einen selbst ist, Trauer und Verletzlichkeit zulassen – und damit einen zärtlichen Umgang mit sich selbst –, wo doch jeder Tag einen neuen Kampf um die eigene Existenz bedeutet?

Ich denke, diese Frage lässt sich weit über den Trans*-Horizont hinaus stellen. Sie ist in meinen Augen das Kernthema von „Pose“ und brandaktuell. Verletzlichkeit, Trauer, Träume und Hoffnung: Als närrische Elemente politischen Handelns bieten sie die Möglichkeit, trotz des aktuellen harten Kampfes um die Ausrichtung unserer Gesellschaft die eigene Menschlichkeit nicht zu verlieren.

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