Die HIV-Prophylaxe PrEP schützt zuverlässig vor HIV. Wir gehen auf wichtige Studien ein und erklären, was mit „Schutzwirkung“, „Risikosenkung“ oder „Reduzierung der Inzidenz“ gemeint ist.

„PROUD: HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe reduziert HIV-Risiko um 86 Prozent“, titelte magazin.hiv am 24. Februar 2015.

Doch was heißt das? Kommt es dank PrEP bei 100 Sexualkontakten in 86 Fällen nicht zu einer Infektion, in 14 aber doch?

Nein. Gemeint ist vielmehr die Senkung der Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung – gemessen an der Zahl der HIV-Infektionen im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie, bei der zwei ähnliche Gruppen verglichen werden.

Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung in verschiedenen Situationen

Eine große Analyse verschiedener Untersuchungen zum HIV-Übertragungsrisiko hat Durchschnittswerte für je 10.000 Kontakte mit einer Person mit HIV berechnet, bei der man sich infizieren kann (weil sie keine funktionierende HIV-Therapie macht).

Nach dieser Analyse kommt es statistisch bei 10.000 Mal aufnehmendem Analverkehr mit einem HIV-infizierten eindringenden Partner zu 138 HIV-Übertragungen. Das entspricht einer Übertragungswahrscheinlichkeit von 1,38 Prozent pro Einzelkontakt – und dieses geringe Risiko wird dann durch eine PrEP weiter reduziert, zum Beispiel um 86 Prozent.

Bei anderen sexuellen Übertragungswegen ist das Risiko sogar noch geringer:

  • Bei eindringendem Analverkehr (wenn der_die aufnehmende Partner_in HIV-infiziert ist) liegt es bei 11 Übertragungen pro 10.000 Kontakte (= 0,11 % Übertragungswahrscheinlichkeit pro Einzelkontakt),
  • bei aufnehmendem Vaginalverkehr (wenn der eindringende Partner HIV-infiziert ist) bei 8 Übertragungen / 10.000 Kontakte (= 0,08 %) und
  • bei eindringendem Vaginalverkehr (wenn die aufnehmende Partnerin HIV-infiziert ist) bei 4 Übertragungen / 10.000 Kontakte (= 0,04%).

Zum Vergleich: Bei der gemeinsamen Benutzung von Spritzbesteck zum intravenösen Konsum liegt das Einzelrisiko bei 0,63 Prozent je Injektion, bei einer Transfusion von HIV-haltigem Blut dagegen bei 92,5 % (hier spielt natürlich die große Blutmenge eine Rolle).

Aber Achtung: Geringe „Einzelrisiken“ kumulieren, das heißt, sie addieren sich. Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion steigt also, je öfter man ein solches Risiko eingeht.

Auch andere Faktoren können das statistisch geringe Einzelrisiko im konkreten Fall deutlich erhöhen – zum Beispiel, wenn ein_e Partner_in eine Geschlechtskrankheit hat (Geschlechtskrankheiten können HIV das Hineingelangen in den oder Hinausgelangem aus dem Körper erleichtern) oder wenn die HIV-Menge im Blut und in den Körperflüssigkeiten sehr hoch ist – das ist besonders kurz nach einer Ansteckung der Fall, wenn man meistens noch gar nichts von der HIV-Infektion weiß.

Wie wird die Risikosenkung oder Schutzwirkung der PrEP gemessen?

Gemessen wird die Risikosenkung durch Vergleich der HIV-Infektionen in zwei Gruppen mit vergleichbarer Zusammensetzung und unter vergleichbaren Bedingungen:

Eine Gruppe bekommt das PrEP-Medikament, die andere Gruppe bekommt ein nicht gegen HIV wirksames Placebo (Scheinmedikament). Forscher_innen und Teilnehmer_innen wissen nicht, wer das wirksame Medikament bekommt und wer nicht.

Wenn in der Gruppe mit dem PrEP-Medikament 86 Prozent weniger Infektionen auftreten als in der Vergleichsgruppe, dann wird von einer 86-prozentigen Senkung des HIV-Übertragungsrisikos durch das PrEP-Medikament gesprochen.

Die PrEP schützt wie Kondome/Femidome und Schutz durch Therapie bei korrekter Anwendung zuverlässig vor HIV

Meistens wird das auf sogenannte Personenjahre bezogen, das heißt die Zahl der Personen multipliziert mit der Dauer ihrer Teilnahme an der Studie – 50 Personen, die 4 Jahre teilnehmen, bedeuten 200 Personenjahre, 100 Personen, die 2 Jahre teilnehmen, auch.

Übrigens: Wenn es in den Studien zu Infektionen kommt, liegt das allerdings meistens daran, dass die Menschen, die sich infizieren, zum Zeitpunkt des Kontakts mit HIV keine oder nicht genug PrEP-Medikamente im Blut hatten, weil sie die Medikamente überhaupt nicht oder nicht regelmäßig eingenommen hatten.

Betrachtet man dagegen nur die Teilnehmer_innen, die ausreichend Wirkstoff zum Schutz vor HIV hatten, ergeben sich deutlich höhere Schutzwirkungen von etwa 99 Prozent.

In wenigen Fällen (weltweit bisher nur etwa eine Handvoll) kommt es aber auch bei ausreichend Wirkstoff im Blut zu HIV-Infektionen, vor allem, wenn das übertragene Virus bereits gegen die PrEP-Wirkstoffe resistent ist und das vorher nicht bemerkt wurde.

Zusammengefasst:
Die PrEP schützt zuverlässig vor HIV – wenn sie korrekt eingenommen wird.

Das gilt übrigens auch für alle anderen Schutzmethoden:

Ergebnisse wichtiger Studien

  • iPrex (Veröffentlichung Ende 2010, Originaltext): In dieser Studie wurden fast 2.500 schwule und bisexuelle Männer sowie trans* Frauen in sechs Ländern untersucht. Bei der einen Hälfte der Teilnehmer_innen, die das PrEP-Medikament (mit zwei Wirkstoffen) bekamen, gab es 42 % weniger HIV-Infektionen als in der Placebo-Vergleichsgruppe. Es stellte sich aber heraus, dass viele in der „PrEP-Gruppe“ das Medikament überhaupt nicht oder nur selten einnahmen. Nimmt man sie heraus, ergibt sich eine Senkung der HIV-Übertragungen um 92 bis 99 Prozent.
  • PARTNERS-PrEP (Veröffentlichung 2012, Originaltext): Hier wurden mehr als 4.700 heterosexuelle Paare in Kenia und Uganda untersucht, bei denen ein_e Partner_in HIV-positiv war und keine HIV-Medikamente nahm. Verglichen wurden drei Gruppen: 1) PrEP mit zwei Wirkstoffen (Tenofovir und Emtricitibin), 2) PrEP allein mit dem Wirkstoff Tenofovir und Scheinmedikament (Placebo). Bei der Zwei-Wirkstoff-PrEP gab es 75 Prozent weniger HIV-Infektionen, bei der Ein-Wirkstoff-PrEP 67 Prozent weniger als in der Vergleichsgruppe. Nimmt man diejenigen heraus, die die Medikamente nicht oder nicht regelmäßig nahmen, kommt man auf eine Senkung um etwa 90 Prozent.
  • Bangkok Tenofovir Study (Veröffentlichung 2013, Originaltext): In dieser Studie wurden in den Jahren 2005 bis 2010 gut 2.400 intravenös Drogen Gebrauchende untersucht – eine Hälfte bekam eine Ein-Wirkstoff-PrEP (Tenofovir), die andere Hälfte ein Placebo. In der Tenofovir-Gruppe gab es 17 HIV-Infektionen, in der Placebo-Gruppe 33. Dies entspricht einer Risikosenkung von 49 Prozent. Nimmt man die HIV-infizierten Teilnehmer_innen heraus, die keine ausreichende Wirkstoffmenge im Blut hatten, steigt die Schutzwirkung auf 74 Prozent. Unklar ist allerdings, ob diese Risikosenkung auf Schutz bei der gemeinsamen Benutzung von Spritzen und Nadeln allein oder auch auf Schutz vor sexueller HIV-Übertragung zurückgeht. Aktivist_innen raten Drogengebraucher_innen, bei einer PrEP weiterhin Safer Use zu praktizieren, also nur das eigene Spritzbesteck zu verwenden.
  • PROUD (Veröffentlichung 2015, Beschreibung auf magazin.hiv): Bei dieser britischen Studie mit 545 schwulen Männern bekam eine Hälfte sofort die PrEP angeboten, die andere Hälfte sollte ein Jahr warten, bekam aber angesichts der sich abzeichnenden hohen Schutzwirkung bald auch die PrEP. In der ersten (PrEP-) Gruppe wurden im ersten Jahr 3 HIV-Infektionen gezählt (1,3 Fälle pro 100 Personenjahre), bei den Männern ohne PrEP 19 (8,9/100 Personenjahre). Dies entspricht einer Schutzwirkung von 86 Prozent. Bei den drei Infektionen in der PrEP-Gruppe war offenbar kein PrEP-Wirkstoff im Blut oder die Infektion lag schon zu Beginn der Studie vor. Die tatsächliche Schutzwirkung ist also höher.
  • IPERGAY (Veröffentlichung 2015, Originaltext, Beschreibung auf magazin.hiv): In dieser französischen Studie mit rund 400 Männern, die Sex mit Männern haben, wurde die „anlassbezogene PrEP“ untersucht, also zum Beispiel anlässlich einer Sexparty (zwei Tabletten unmittelbar vor dem Ereignis, dann täglich eine Tablette bis zum zweiten Tag nach dem Ereignis). Hier ergab sich die gleiche statistische Schutzwirkung = Reduzierung der HIV-Infektionen wie in der PROUD-Studie, nämlich 86 Prozent. Die beiden Männer aus dem PrEP-Arm der Studie, die sich mit HIV infizierten, hatten die Tabletteneinnahme mehrere Wochen vor ihrer Ansteckung eingestellt. Auch hier ist die tatsächliche Schutzwirkung also höher.
  • PREVENIR (Zwischenergebnisse 2018 und 2019; Beschreibung auf aidshilfe.de, französisches Update vom Juli 2019): In diese offene PrEP-Beobachtungsstudie wurden bis zum Juli 2018 gut 1600 Personen aufgenommen, die meisten davon Männer, die Sex mit Männern haben. 45,4 Prozent davon nahmen die PrEP täglich ein, 54,6 Prozent bei Bedarf. In den ersten sieben Monaten der Studie hat sich niemand infiziert. Bei fast 1000 Beobachtungsjahren würde man ohne die PrEP etwa 85 Neuinfektionen erwarten. Im Juli 2019 wurden die Ergebnisse zu mittlerweile mehr als 3.000 Personen vorgestellt: Es gab nur 2 HIV-Infektionen, beide bei Männern, die schon mehrere Wochen keine PrEP-Medikamente mehr genommen hatten.
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Holger Sweers

Holger Sweers, seit 1999 als Lektor, Autor und Redakteur bei der Deutschen Aidshilfe, kümmert sich um die Redaktionsplanung des Magazins.

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