Sag ich’s oder sag ich’s nicht? Andreas, der in der Personalabteilung eines Chemieunternehmens arbeitet, hat diese Frage sehr lange für sich abgewogen, bis er dann doch seiner Chefin von seiner HIV-Infektion erzählte. Was die ausschlaggebenden Argumente für diese Entscheidung und die Reaktionen auf sein HIV-Coming-out waren, schildert er im Interview.

Andreas, seit wann weißt du von deiner HIV-Infektion?

Seit 2005. Ich war damals in ähnlicher Position wie heute als Personaler bei einem großen Automobilzulieferer beschäftigt und mir stellte sich auch gleich die Frage: „Outen – ja oder nein?“ Ich bin recht bald nach meinem Testergebnis regelmäßig zu den bundesweiten Positiventreffen im Tagungshaus Waldschlösschen gefahren und auch dort wurde immer wieder diskutiert, ob man am Arbeitsplatz die HIV-Infektion offen machen soll. Ich hatte lange darüber nachgedacht und mich dann dagegen entschieden.

Was war dafür ausschlaggebend?

Ein Grund war, dass mein damaliger Partner negativ ist und ihm ein solches Coming-out sicher nicht recht gewesen wäre. Außerdem spielte das Positivsein für mich seinerzeit auch eine eher untergeordnete Rolle. Ich hatte die Waldschlösschen-Treffen, um mich mit anderen Positiven auszutauschen, ich habe regelmäßig meine Arzttermine wahrgenommen, und das war’s. Ich hatte gar nicht das Bedürfnis, mich zu outen. Zudem herrschte in den Waldschlösschen-Workshops damals auch eher Skepsis. Viele befürchteten, dass sich bei einem Coming-out eher Probleme ergeben könnten.

Was hat sich in deinem Leben verändert, dass du dich dann doch anders entschieden hast?

Zum einen bin ich bei einem anderen Arbeitgeber, und zum anderen wieder Single. Das heißt, ich kann ganz alleine entscheiden. Ich hatte mir aber auch sehr viel Zeit genommen, darüber nachzudenken und abzuwägen. Mich mit anderen Positiven, etwa im Waldschlösschen, darüber auszutauschen und deren Erfahrungen mitzubekommen, war eine große Unterstützung.

„Es war ein kontinuierlicher Prozess, der zu dieser Entscheidung geführt hat.“

Letztlich war dies ein kontinuierlicher Prozess, der dann zu dieser Entscheidung geführt hat. Lange Zeit war es mir einfach nicht wichtig genug, um dieses Restrisiko einzugehen. Ich sage bewusst Restrisiko, denn man kann nie mit Sicherheit sagen, wie andere Menschen reagieren. Schwule, die sich geoutet haben, haben die Erfahrungen alle schon einmal gemacht.

Hast du dich gleich zum Jobantritt in der neuen Firma geoutet?

Nein, ich habe den Punkt abgewartet, bis ich nach etwa einem Jahr die Probezeit überstanden und an meinem neuen Arbeitsplatz Fuß gefasst hatte.

Wem hast du dich schließlich anvertraut?

Meiner damaligen Vorgesetzten.

Und geschah das ganz beiläufig und spontan?

Ich hatte mir das Gespräch fest vorgenommen. Da wir immer wieder mal zu zweit zum Mittagessen gegangen sind, habe ich eine solche Gelegenheit abgewartet. Ich habe sie dann gebeten, dass wir uns etwas abseits setzen, weil ich ihr etwas Privates erzählen wollte.

„Meine Chefin hat gezeigt, dass sie weiß, dass HIV heute eigentlich keine Rolle mehr spielt.“

Sie hat sich im Gespräch dann sehr interessiert gezeigt, aber auch signalisiert, dass sie weiß, dass HIV heute eigentlich gar keine Rolle mehr spielt. Es ist wirklich gut gelaufen. Alles andere hätte mich auch überrascht.

Deine Chefin war damit die erste Person in der Firma, die von deinem HIV-Status wusste?

Die zweite! Bei der betriebsärztlichen Untersuchung zur Einstellung wurde ich gefragt, ob ich regelmäßig Medikamente nehme. Ich habe dem Betriebsarzt die beiden Präparate genannt, er kannte die aber nicht und er wollte wissen, wofür die sind. Ich sagte: „Für meine HIV-Infektion“. Er fragte noch nach, wann ich die Medikamente einnehme und ob sie gut funktionieren und sagte dann nur: „So, mehr interessiert mich hier nicht. Das spielt für ihren Arbeitsplatz keine Rolle. Wenn wir Sie mal ins Ausland schicken sollten, dann reden wir noch einmal darüber.“ Der Betriebsatzt hat natürlich mitbekommen, dass ich ihn testen wollte, aber sein Verhalten hat mir gezeigt, dass zumindest er mit dem Thema genau richtig umgeht.

Das muss eine große Erleichterung gewesen sein.

Beide Erlebnisse, mit dem Betriebsarzt wie mit meiner Chefin, taten richtig gut. Ich habe mich aber auch in beiden Fällen aus einer Position der Stärke heraus in diese Situationen hineinbewegt. Ich hatte einen sicheren Arbeitsplatz, das Verhältnis zu den Personen war gut und vor allem: Ich wusste, was meine Rechte sind. Abgesehen davon bin ich nicht auf den Mund gefallen, ich hätte mich also durchaus zu wehren gewusst.

Was hatte dich bewogen, dich gegenüber deiner Chefin zu outen? Gab es einen konkreten Anlass?

Ich war mittlerweile recht aktiv in der HIV-Selbsthilfe, unter anderem gehörte ich 2017 zum Community-Board des Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses und habe eine Urlaubswoche dort in Salzburg verbracht. Davon konnte ich dann aber meiner Kollegin, mit der ich mich ansonsten auch über Privates unterhielt, nichts erzählen.

„Ich fand es einfach schade, dass ich einen wichtigen Teil meines Lebens außen vor lassen soll.“

Ich fand es einfach schade, dass ich einen wichtigen Teil meines Lebens außen vor lassen soll, nur weil man Angst hat, diskriminiert zu werden. Auf Dauer ist das eine Belastung. Außerdem hatte ich mich bei verschiedenen Community-Aktionen beteiligt und bin beispielsweise beim Buddy-Projekt engagiert. Es hätte also gut passieren können, dass mal ein Kollege zufällig darauf stößt.

Hattest du deine Chefin um Stillschweigen gebeten oder hast du gehofft, dass die Nachricht von allein die Runde durch die Firma macht?

Sie hat von sich aus gesagt, dass sie das als private Information sieht und auch vertraulich behandelt. Mittlerweile habe ich mich bei rund 15 Kolleginnen und Kollegen geoutet und ich habe den Eindruck, dass es auch nur jene wissen, denen ich selbst davon erzählt habe.

Du hast also keinerlei negative Erfahrungen gemacht?

Nein, wobei ich natürlich auch betonen muss, dass ich mich als Personaler in einem vergleichsweise geschützten Rahmen unter zumeist Akademikern bewege. Als Arbeiter in der Produktion wäre mir der Schritt sicherlich schwerer gefallen.

Du hast die Entscheidung aber ganz offensichtlich nicht bereut.

Überhaupt nicht. Ich habe mittlerweile einen neuen Vorgesetzten, und auch er weiß inzwischen davon. Die meisten, denen ich mich geoutet habe, sind jüngere Kollegen und ich bin immer wieder überrascht, wie gut sie über HIV Bescheid wissen. Im besten Falle wird das Positivsein als etwas Normales empfunden; als eine Privatsache, über die ich genauso offen reden kann wie über andere Dinge auch.

Welche Tipps kannst du ungeouteten HIV-Positiven geben, die mit ihrer Entscheidung noch hadern?

„Man sollte sich fragen, was man mit dem Coming-out erreichen will.“

Zum einen sollte man sich fragen, was man mit dem Coming-out erreichen will: Möchte ich nur, dass mein Chef weiß, warum ich regelmäßig zum Arzt gehe? Ist es mir wichtig, auch von diesem Teil meines Privatlebens erzählen zu können? Oder möchte ich – für den Fall, dass ich tatsächlich ernsthaft krank werde – dass meine Kollegen und Vorgesetzen dafür Verständnis haben?

Zum anderen sollte der Partner oder die Partnerin mit im Boot sein. Denn es kann natürlich auch mal Probleme geben und wenn es dann in der Beziehung keinen Rückhalt gibt, hat man womöglich gleich ein doppeltes Problem.

Eine wichtige Voraussetzung ist meines Erachtens, dass der eigene Arbeitsplatz sicher ist. Es sollten also nicht gerade noch andere Probleme köcheln. Und man sollte mit Leuten darüber sprechen, von denen man weiß, dass sie einen mögen, und zu denen man Vertrauen hat.

Dieses Interview ist Teil unserer Aktion zum 1. Mai 2020 „Mit HIV arbeiten? Na klar!“ – mehr Infos dazu hier

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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