Viele Gefangene tätowieren sich im Knast und riskieren dabei Hepatitis, HIV und andere Krankheiten. Nicht in Luxemburg: Hier können Inhaftierte sich in einem Tattoo-Studio steril und sicher tätowieren.

Von Benedict Wermter

„Früher nahmen die Gefangenen den Motor aus einem CD-Player oder einem Rasierapparat und bauten diesen auf einen Kugelschreiber“, sagt Mike Conrath, Pfleger auf der Krankenstation in der luxemburgischen Justizvollzugsanstalt Schrassig. Angestellt ist Conrath beim „Centre Hospitalier de Luxembourg“ (CHL), einem Krankenhaus, das Pflegepersonal für das Gefängnis freistellt.

Als Tätowiernadeln haben die Gefangenen alles verwendet, was sie finden konnten

„Als Nadeln haben die Gefangenen Nähnadeln oder Kanülen verwendet – eigentlich alles, was sie finden konnten“, erzählt Conrath. „Wenn der Motor unter Strom stand, drehte sich die Nadel bei dieser Konstruktion rustikal hin und her.“

Bei Tätowierungen mit gemeinsam benutzten Nadeln aber ist das Risiko einer Übertragung von HIV, Hepatitis oder Tuberkulose extrem hoch, zumal der Anteil von Menschen mit diesen Erkrankungen bei Inhaftierten höher ist als beim Durchschnitt der Bevölkerung.

Hohe Hepatitis- und HIV-Raten unter Gefangenen

Das Centre pénitentiaire de Luxembourg (CPL) in Schrassig, Luxemburgs bislang einziges geschlossenes Gefängnis, hat etwa 600 Haftplätze. Hinzu kommt ein halboffener Vollzug in Givenich mit rund 75 Personen.

Jährlich sitzen in beiden Vollzugsformen zusammen rund 1.000 Gefangene ein. Innerhalb von 24 Stunden nach der Aufnahme müssen ihnen Bluttests auf HIV, Hepatitis A, B und C sowie Syphilis angeboten werden, die auch die bereits Einsitzenden in Anspruch nehmen können. Über 95 Prozent der Neuzugänge nehmen das Angebot an.

2013 bis 2016 wurde jährlich bei etwa 15 Prozent der Getesteten eine Hepatitis C festgestellt, bei etwa vier Prozent eine Hepatitis B und bei einem Prozent eine HIV-Infektion. Wie viele Gefangenen sich in Haft infizieren, lässt sich allerdings nicht sagen, weil Gefangene vor der Entlassung nicht erneut getestet werden.

Im Knast wird häufig tätowiert, auch wenn das eigentlich verboten ist

Dennoch war klar, dass das Problem beträchtlich sein musste, zumal mehr als zehn Prozent der Gefangenen im Zusammenhang mit Drogendelikten einsitzen und der gemeinsame Gebrauch von Spritzbesteck mit einem hohen HIV- und Hepatitis-Risiko einhergeht.

Tätowierungen in Haft sind mit einem hohen Hepatitis- und HIV-Risiko verbunden

Dass auch Tätowierungen in Haft ein erhebliches Problem darstellen, wurde deutlich, als eine ehemalige Kollegin von der Krankenstation 2015 für ihre Diplomarbeit die Inhaftierten in Schrassig befragte. Das Ergebnis: Rund ein Drittel der Gefangenen hatten ein Tattoo, und insgesamt etwa 100 Leute hatten sich während der Haft in Schrassig tätowieren lassen, erzählt Mike Conrath.

Bild: Mike Conrath

Mit einem Mal wurde den Pflegekräften klar: in ihrem Knast wird häufig tätowiert. Dabei ist das eigentlich verboten – eben wegen der Gefahr, dass Krankheiten wie Hepatitis oder HIV übertragen werden.

Inmates Tattoo Studio: sicher tätowieren in Haft

Angesichts der Ergebnisse der Umfrage beschloss eine Kollegin von Mike Conrath dann, das erste Tattoostudio hinter Gittern zu gründen: das Inmates Tattoo Studio. Der Gedanke dahinter, so Conrath: Drogenkonsum und Tätowieren finden so oder so statt – es geht darum, den Schaden zu minimieren. „Wenn wir Spritzen und Kondome verteilen, müssen wir auch Tätowiernadeln ausgeben“, erklärt er.

Blick in das Tätowierstudio in der JVA, Bild: Mike Conrath

Es habe nur eine halbe Stunde gedauert, die Gefängnisleitung von ihrer Idee zu überzeugen, erzählt Conrath. Ihr schlagendes Argument: Schon eine einzige verhinderte Hepatitis-C-Infektion, deren Behandlung das Justizministerium rund 50.000 Euro koste, finanziere das gesamte Projekt. Unterstützt wurde das Projekt übrigens auch im Rahmen einer „Erasmus+“-Förderung der EU.

Schlagendes Argument: Allein die Verhinderung einer einzigen Hepatitis-C-Infektion finanziert das gesamte Tattoo-Projekt

Conrath selbst hat zwar kein Tattoo, ist aber mittlerweile ein Knast-Tattoo-Experte. „Am Anfang wusste ich gar nicht, wie man tätowiert. Dann habe ich im Internet nach Tätowierern in Luxemburg gesucht. Ein Tätowierer in unserer Nähe war begeistert von der Idee, ist zu uns ins Gefängnis gekommen und hat uns alles beigebracht.“

Durch den Tätowierer hat Mike Conrath eine Nummer zugewiesen bekommen, mit der er in einem Shop in Frankreich Material wie Nadeln, Maschinen, Farben und Vorlagen zum Durchzeichnen bestellen kann.

Gefangene tätowieren Gefangene – unter sterilen und sicheren Bedingungen

Bild: Mike Conrath

„Das Ziel ist allerdings nicht, dass jeder ein Gratis-Tattoo bekommt. Wir bilden auch nicht aus. Wir bieten nur die Möglichkeit, mit sterilem Material in sauberer Umgebung zu tätowieren“, so Conrath.

Im Februar 2017 wurden die ersten Inhaftierten von Conrath zum Thema Hygiene beim Tätowieren geschult. Dabei ging es um Fragen wie: Welche Krankheiten können beim Tätowieren übertragen werden? Wie hält man den Arbeitsplatz steril? Welche Creme benutzt man zur Pflege?

Im April 2017 war es dann so weit: Das Inmates Tattoo Studio öffnete auf der Krankenstation der Justizvollzugsanstalt ihre Pforten. Die Nachfrage war so groß, dass Termine schon bald nur noch für Insass_innen vergeben werden konnten, die auf demselben Trakt einsitzen, sich also auch illegal tätowieren könnten, sagt Conrath.

Die Nachfrage war riesig

Bis Ende 2018 gab es insgesamt 235 Termine, wobei 19 Tätowierer_innen, darunter eine Frau, gut 140 Insass_innen tätowierten.

Die Talente der Knasttätowierer_innen sind dabei sehr unterschiedlich: Manche seien fast so gut wie Profis, andere würden immerhin passable Knast-Tattoos stechen, sagt Conrath. „Ein paar Kandidat_innen sind nicht gut, aber die Insass_innen sind trotzdem zufrieden.“

Inmates Tattoo Studio – ein Modell auch für andere Länder?

Warum gibt es ein Projekt wie das Inmates Tattoo Studio eigentlich nicht in anderen Ländern, zum Beispiel in Deutschland? Luxemburg habe eben das Geld und die Möglichkeiten, sagt Conrath. „Schrassig ist die einzige JVA in Luxemburg, in Deutschland gibt es viel mehr Gefängnisse mit viel mehr Insassen. Da würde das Budget wohl nicht reichen“, glaubt er. „Die Argumente für ein solches Projekt bleiben allerdings dieselben.“

Quelle für die Zahlen zu HIV und Hepatitis in Schrassig und Givenich: Patrick Hoffmann, Health Directorate Luxembourg: Prevention and Control of viral hepatitis in IDU/prisoners in Luxembourg (Präsentation auf dem VHPB Meeting Brussels, 7.–8. November 2017; PDF-Datei in englischer Sprache)

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Benedict Wermter

Benedict Wermter ist freier Autor und Rechercheur aus dem Ruhrgebiet und schreibt gerne Reportagen. Für das Magazin der Deutschen Aidshilfe beschäftigt er sich unter anderem mit der Drogenpolitik hierzulande.

(Foto: Paulina Hildesheim)

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