Seit über 20 Jahren engagiert sich Cindy Kelemi in Botswana für Menschen mit HIV/Aids. In der Covid-19-Pandemie vermisst sie globale Solidarität und eine Community-basierte Strategie.

Cindy Kelemi ist am 1. Dezember 2021 als Keynote-Speakerin auf der internationalen Online-Konferenz „Global Health Champion Deutschland?! Von #HIV zu #SARSCoV2. Was haben wir (nicht) gelernt?” zu Gast.

Cindy Kelemi hätte guten Grund, deprimiert und desillusioniert zu sein. Bereits seit zwei Jahrzehnten engagiert sie sich in ihrer Heimat für Menschen mit HIV und Aids. Seit 2014 leitet die renommierte Aktivistin das Botswana Network on Ethics, Law and HIV/Aids (BONELA).

Zu einer der grundlegenden Aufgaben ihrer Organisation gehört auch heute noch, Menschen mit HIV überhaupt erst einmal über die Erkrankung zu informieren, z. B. darüber, wie die Therapie funktioniert, um damit auch die Therapietreue zu sichern. Ein weiterer zentraler Schwerpunkt ist, Tuberkulose- und HIV-Erkrankten Zugang zu Gesundheitsdiensten und Medikamenten zu verschaffen.

Trotz all dieser jahrelangen Anstrengungen gehört Botswana weiterhin zu den am stärksten von HIV betroffenen Ländern der Welt. Rund 360.000 der 2,3 Millionen Einwohner*innen leben mit dem Virus, in der Altersgruppe der 15- bis 49-Jährigen macht das einen Anteil von über 20 Prozent aus.

Die Welt zu einer besseren machen – besonders für Menschen mit HIV

Cindy Kelemi ist angesichts dieser Zahlen allerdings nicht entmutigt. Sie sehe ihre Lebensaufgabe darin, „die Welt zu einer besseren zu machen, insbesondere für die Menschen, die mit HIV leben ­– und damit mich eingeschlossen“.

Cindy Kelemi und ihre Mitstreiter*innen haben mit einer ganzen Reihe besonderer Herausforderungen zu kämpfen: Da sind das geringe Wissen in der Bevölkerung über HIV, die Übertragungswege und Behandlungsmöglichkeiten, aber auch die große Ungleichheit in der Gesellschaft. Zudem hält Botswana einen traurigen Rekord, was sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen angeht.

Unser besonderes Augenmerk gilt marginalisierten und vulnerablen Gruppen

Die Regierung verfolgt in der HIV-Prävention einen einheitlichen Ansatz, damit aber werden besonders durch eine HIV-Infektion gefährdete Bevölkerungsgruppen wie etwa Mädchen und junge Frauen, Sexarbeiter*innen oder auch Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), nur schlecht erreicht. Zudem behindern Strafgesetze gegen marginalisierte Gruppen und die Ungleichbehandlung der Geschlechter die Prävention. Dass es dennoch zielgruppenspezifische Präventionsprogramme gibt, ist allein HIV-Organisationen wie BONELA zu verdanken.

„Unser besonderes Augenmerk gilt dabei marginalisierten und vulnerablen Gruppen, denen wir den Zugang zu Gesundheitsdiensten verschaffen“, sagt Cindy Kelemi. Dazu gehören beispielsweise Sexarbeiter*innen, Geflüchtete, Gefängnisinsassen, LGBTI-Personen und MSM. In Botswana kommen als besondere Gruppe auch Bergleute hinzu, die fernab ihrer Heimat in den Minen der Provinz Matabeleland South arbeiten und die Dienstleistungen von Sexarbeiter*innen in Anspruch nehmen.

Gruppenspezifische Prävention ist nur durch den Global Fund möglich

Der botswanischen Regierung sei es recht gut gelungen, die Finanzierung von HIV-Medikamenten zu sichern, erklärt Cindy Kelemi. Doch weil Botswana zu den Ländern mit mittlerem Einkommen zählt, sei es für viele Geberorganisationen nicht interessant.

„Die finanzielle Hilfe des Global Fund fließt daher nicht primär in Medikamente, sondern ist für die Präventionsarbeit wichtig, die maßgeblich von den Communitys geleistet wird“, betont Cindy Kelemi. Eine wesentliche Aufgabe sei weiterhin, grundlegende Informationen zu HIV und den Übertragungs- und Behandlungsmöglichkeiten in die Bevölkerung zu tragen beziehungsweise die besonders vulnerablen Gruppen mit diesen Botschaften zu erreichen.

Der Global Fund hat eine Mobilisierung der Communitys ermöglicht

„Dadurch bringen wir aber auch die besonders marginalisierten und vulnerablen Gruppen zusammen, die ein hohes HIV-Risiko haben“, sagt Cindy Kelemi. „Der Global Fund hat eine Mobilisierung dieser Gruppen ermöglicht, sodass diese Communitys nun mit am Tisch sitzen, um wirkungsvolle Interventionen zu diskutieren, mit denen wir die Situation im Land maßgeblich verändern und HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose eliminieren können.“

Auch PrEP-Programme können nur durch die Finanzierung des Global Fund realisiert werden. Nicht minder wichtig seien aber die Nebeneffekte dieser Förderungen und der dadurch ermöglichten Projekte: etwa die Beseitigung von Barrieren beim Zugang zu Gesundheitsleistungen und Bemühungen, gegen die Geschlechterungleichheit und die Verletzung von Menschenrechten anzugehen. So konnte BONELA beispielsweise erreichen, dass ausländischen Gefangenen in botswanischen Gefängnissen eine HIV-Therapie nicht vorenthalten werden darf.

Community-Strukturen blieben bei der Covid-19-Pandemie ungenutzt

Cindy Kelemi ist stolz auf die Netzwerke und Einrichtungen, die in den vergangenen 20 Jahren in Botswana insbesondere für und mit Menschen mit HIV oder Tuberkulose aufgebaut werden konnten. Und entsprechend enttäuscht ist sie, dass diese Strukturen in der Corona-Pandemie schlicht ignoriert wurden. „Wir haben gerade durch HIV/Aids viele entscheidende Lektionen gelernt und wir haben erwartet, dass man auf diese Erfahrungen zurückgreifen würde.“

Zum Beispiel auf die, dass es wichtig ist, die unterschiedlichen Gemeinschaften in einer solchen gesundheitlichen Ausnahmesituation zu mobilisieren, sie direkt und ganz spezifisch anzusprechen und einzubinden ­– sei es bei der Verbreitung von Informationen oder durch direktes Engagement.

Wir haben durch HIV/Aids viele entscheidende Lektionen gelernt

„Bei HIV ist es uns gelungen, Interessenvertretungen einzubinden, die zuvor in diesem Bereich noch nie involviert waren. Wir haben die Politik und die Zivilgesellschaft miteinander ins Gespräch und damit Vertreter*innen von Community-eigenen Projekten mit Verantwortlichen aus der Regierung an einem Tisch gebracht.“

Das hätte ihrer Ansicht nach auch die richtige und wirkungsvolle Reaktion auf Covid-19 sein können. Denn auch wenn Covid-19 eine Pandemie sei, die für die gesamte öffentliche Gesundheit ein Problem darstelle, sagt Cindy Kelemi, seien manche Bevölkerungsgruppen dennoch in besonderem Maße gefährdet. „Wir müssen schauen, warum das so ist und wie wir sie unterstützen, also ihre Vulnerabilität verringern können.“

Solidarität ist ein wesentlicher Grundpfeiler des Global Fund

Enttäuscht und besorgt ist Cindy jedoch nicht nur über die Ignoranz der botswanischen Regierung, sondern auch der internationalen Gemeinschaft.

Sie erinnert daran, dass die weltumspannende Solidarität einer der Grundpfeiler des Global Fund darstellt und eine notwendige Voraussetzung war, um für die ärmsten Länder im globalen Süden überhaupt den Zugang zur HIV-Therapie zu gewährleisten und damit eine weitere Ausbreitung der HIV-Epidemie zu stoppen.

Doch bei der internationalen Reaktion auf Covid-19 sieht Cindy Kelemi einen Paradigmenwechsel – und eine deutliche Spaltung zwischen reichen und armen Ländern. „Der Zugang zu Impfstoffen wurde zu einer echten Herausforderung, bei der die armen Länder zu Verlierern wurden ­– ganz einfach, weil ihnen das Geld fehlt. Manche haben nicht einmal Zugang zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen.“

Alle Länder sind aufgefordert, eine globale Perspektive einzunehmen

Sich als Staat nun abzuschotten ist für sie die falsche Antwort: „Das bedeutet lediglich, sich der Verantwortung zu entziehen!“ Denn kein Land wird diese Pandemie alleine nur für sich stoppen, weil kein Land völlig isoliert existieren kann und es immer Austausch zwischen den Staaten geben wird. „Es ist daher unsere Pflicht als zivilgesellschaftliche Organisationen, alle Länder aufzufordern, sich dieser Verantwortung zu stellen und eine globale Perspektive einzunehmen“, betont Cindy Kelemi.

Deshalb brauche es auch einen globalen Ansatz, um auf Covid-19 zu reagieren. Impfstoffe etwa müssten global standardisiert sein, ebenso Maßnahmen und Programme.

Länder wie Botswana benötigten darüber hinaus auch Unterstützung von den künftigen „Global Health Champions“, um die Gesundheitssysteme robust und leistungsfähig zu machen. „Denn nur so können wir künftig für Epidemien jeder Art gewappnet sein – ob in dieser oder in der nächsten Generation.“

Anmeldungen für die Online-Konferenz „Global Health Champion Deutschland?! Von #HIV zu #SARSCoV2. Was haben wir (nicht) gelernt?” sind bis zum 28. November 2021 möglich. Sie wird veranstaltet von der Deutschen Aidshilfe, dem Aktionsbündnis gegen AIDS, dem Netzwerk AIDS Action Europe und dem Global Fund Advocates Network Asia-Pacific. Weitere Infos gibt’s hier.

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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