Der Film Ben is back ist seit Anfang 2019 auf DVD erhältlich. Das Psychodrama zeigt am Beispiel eines Jugendlichen, welches Zerstörungspotenzial Drogenabhängigkeit bis hinein in die Familienstrukturen haben kann.

Ben ist zurück. Völlig überraschend und unangekündigt ist er am Tag vor Weihnachten zu seiner Familie nach Hause zurückgekehrt – und löst damit nicht nur Freude aus.

In den Gesichtern seiner Angehörigen überschlagen sich die Emotionen.

Nach einem Moment der Schockstarre bricht sich bei seiner Mutter Holly (Julia Roberts) die Freude Bahn. Mit Tränen in den Augen umarmt sie ihren Sohn.

In den Gesichtern überschlagen sich die Emotionen

Seine jüngere Schwester Ivy (Kathryn Newton) hingegen kann ihre Panik kaum verbergen und ruft alarmiert den Stiefvater an.

Diese Ambivalenz wird die kommenden 24 Stunden bestimmen: Wie soll die Patchworkfamilie aus Bens Schwester und Halbgeschwistern, seiner Mutter und ihrem neuen Ehemann mit Ben umgehen?

Seit 77 Tagen clean

Eigentlich lebt Ben (Lucas Hedges) in einer Wohneinrichtung für Suchtkranke. Seit 77 Tagen ist er clean.

77 Tage sind eine lange Zeit – und doch zu kurz für Bens bereits seit vielen Jahren dauernden Kampf gegen die Abhängigkeit.

Was die Familie in dieser Zeit durchlitten hat, durch welche Höllen sie bereits gegangen ist, wird erst nach und nach und eher beiläufig deutlich.

Kaum hat sich Holly aus der Umarmung ihres Sohnes gelöst, räumt sie schnell und heimlich auch schon den Arzneimittelschrank aus – und ihre Schmuckschatulle gleich mit.

Eine Vorsichtsmaßnahme. Und ein deutliches Zeichen des Misstrauens.

Die ganz Familie, vor allem aber die unerschütterlich um ihren Sohn kämpfende Holly, befindet sich in einem permanenten emotionalen Wechselbad.

„Diesmal ist es anders“, sagt sich Holly und will fest daran glauben, dass Ben allen Versuchungen widerstehen kann, dass er die Sucht und nicht die Sucht ihn beherrscht.

„Du darfst mir nicht vertrauen“

Dass diesmal alles gutgeht, er sie nicht wieder enttäuschen wird.

Ben aber weiß es besser, weiß um die Gefahren, die in ihm und auf ihn lauern, und spricht es auch deutlich aus: „Du darfst mir nicht vertrauen.“

Und er soll recht behalten. Sein Betreuer in der Drogeneinrichtung hat ihm keineswegs erlaubt, die Weihnachtstage zuhause zu verbringen. Ben ist schlicht abgehauen.

Diese Lüge, seine Sehnsucht nach der Familie, vermag ihm Holly zu verzeihen.

Ihrer Nachsicht setzt sie aber Strenge und Kontrolle entgegen.

Ben muss einen Drogenschnelltest bestehen, er darf nur einen Tag bleiben und sie wird ihm 24 Stunden nicht von der Seite weichen.

Sie wird ihn sogar auf die Toilette begleiten und vor seinem Bett schlafen.

Filmszene Ben is back
(c) Tobis/Universum Film

Ben is back von Drehbuchautor und Regisseur Peter Hedges (Pieces of April, About a Boy), beginnt als ein leises, auf den ersten Blick ereignisarmes Drama.

Erst allmählich setzt er die Zuschauer_innen über nervöse Blicke, unscheinbare Bemerkungen oder Vorsorgemaßnahmen wie Hollys Ausräumaktion im Badezimmer ins Bild.

Julia Roberts verkörpert Hollys Zerrissenheit mit aller Eindringlichkeit.

Sie ist die gluckenhafte Mutter, die ihren Sohn vor allen Anfeindungen in Schutz nimmt. Zugleich beweist sie Härte und Strenge, die als Gefühllosigkeit missverstanden werden könnten.

Ben is back wird so zu einem Pendant des thematisch, aus der Vaterperspektive erzählten Films Beautiful Boy.

Und dann gibt es Momente wie die zufällige Begegnung mit Bens ehemaligem Hausarzt, inzwischen so dement, dass er weder Holly noch Ben wiedererkennt. Er hatte Ben seinerzeit nach einer Sportverletzung Schmerzmittel verordnet, die schließlich zu seiner Sucht führten.

„Ich hoffe, Sie schmoren in der Hölle“

In den USA gibt es Hunderttausende vergleichbare Fälle, die unter dem Schlagwort Opioid-Krise subsumiert werden. 200.000 Todesfälle infolge von Fentanyl- und Oxycodon-Abhängigkeit wurden dort in den vergangenen fünf Jahren verzeichnet.

„Ich hoffe, Sie schmoren in der Hölle“, gibt Holly dem Arzt mit auf den Weg.

Diese Ambivalenz findet sich auch bei Ben. Lucas Hedges, der Sohn des Regisseurs und seit Manchester by the Sea und Der verlorene Sohn (Boy Erased) prädestiniert für die Darstellung sensibler junger Männer, macht auch hier den seelischen Schmerz und inneren Konflikte seiner Figur sichtbar und spürbar, gleichermaßen aber auch seine Widersprüchlichkeit.

Ben ist freundlich, offen und charismatisch; er ist liebevoll zu seinen Geschwistern, und er ist auch schwach. Ein Getriebener, ein Opfer seiner Sucht, das unser Mitgefühl verdient – und er ist auch Täter.

In seinem Heimatort an der Ostküste gibt es viele Menschen, die noch eine Rechnung mit ihm offen haben: Dealer, denen er noch Geld schuldet, aber auch Menschen, denen er selbst Drogen verkauft hat.

In der zweiten Filmhälfte, ein Trip durch die Nacht und gleichermaßen in seine Vergangenheit, ändert sich die Stimmung und „Ben is back“ nimmt thrillerartige Züge an.

„Hier habe ich jemanden überfallen“

Holly lernt bei dieser Irrfahrt durch die vermeintlich beschauliche Idylle der Vorstadt Dinge über ihren Sohn, die sie lieber nicht gewusst hätte: „Hier habe ich mir einen Schuss gesetzt.“ Und: „Hier habe ich jemanden überfallen.“

Klassische Muster der Abhängigkeit und Koabhängigkeit

Dort wohnt der Vater, dessen Tochter durch Bens Drogen gestorben ist. Und hier der Geschichtslehrer, der die Schmerzmittel der krebskranken Mutter an Ben vertickt hat. Gezahlt wurde nicht mit Geld, sondern sexuellen Dienstleistungen.

Die US-Opiodkrise mag einen Sonderfall darstellen, doch die Verhaltensmuster von Abhängigen, die Spirale aus verletztem Vertrauen, Enttäuschungen, Schwäche, gebrochenem Selbstbewusstsein und Rückfällen kennen viele Suchtkranke und ihre An- und Zugehörigen.

„Diesmal ist alles anders“ ist ein Versprechen, das so oder so ähnlich immer wieder ausgesprochen wird und doch jedes Mal die Gefahr birgt, sich als Illusion zu erweisen.

USA 2018, Regie: Peter Hedges. Mit Julia Roberts, Lucas Hedges, Kathryn Newton, Courtney B. Vance. 103 Min. plus Extras (Trailer, Bildergalerie, Interviews mit Cast und Crew; Making of). Erhältlich als DVD und Blu-ray (Tobis/Universum Film)

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Über

Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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